Arzneimittel und Therapie

DAZ-Interview: "Ein Problem des Entzugs, kein Problem der Medikation!"


Wie sind die Berichte zur Suizidgefahr und Verhaltensauffälligkeiten unter Vareniclin einzuordnen? Welche Konsequenzen sind zu ziehen? Darüber haben wir mit dem Berliner Pneumologen Dr. Thomas Hering gesprochen. Dr. Thomas Hering ist stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes der Pneumologen (BdP) und Beauftragter für das Gebiet der Tabakprävention und der Tabakentwöhnung im BdP.

DAZ: Wie bewerten Sie Berichte über Stimmungsschwankungen und suizidale Gedanken unter Vareniclin?

Hering: Zunächst muss man sagen, dass Stimmungsschwankungen und Verhaltensveränderungen wie depressives oder aggressives Verhalten keine Besonderheit einer Vareniclin-Therapie sind, sondern eine Begleiterscheinung des Nicotin- bzw. Tabakentzugs. Dass diese Probleme unter Vareniclin verstärkt auftreten, kann ich anhand meiner Erfahrungen nicht bestätigen. Wir haben hier wieder eine ähnliche Diskussion, wie sie vor Jahren um Bupropion (Zyban®) geführt worden ist. Damals ging es um kardiale Nebenwirkungen, für die ein Raucher auch ohne die Einnahme eines Entwöhnungsmittels ein hohes Risiko hat.

Bei den jetzt in der Diskussion stehenden Berichten von Suizidgedanken und depressivem/aggressivem Verhalten unter Vareniclin muss man sich immer vor Augen halten, dass es sich um Post-Marketing-Erhebungen ohne Placebovergleich handelt. Zudem gerät die gesamte Risikobewertung bei Hervorhebung solcher Fälle in eine Schieflage. Denn letztlich ist das Weiterrauchen das alles übertreffende Risiko: alleine in Deutschland sterben pro Tag 400 Menschen an den Folgen des Rauchens – alle 4 ½ Minuten ein vorzeitiger Todesfall durch das Rauchen!

DAZ:  Die FDA betont zwar, dass sie momentan noch keinen kausalen Zusammenhang zwischen Suizidgefahr, Depression und Verhaltensauffälligkeiten unter Vareniclin sieht. Sie nimmt aber die Berichte so ernst, dass sie den Sachverhalt näher prüfen will. Könnte der Wirkungsmechanismus von Vareniclin möglicherweise eine Erklärung bieten?

Hering: Eigentlich nicht: Denn rein pharmakologisch stimuliert Vareniclin im Entzug den Nicotinrezeptor wie Nicotin selber, nur schwächer. Das bietet keine Erklärung für depressive Störungen oder aggressives Verhalten.

DAZ:Was raten Sie verunsicherten Kollegen und Patienten, die einen Tabakentzug mit Vareniclin in Erwägung ziehen?

Hering: In jedem Fall sollte das Problem Depressivität im Vorfeld abgeklärt werden. Denn ein Tabakentzug kann immer zu einer Dekompensation latent vorhandener psychiatrischer Erkrankungen führen. Zur Abklärung kann ein einfacher Fragebogen dienen – wir verwenden regelmäßig die Depressionsskala des HADS-D (Hospital Anxiety and Depression Scale). Sollten sich Hinweise auf eine stärkere Depression ergeben, dann muss an erster Stelle immer die Behandlung der Depression stehen, Das Risiko einer Dekompensation im Rahmen einer Entzugsbehandlung mit allen Folgen bis hin zum Suizid ist sonst nicht vertretbar. Um es noch einmal ganz klar zu sagen: Depressionen einschließlich Suizidabsichten und Verhaltensstörungen sind ein Problem des Entzugs, kein Problem der Medikation.

DAZ: Herr Dr. Hering, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Das Gespräch führte Dr. Doris Uhl

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