Pharmakoökonomie

Arzneimittelnutzen in der Selbstmedikation

Der Selbstmedikationsmarkt ist trotz des Erstattungsausschlusses rezeptfreier Arzneimittel im Jahre 2004 kaum gewachsen und war seither insgesamt sogar tendenziell rückläufig. Aktuellen Verbraucherbefragungen zufolge steht hinter dieser Entwicklung ein Imageverlust der OTC-Präparate, insbesondere zunehmende Zweifel am therapeutischen Nutzen dieser Arzneimittel. Bewertungen des Nutzens wie sie z. B. seitens des IQWiG und der Stiftung Warentest publiziert werden, wollen dem Verbraucher hier eine Hilfestellung geben. Der Ansatz und die Methodik dieser Bewertungen werden allerdings häufig weder den Interessen des Verbrauchers gerecht noch entsprechen sie wissenschaftlichen Anforderungen, die an die Nutzenbewertungen von Arzneimitteln zu stellen sind. Da der Nutzen ohnehin idealerweise im Einzelfall zu beurteilen ist, können publizierte allgemeine Bewertungen nur eine mehr oder weniger gute Grundlage für eine individuelle pharmazeutische Beratung in der Apotheke sein.

Mit dem GKV-Modernisierungsgesetz, das zum 1. Januar 2004 in Kraft trat, wurden rezeptfreie Arzneimittel im Grundsatz und von wenigen Ausnahmen abgesehen, aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgegliedert. Die Zahl ärztlicher Verordnungen der entsprechenden Präparate ging infolgedessen von 2003 bis 2007 um mehr als 50 % zurück. Entgegen der Erfahrungen, die bei früheren Erstattungsausschlüssen von Arzneimitteln z. B. im Rahmen der Negativliste gemacht wurden, wurde nur ein geringer Teil der ehemals verordneten Präparate von den Verbrauchern selbst gekauft. Hingegen verzichteten die Verbraucher im Umfang von mehr als 100 Mio. Packungen pro Jahr auf die weitere Verwendung dieser Arzneimittel. Die Hintergründe und Motive dieses Verbraucherverhaltens waren Gegenstand umfangreicher Marktforschung, die der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) seit dem Frühjahr 2006 bis heute betreibt. Es erwies sich dabei als evident, dass der Glaube an den therapeutischen Nutzen rezeptfreier Arzneimittel durch den Ausschluss dieser Präparate aus der GKV-Erstattung grundsätzlich erschüttert wurde. Die wenigsten Versicherten kennen die tatsächlichen, nämlich rein fiskalischen Hintergründe für diese gesetzgeberische Entscheidung und vermuten dahinter eher eine auf Wirksamkeit und Notwendigkeit, d. h. letztlich auf einer Nutzenabwägung beruhende Entscheidung. Abbildung 1 gibt verschiedene Aspekte des OTC-Nutzens wieder, wie sie aktuell aus Sicht der Verbraucher gesehen werden. Die schwach ausgeprägte Wirküberzeugung dürfte dabei den weiteren Studienergebnissen zufolge der maßgebliche Faktor dafür sein, dass vielfach in der persönlichen Kosten-Nutzen-Abwägung des Verbrauchers im Ergebnis die Feststellung steht, dass die OTC-Präparate "ihr Geld nicht wert sind".

Die beschriebenen Zweifel der Verbraucher am Nutzen und die z. T. ihrerseits zweifelhaften Nutzenbewertungen, die diesbezüglich publiziert werden, werfen verschiedene Fragen auf. Was ist eigentlich unter dem Nutzen rezeptfreier Arzneimittel zu verstehen, wie ist dieser zu bewerten und welche Aspekte sollten dabei einfließen sowie nicht zuletzt die Frage, wer sollte diese Bewertung vornehmen und welche Rolle kann und sollte dabei das pharmazeutische Personal in der Apotheke spielen?

Nutzen und Nutzenbewertung von Arzneimitteln

Der Nutzen von Arzneimitteln. Der Nutzen eines Arzneimittels ergibt sich primär aus der Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität durch die Arzneitherapie für den Patienten.

