DAZ aktuell

VDPP-Herbstseminar

Wettbewerb – Ja und Amen?

BERLIN (ks). Seit Jahren wird anlässlich der deutschen Gesundheitsreformen der Wettbewerb gepredigt. Doch was bringt dieser tatsächlich – insbesondere der Arzneimittelversorgung? Welche Erfahrungen hat man bereits gesammelt und wie sollte man sich für die Zukunft aufstellen? Diese Fragen beschäftigten die Teilnehmer des diesjährigen Herbstseminars des Vereins demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VDPP) am 10. November in Berlin. Zu den Gästen zählten unter anderem Sachverständigenratsmitglied Professor Gerd Glaeske und ABDA-Geschäftsführer Lutz Tisch.

Einen Überblick über die Entwicklung des Wettbewerbs im Gesundheitswesen gab zunächst der Sozialmediziner Professor Jens-Uwe Niehoff. Was für Deutschland 1992 in Lahnstein begann – damals wurde die freie Kassenwahl für alle GKV-Versicherten beschlossen – hat sich aus seiner Sicht bereits zu einer gewissen "Obesession" entwickelt: Der Wettbewerb rankt sich nicht mehr nur um einzelne Versicherte, sondern auch um die niedrigsten Preise und höchsten Umsätze. Leistungserbringer stehen ebenso im Wettbewerb wie die Anbieter strukturierter Versorgungsformen. Die Hoffnung ist, dass auf diese Weise die Effektivität des Systems gesteigert werden kann. Was als Reform begonnen hat, werde letztlich als "Transformation" enden – und vor dieser warnte Niehoff. Denn er sieht viele Gründe, warum ein reiner Wettbewerb versagen muss. Vor dem Hintergrund, dass der Bedarf an Gesundheitsleistungen in der Regel erst im Krankheitsfall entsteht, hält es Niehoff für wenig lebensnah, dass die Patienten dann beginnen sollen, sorgfältig auszuwählen. Ineffizienzen entstünden zudem, wenn die Bedarfsentscheidung und -erfüllung in einer Hand liegen: "Jedes Krankenhausbett, das bereit steht, muss auch gefüllt werden". Niehoff machte deutlich, dass er sich nicht grundsätzlich gegen Wettbewerb stellt. Im Sinne eines "managed competition" – im deutschen zumeist mit "solidarischer Wettbewerb" übersetzt – könne er eine Methode sein, um Ziele zu erreichen. Er dürfe jedoch "kein Wert an sich" werden und das System blind zerstören. Niehoff warnte: "Ist der Kettenhund Wettbewerb erst einmal losgelassen, wird es schwierig, ihn öffentlich zu regulieren."

Für Professor Gerd Glaeske steht die Qualität im Mittelpunkt des Wettbewerbs. "Wer heilt hat Recht" ist aus seiner Sicht eine Haltung, die heute nicht mehr akzeptabel ist. Die Anbieter müssten sich "am objektiven Bedarf und nicht an den subjektiven Bedürfnissen" orientieren. Wettbewerb um die niedrigsten Preise sei ebenfalls "Schnee von gestern". So hält Glaeske auch Rabattverträge, "die nur auf die Preise schielen" für "Blödsinn". Ebenso wenig sinnvoll seien die übrigen Kostendämpfungsmaßnahmen, die an den Strukturen nichts änderten. In der Arzneimittelversorgung habe hingegen der Wettbewerb in der Distribution sowie im Beratungsbenchmark "ungeahnte Dynamik in den Apothekenmarkt gebracht", betonte Glaeske. So sei es insbesondere durch Versandapotheken zu einem Preiswettbewerb im OTC-Markt gekommen. Aber auch Pseudo-Costumer-Projekte sind für ihn ein Schritt in die richtige Richtung. Nötig sei jedoch, eine "Evaluationskultur" zu etablieren. So müssten Beratungs- und Interaktionschecks kontinuierlich überprüft werden. Im System bestehen könne nur, wer Qualitätsmanagement betreibe und alles mit Daten belegen könne, so Glaeske. Anreize hierfür könnte etwa eine qualitätsorientierte Vergütung geben – auch für Apotheken. Möglich wären z. B. höhere Pauschalen im Rahmen von Versorgungsverträgen. Angesichts der zu erwartenden Zunahme chronischer Erkrankungen forderte Glaeske zudem eine stärkere Kooperation der Gesundheitsberufe. Schon wegen dieser zunehmenden Arbeitsteilung hält Glaeske Apotheken auch noch in 20 Jahren für "unverzichtbar". Allerdings werde sich ihre Form ändern – vielversprechend sind für ihn insbesondere Apotheken als Teil von Versorgungskooperationen.

