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Vergabekammer Bund

AOK-Rabattverträge auf Eis gelegt

BONN (hst). In der Auseinandersetzung zwischen den Allgemeinen Ortskrankenkassen und einigen Arzneimittelherstellern hat nun auch die 2. Vergabekammer des Bundes beim Bundeskartellamt am 15. November ein Zuschlagsverbot für den Abschluss neuer Rabattverträge auf Basis der vorliegenden Angebote ausgesprochen. Zwar haben die AOKs sofortige Beschwerde gegen das Zuschlagsverbot beim Oberlandesgericht Düsseldorf angekündigt, doch gilt der rechtzeitige Abschluss neuer Rabattverträge mit Wirkung ab Januar 2008 als nicht mehr umsetzbar.

Die 2. Vergabekammer des Bundes hatte in sieben von Arzneimittelherstellern angestrengten Nachprüfungsverfahren darüber zu entscheiden, ob die Allgemeinen Ortskrankenkassen auf Basis der im Rahmen der Ausschreibung vom August 2007 eingegangenen Angebote neue Rabattverträge abschließen dürfen. Neben der Frage, ob die vergaberechtlichen Anforderungen an ein derartiges Ausschreibungsverfahren beachtet wurden, stehen nach wie vor grundsätzliche Rechtsfragen im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Insbesondere geht es dabei darum, ob das Vergaberecht anwendbar ist oder nicht.

In den Verfahren hat die 2. Vergabekammer Bund festgestellt, dass Arzneimittelrabattverträge gesetzlicher Krankenkassen nach § 130a Abs. 8 SGB V öffentliche Aufträge sind. Dementsprechend haben die gesetzlichen Krankenkassen beim Abschluss von Rabattverträgen für Arzneimittel oberhalb der gesetzlich festgelegten Schwellenwerte das Kartellvergaberecht und die Verdingungsordnung für Leistungen (VOL/A) zu beachten. Zu einem vergleichbaren Ergebnis kam bereits die Vergabekammer Düsseldorf und sprach ebenfalls ein Zuschlagsverbot für 39 Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen aus.

Die Vergabekammer des Bundes stuft, so die Entscheidungsbegründung, die Rabattverträge als öffentliche Aufträge ein, weil sie bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise Rahmenvereinbarungen zur Beschaffung von Arzneimitteln für die Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen darstellen. Die Rabattverträge regeln nämlich nicht nur Rabatte der pharmazeutischen Unternehmer, sondern enthalten gegenseitige Leistungs- und Vergütungspflichten.

Hintergrund ist, dass Krankenkassen nach Auffassung der Vergabekammer nicht nur als Abrechnungsstellen fungieren, sondern durch die Vergabe der Rabattvereinbarungen den Beschaffungsbedarf für ihre Versicherten steuern. Dabei sei der Apotheker nach der Aut-idem-Regel gesetzlich zur Ersetzung eines verordneten Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Medikament, für das eine Rabattvereinbarung besteht, verpflichtet.

Die Vergabekammer hat in diesem Zusammenhang auch festgestellt, dass Streitigkeiten über die Vergabe von Rabattverträgen gesetzlicher Krankenkassen nicht dem Rechtsweg vor die Sozialgerichte zugewiesen sind. Zur Begründung verweist die Vergabekammer darauf, dass das 1999 eingeführte, auf europäischem Recht beruhende Kartellvergaberecht einen eigenständigen und ausschließlichen Rechtsweg für öffentliche Aufträge vor den Vergabekammern begründet. Das Einkaufsverhalten der Krankenkassen unterliege damit auf Antrag einer vergaberechtlichen Kontrolle durch die Vergabekammern.

17 von 83 bleiben übrig

Den entschiedenen Fällen lagen beabsichtigte Rabattverträge über 83 Wirkstoffe zugrunde. Ein Zuschlagsverbot verhängte die Vergabekammer für insgesamt 46 Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen. Zusammen mit den von der Vergabekammer Düsseldorf ausgesprochenen Zuschlagsverboten können die AOKs damit für 66 der ausgeschriebenen 83 Wirkstoffe keine Rabattverträge abschließen.

Für 17 Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen, für deren Vergabe offensichtlich keine Nachprüfungsanträge gestellt wurden, hatten die AOKs Rabattverträge mit insgesamt 23 Arzneimittelherstellern abgeschlossen. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die ausgeschriebenen Wirkstoffe und den aktuellen Stand der Vergabe.

Verstöße gegen das Vergaberecht

Bei der Beschaffungsmaßnahme sei, so die Vergabekammer in ihrer Begründung, in verschiedener Hinsicht gegen das Vergaberecht verstoßen worden. Bemängelt wurde die unpräzise Leistungsbeschreibung, die den Anbietern eine exakte Kalkulation unmöglich mache, und die zu kurz bemessene Frist zur Angebotsabgabe. Die Vergabekammer habe daher den Zuschlag hinsichtlich der im jeweiligen Verfahren angegriffenen Wirkstoffe untersagt. Dem Antrag, das Vergabeverfahren insgesamt aufzuheben, entsprach die Kammer nicht. Sie verwies darauf, dass dies eine Option der Vergabestelle sei.

Die Entscheidungen sind noch nicht bestandskräftig. Gegen sie kann innerhalb von zwei Wochen sofortige Beschwerde beim Oberlandesgericht Düsseldorf eingelegt werden.