Der Nutzenbegriff wird in der pharmakoökonomischen Literatur häufig als Nutzenbegriff im Sinne der mikroökonomischen Theorie verstanden, bei dem der einzelne Konsument im Mittelpunkt der Betrachtung steht. Der Nutzen für den Patienten zeigt sich beispielsweise in Form von gewonnenen symptomfreien Tagen, verbesserter Mobilität oder gewonnenen Lebensjahren. Die Bewertung des gesellschaftlichen Nutzens für eine medizinische Maßnahme erfolgt allerdings unter der Annahme eines "Standardpatienten". Dies erweist sich als problematisch, da jeder Mensch unterschiedliche Bedürfnisse hat und somit ein standardisierter Patient real nicht existiert. Der bewertete Nutzen ist aus diesem Grund nicht auf jeden Patienten übertragbar und erlaubt nicht die Aggregation zu einem gesellschaftlichen Nutzen. Dies stellt eine der Hauptschwächen der generalisierten Nutzenbewertung dar.

Besonderheiten von OTC-Präparaten in der Nutzenbewertung. Wie bei anderen gesundheitsökonomischen Evaluationen ist auch bei der Nutzenbewertung von OTC-Präparaten der sektorenübergreifende Nutzen der Therapie für das Gesundheitssystem insgesamt zu berücksichtigen. Durch Verwendung von OTC-Präparaten kann die Anzahl der Arztbesuche und der ärztlich veranlassten Leistungen nachweislich verringert werden. Als positiver externer Effekt werden die Ärzte entlastet, die so mehr Zeit für die Behandlung von Patienten mit schwerwiegenderen Erkrankungen haben und zum anderen werden somit Ausgaben für ärztliche Leistungen und Arzneimittel in der GKV reduziert. Der Verbraucher entscheidet selbst, ob und wie er sich behandelt, allerdings ist er als Laie nur eingeschränkt in der Lage den medizinischen Nutzen eines OTC-Präparates umfassend selbst zu bewerten. Daher muss ihm eine individuelle Bewertung von fachlich kompetenter Seite durch den Apotheker oder pharmazeutisches Personal zur Verfügung gestellt werden. Durch eine transparente und objektive Nutzenbewertung soll der Verbraucher in die Lage versetzt werden, fundierte eigenständige Entscheidungen in der Selbstmedikation zu treffen.

Bei einer Nutzenbewertung für Selbstmedikationspräparate ist die Anwendungsbeobachtung unter Alltagsbedingungen den klinischen Studien zur Wirksamkeit vorzuziehen. Dies sollte allgemein für eine Arzneimittel-Nutzenbewertung gelten, aber im Besonderen für ein OTC-Präparat, das in der Selbstmedikation angewandt wird. Bei einer erfolgreichen Therapie unter Selbstmedikation ist für den Patienten und auch aus der Perspektive der Gesellschaft eine wissenschaftlich belegte Wirksamkeit nicht von vorrangiger Bedeutung. Die Nutzenbewertung einer solchen Therapie sollte daher den Schwerpunkt auf patientenrelevante Endpunkte anstatt klinischer Evidenz legen und eine sektorenübergreifende, gesellschaftliche Bewertungsperspektive einnehmen.

Hervorzuheben ist auch die spezielle Bedeutung der Compliance des Patienten bei der Nutzenbewertung in der Selbstmedikation. Das Bedürfnis des Patienten nach Selbstbestimmung ist eine wichtige psychologische Motivation für eine gute Compliance, dem durch das eigenverantwortliche Handeln in der Selbstmedikation optimal entsprochen wird. [1] Verdeutlicht wird dies dadurch, dass ca. 50 % aller Patienten verordnete Arzneimittel gar nicht bzw. nicht korrekt anwenden und damit medizinische und gesundheitsökonomische Nachteile herbeiführen. Um die Bedeutung des Faktors Compliance bei der Nutzenbewertung für OTC-Präparate zu veranschaulichen, sind der Tabelle 1 die Nutzwerte eines Arzneimittels zu entnehmen, die sich aus dem Produkt der Wirksamkeit und der zu erwartenden Compliance ergeben.