Beratungsqualität legitimiert Apotheken

Lutz Tisch betonte, dass Wettbewerb zwar die Preise für den Endverbraucher senken könne, nicht aber zwingend auch die Kosten. So seien viele in der Apotheke erbrachte Leistungen vom Arzneimittelpreis mitumfasst. Doch "das Gleichgewicht zwischen Leistung und Bezahlung kann durch den Wettbewerb leicht durcheinandergebracht werden", warnte Tisch. Dass Apotheken beispielsweise Preiswettbewerb, Werbung oder Versandhandel betreiben dürfen, hält er für eine Fehlsteuerung. All dies verursache Kosten, die an anderer Stelle – klassischerweise beim Personal – eingespart werden müssten. Eine gesonderte Beratungsvergütung hält Tisch allerdings auch nicht für die optimale Lösung. Er gab zu bedenken, dass Patienten, die eine Beratung einfordern, bereits Problembewusstsein haben müssen. Da es hieran oftmals fehle, könnte die extra zu vergütende Beratung gerade da ausbleiben, wo sie am nötigsten wäre. Auch Tisch ist sich bewusst, dass die beständige Verbesserung der Beratungsqualität von besonderer Bedeutung ist – sie sei schließlich die "entscheidende Legitimation" der Apotheker. Der ABDA-Geschäftsführer warnte weiterhin davor, die Globalisierung als Argument für die "Zerstörung lokaler Strukturen" zu missbrauchen. Einer Demontage der Rahmenbedingungen müsse man dringend entgegenwirken. So sei es auch ABDA-Strategie daran zu glauben, dass die Apotheke auch in 20 Jahren noch bestehe. Persönlich habe er jedoch die Befürchtung, dass es schon viel früher nur noch "Alibi-Beratungsapotheker" im stillen Kämmerlein gibt. Denn sollte sich die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Münster im Fall des dm-Drogeriemarktes durchsetzen, könne bald jeder Kiosk Arzneimittel verkaufen.

Etgeton für plurales System

Stefan Etgeton, Fachbereichsleiter Gesundheit und Ernährung beim Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), sieht den zunehmenden Wettbewerb differenziert. Zwar seien neue Wahlmöglichkeiten für Versicherte grundsätzlich zu begrüßen, viele Instrumente der Kassen führten aber lediglich zu einem "Scheinwettbewerb, um gute Risiken zu binden". Zudem sei die Situation für den Verbraucher, der nun unter verschiedenen Optionen wählen kann, recht unübersichtlich geworden. Dies mache es nötig, verbindliche Standards festzulegen und externe Qualitätssicherung zu betreiben. Im Bereich der Arzneimittelversorgung sind Etgeton zufolge vor allem hohe Sicherheitsstandards nötig – und zwar unabhängig vom Vertriebsweg. Eine flächendeckende Versorgung ist für ihn auch in einem pluralen System der Arzneimitteldistribution möglich. Und diese Pluralität ist für den Verbraucherschützer durchaus erstrebenswert – er ist überzeugt: Bestand hat jeder, der seine Qualität unter Beweis stellen kann. Dabei sollten sich stationäre Apotheken bewusst machen, dass sie bereits durch die Möglichkeit zur persönlichen Beratung gegenüber Versandapotheken einen großen Vorteil haben. Dem Wettbewerb um OTC-Preise misst Etgeton wenig Bedeutung bei. Dass dieser nur begrenzt stattfinde, habe "sicher objektive Gründe". Von einem "bösen Apothekenkartell" will er jedenfalls nichts wissen. Was den etwaigen Fall des Fremd- und Mehrbesitzverbotes betrifft, so ist auch Etgeton klar, dass dann Oligopolen entgegengewirkt werden müsse. Dafür sollte aus seiner Sicht "etwas wie eine Regulierungsbehörde" zuständig sein.

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