AOKs kündigen Beschwerde an

Die AOKs haben mittlerweile angekündigt, dass sie gegen die Entscheidungen der Vergabekammer Bund und der Vergabekammer Düsseldorf sofortige Beschwerde einlegen werden. Das nächste Wort in dem Verfahren hat damit das Oberlandesgericht Düsseldorf. Dies hat aber bereits in einem anderen Verfahren zu Hilfsmitteln den Europäischen Gerichtshof angerufen. Mit einer schnellen Entscheidung ist daher nach Einschätzung von Beobachtern wohl eher nicht zu rechnen.

Ab Januar 2008 müssen sich Apotheken und Versicherte wohl darauf einstellen, dass für eine Reihe von Substanzen, für die bislang Rabattverträge gelten, der Zustand vor Inkrafttreten der Verträge wieder gilt. Dies würde bedeuten, dass die Versicherten in vielen Fällen wieder die verordneten Arzneimittel erhalten können und ein Austausch nicht mehr notwendig, aber rechtlich auch nicht mehr zulässig ist. Die bestehenden Verträge laufen zum 31. Dezember 2007 aus. Die zum 1. April 2007 geschlossenen und zum 31. Dezember 2007 befristeten Rabattverträge enthalten keine Verlängerungsoption. Neue vergaberechtskonforme Verträge sind nach Einschätzung von Beteiligten bis dahin nicht mehr realisierbar. Neue Verträge nach gerichtlicher Aufhebung der Zuschlagsverbote könnten nach Einschätzung von Beobachtern allerfrühestens zum 1. April oder 1. Mai 2008 in Kraft treten.

Tab. 1: Von den AOKs für Rabattverträge ausgeschriebene Wirkstoffe und Vergabestatus nach dem Stand vom 19.11.2007 (Angaben ohne Gewähr).
Wirkstoff
Verträge
2007
Ausschreibung
2008/2009
Verträge 2008/2009
Zuschlagsverbot
VK Düsseldorf
Zuschlagsverbot
VK Bund
Alendronsäure
X
X
X
Alfuzosin
X
X
Allopurinol
X
X
X
Amiodaron
X
X
X
Amisulprid
X
X
Amitriptylin
X
Amlodipin
X
X
X
X
Amoxicillin
X
X
Azathioprin
X
X
Azithromycin
X
X
Baclofen
X
X
X
Beclometason
X
X
Bisoprolol
X
X
X
X
Bisoprolol und Hydrochlorothiazid
X
X
X
X
Budesonid
X
Cabergolin
X
X
Captopril
X
X
X
Captopril und Hydrochlorothiazid
X
X
X
Carvedilol
X
X
X
X
Cefaclor
X
X
X
Cefuroxim
X
X
X
Ciclosporin
Ciprofloxacin
X
X
X
X
Citalopram
X
X
X
X
Clarithromycin
X
X
X
Clozapin
X
Co-trimoxazol
X
X
Doxazosin
X
X
X
X
Doxepin
X
X
Doxycyclin
X
X
Enalapril
X
X
X
X
Enalapril und Hydrochlorothiazid
X
X
X
X
Felodipin
X
Finasterid
X
X
X
Fluconazol
X
Formoterol
X
X
Furosemid
X
X
X
Gabapentin
X
X
X
X
Glibenclamid
X
X
Fortsetzung von Tab.
Wirkstoff
Verträge
2007
Ausschreibung
2008/2009
Verträge 2008/2009
Zuschlagsverbot
VK Düsseldorf
Zuschlagsverbot
VK Bund
Glimepirid
X
X
X
X
Hydrochlorothiazid
X
X
Hydrochlorothiazid
und Amilorid
X
Ibuprofen
X
Isosorbiddinitrat
X
X
Isosorbidmononitrat
X
X
Itraconazol
X
X
Lamotrigin
X
X
X
X
Levodopa und Decarboxylasehemmer
X
X
X
Levothyroxin
X
X
Lisinopril
X
X
X
X
Lisinopril und Hydrochlorothiazid
X
X
X
X
Melperon
X
X
Metamizol
X
X
Metformin
X
X
X
Methylprednisolon
X
X
Metoclopramid
X
Metoprolol
X
X
X
Metoprolol und Hydrochlorothiazid
X
X
Mirtazapin
X
X
X
X
Molsidomin
X
X
X
Morphin
X
Moxonidin
X
X
X
Nifedipin
X
X
Nitrendipin
X
X
X
X
Omeprazol
X
X
X
X
Ondansetron
X
X
Opipramol
X
Paroxetin
X
X
X
Phenoxymethylpenicillin-Kalium
X
X
Phenprocoumon
X
X
Ramipril
X
X
X
X
Ramipril und Hydrochlorothiazid
X
X
X
X
Roxithromycin
X
X
X
Sertralin
X
X
X
X
Simvastatin
X
X
X
X
Spironolacton
X
X
X
X
Sumatriptan
X
X
Fortsetzung von Tab.
Wirkstoff
Verträge
2007
Ausschreibung
2008/2009
Verträge 2008/2009
Zuschlagsverbot
VK Düsseldorf
Zuschlagsverbot
VK Bund
Tamsulosin
X
X
X
X
Terazosin
X
X
X
Theophyllin
X
X
Tilidin und Naloxon
X
X
Torasemid
X
X
X
Tramadol
X
X
X
Triamteren und Hydrochlorothiazid
X
Trimipramin
X
X
X
Verapamil
X
X

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