Diese Werte lassen erkennen, dass eine hohe Compliance mit einem hohen Nutzwert einhergeht und dem Stellenwert der Wirksamkeit in Bezug auf das Ergebnis nicht nachsteht. Da Selbstmedikationspräparate die Compliance positiv beeinflussen, wird auch der Nutzen entsprechend steigen. Bei der positiven Beeinflussung der Patientencompliance in der Selbstmedikation besitzt die pharmazeutische Beratung in der Apotheke eine Schlüsselrolle. Dies gilt besonders vor dem Hintergrund der oben zitierten schwach ausgeprägten Wirküberzeugung der Verbraucher bei OTC-Präparaten.

In der Selbstmedikation sollte eine sektorenübergreifende Bewertung des Gesamtnutzens unter Berücksichtigung der zuvor genannten Gesichtspunkte erfolgen. Dieser Gesamtnutzen ist in drei Teilbereiche der Bewertung zu unterteilen (siehe Tabelle 2).

Diese drei Komponenten sind als Besonderheit in die Nutzenbewertung von Selbstmedikationspräparaten unter Berücksichtigung des Patienten und der Anwendung im Alltag mit einzubeziehen. Auf diese Weise kann dann der relevante Gesamtnutzen ermittelt werden. Diese Endpunkte sollen für die Nutzenbewertung von OTC-Präparaten auf das sogenannte Drei-Komponenten-Outcome-Modell übertragen werden (Abbildung 2). Eine praktische Anwendung dieses Modells wurde im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit am Beispiel der Antazida bei Refluxerkrankungen durchgeführt. [2] Ein weiteres Beispiel für eine gesundheitsökonomische Bewertung rezeptfreier Arzneimittel, die den beschriebenen Anforderungen genügt, betrifft die Nicotinersatztherapie zur Raucher-entwöhnung. [3]

Derzeitige Bewertungsverfahren von OTC-Präparaten

Beispiel 1: Patienteninformationen durch das IQWiG. Mit dem GKV-Modernisierungsgesetz 2004 hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, die Aufnahme bzw. den Verbleib von Arzneimitteln im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung von einer Nutzenbewertung abhängig zu machen. Mit dieser und weiteren Aufgaben wurde das zeitgleich geschaffene Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) beauftragt. Mit dem zum 1. April 2007 in Kraft getretenen GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz wurde der Auftrag des IQWiG dahingehend erweitert, dem Nutzen künftig auch die Kosten gegenüberstellen zu können (sog. Kosten-Nutzen-Bewertung). Der gesetzliche Auftrag schließt grundsätzlich auch die Bewertung rezeptfreier Arzneimittel nicht aus, sofern diese für eine Erstattung im Rahmen der GKV in Betracht kommen. Insofern können auch Arzneimittel, die zur Anwendung in der Selbstmedikation zur Verfügung stehen, Gegenstand einer regulären Kosten-Nutzen-Bewertung sein.

Wichtiger als diese gesetzlichen Aufträge zur Kosten-Nutzen-Bewertung sind für den Bereich der Selbstmedikationspräparate allerdings die mittelbaren Auswirkungen, die mit der Etablierung pharmakoökonomischer Ansätze in Deutschland einhergehen. Sind gedankliche Ansätze zur Bewertung von Arzneimitteln bereits etabliert und entsprechende Institutionen damit betraut, so ist es naheliegend, die Analyse auch auf nicht erstattungsfähige Arzneimittel auszudehnen. Ein verstärktes Interesse der Öffentlichkeit an entsprechenden Fragestellungen ist nicht zuletzt dadurch sichergestellt, dass infolge des OTC-Erstattungsausschlusses die Mehrzahl der rezeptfreien Arzneimittel von den Patienten selbst zu bezahlen sind und somit ein verstärktes Interesse der Verbraucher an der Notwendigkeit, dem therapeutischen Nutzen und im Endeffekt dem Preis-Leistungs-Verhältnis dieser Präparate besteht.

Durch die Schaffung eines eigenen IQWiG-Ressorts "Patienteninformationen" und einem Verbraucherportal "www.gesundheitsinformation.de" wurde hierfür seitens des Instituts auch die institutionelle Plattform geschaffen. Das Ressort versteht sich als "ein effektiver, zuverlässiger, vertrauenswürdiger und populärer Herausgeber von evidenzbasierten Gesundheitsinformationen für Bürger und Patienten…". Die Gesundheitsinformationen des IQWiG "sollen einer allgemeinen gesundheitlichen Aufklärung dienen" und "eigenständige und eigenverantwortliche Entscheidungen in Gesundheitsfragen fördern". Mittel der Zielerreichung sind neben der genannten Internetseite insbesondere Merkblätter und Presseinformationen zu verschiedensten gesundheits- und therapierelevanten Fragestellungen. Es entspricht sowohl der o. g. selbst definierten Zielsetzung des Ressorts als auch den bisherigen praktischen Erfahrungen, dass das IQWiG mit seinen Gesundheitsinformationen selbstmedikationsrelevante Themen aufgreift. Insofern trägt das Institut zur Meinungsbildung bei den Verbrauchern bei, zugleich werden aber auch wichtige Interessen- und Kompetenzfelder der Apothekerinnen und Apotheker im Hinblick auf ihre pharmazeutische Beratung zu Selbstmedikationspräparaten tangiert. Um dies zu verdeutlichen, wird exemplarisch das IQWiG Merkblatt "Erkältungen – Hält Vitamin C gesund?" (Abbildung 3) näher betrachtet.

Beispiel 2: Arzneimittelbewertungen der Stiftung Warentest. Nicht nur das IQWiG nimmt an prominenter Stelle Nutzenbewertungen für OTC-Präparate vor. Auch das "Handbuch Selbstmedikation" der Stiftung Warentest bewertet diese Arzneimittel. In der aktuellen Ausgabe wurden insgesamt 2000 Medikamente mit dem Ergebnis bewertet, dass 35 % dieser Präparate als "wenig geeignet" anzusehen sind. Im Lichte dieser schlechten Bewertungsergebnisse ist an dieser Stelle anzumerken, dass bei den Bewertungen für das Handbuch alle zuvor betrachteten Aspekte der Nutzenbewertungen nicht berücksichtigt werden: Die Bewertungen werden ohnehin nicht auf Basis eigenständiger Prüfungsverfahren durchgeführt. Es erfolgt lediglich eine Beurteilung der Selbstmedikationspräparate anhand von veröffentlichter internationaler und nationaler Literatur und geeigneten klinischen Studien. [5] Das ist für den Verbraucher unter Umständen irreführend, da dieser grundsätzlich wohl eher davon ausgeht, dass die Verbraucherorganisation für ihn die Präparate selbst getestet hat, wie es in anderen Bereichen üblich ist. Tatsächlich basieren die Resultate der Bewertung aber nur auf den Rechercheergebnissen der freien Autoren dieses Buches.

Nach den Bewertungsmaßstäben des Handbuches ist ein Medikament dann als geeignet anzusehen, wenn ein Mittel eine ausreichende Wirkung bei der entsprechenden Indikation besitzt und ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis aufweist. Des Weiteren soll das Arzneimittel einen hohen Erprobungsgrad in der Selbstbehandlung haben. Genau diese Kriterien der Wirksamkeit, Sicherheit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels waren aber Gegenstand der Zulassung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) (§ 1,2 und § 21-37 AMG): Nur wenn die oben genannten Anforderungen erfüllt sind, bekommt das Arzneimittel eine Zulassung und darf auf den Markt gebracht werden.

Ein Arzneimittel, das nach dem Handbuch als "wenig geeignet" anzusehen ist, hat eine Zulassung erhalten und damit das Prüfungsverfahren des BfArM durchlaufen. Vor diesem Hintergrund sind die Methodik des Handbuches und dessen Ergebnisse als kritisch anzusehen. Durch die schlechten Bewertungsergebnisse trägt dieses Buch potenziell dazu bei, die eingangs geschilderte Vertrauenskrise bei Selbstmedikationspräparaten zu verschärfen. Dass die Stiftung Warentest als Herausgeber ein großes Vertrauen in der Bevölkerung genießt, verstärkt diese Befürchtung.

Individuelle Nutzen-bewertung durch pharmazeutische Beratung

Alle in Deutschland im Verkehr befindlichen Arzneimittel hatten im Rahmen ihrer Zulassung ihre Wirksamkeit, Qualität und Unbedenklichkeit zu belegen. Es kann somit im Grundsatz unterstellt werden, dass mit der Anwendung erfolgreich zugelassener Arzneimittel für den Patienten ein Nutzen verbunden ist. Ob und wie dieser Nutzen in konkreten Behandlungsfällen oder bei bestimmen Patientengruppen einzuschätzen ist und ob der Nutzen regelmäßig die mit der Therapie verbundenen Kosten rechtfertigt, ist Gegenstand von Nutzen- bzw. Kosten-Nutzen-Bewertungen wie sie oben bereits angesprochen wurden. Es liegt in der Natur solcher publizierter Nutzenbewertungen, dass sie auf eine Vielzahl von Fällen abstellen und dabei in starker Weise vereinfachen und verallgemeinern sowie von individuellen Bedürfnissen abstrahieren müssen. Ob es im Einzelfall zum Kauf eines Selbstmedikationspräparats und seiner Anwendung kommt, hängt hingegen davon ab, ob der potenzielle Verbraucher im konkreten Fall zu der Überzeugung gelangt, dass der Präparatenutzen die Therapiekosten, hier insbesondere den Kaufpreis, aufwiegt (Abbildung 4).

Die richtige Antwort auf die Frage der Kosten-Nutzen-Abwägung einer Arzneimittelanwendung kann sich im Einzelfall gänzlich von der publizierten allgemeinen Bewertung unterscheiden. Der Preis eines Selbstmedikationspräparats beträgt im Durchschnitt (2006) 7,62 Euro. Das Gegengewicht hierzu stellt der Nutzen dar, den der potenzielle Kunde dem Präparat beimisst. Eine Kernaussage der oben zitierten BAH-Marktforschungsergebnisse ist die, dass eine immer größere Zahl von Verbrauchern zu der Überzeugung gelangt, "OTC-Präparate sind ihr Geld nicht wert", und somit konsequenterweise auf den Arzneimittelkauf verzichten. Die detaillierte Analyse und vorangegangene Marktforschungsergebnisse zeigen, dass die Kostenseite bzw. der Preis als solcher in der Regel für diese Bewertung nicht ausschlaggebend ist. Vielmehr kennen viele Verbraucher die Preise des von ihnen gekauften Arzneimittels selbst unmittelbar nach dem Kaufakt nicht, so dass auch eine deutliche Preissenkung nicht zwangsläufig die individuelle Kosten-Nutzen-Bewertung anders ausfallen lassen würde. Vielmehr erweist sich die Wirksamkeit bzw. die Wirküberzeugung was gleichsam einer "gefühlten Wirksamkeit" entspricht, als der zentrale Nutzenaspekt. Hinzu kommt der Aspekt der Anwendungssicherheit, der jedenfalls dann in den Vordergrund tritt, wenn Zweifel an der Wirksamkeit des Arzneimittels bestehen. An dieser Stelle kommt die Bedeutung der pharmazeutischen Beratung in der Apotheke zum Tragen. Der Nutzen einer Arzneimittelanwendung kann letztendlich nur situativ und im Einzelfall beurteilt werden, so dass eine verallgemeinerte und publizierte Nutzen- oder Kosten-Nutzen-Bewertung nicht mehr liefern kann als bestimmte Anhaltspunkte, die im konkreten Fall mehr oder weniger Gewicht haben können.

Das pharmazeutische Personal in den Apotheken besitzt die Sachkompetenz und zudem das notwendige Vertrauen der Bevölkerung, um persönliche Empfehlungen abzugeben und mithin das Wirkvertrauen sowie ggf. die Therapietreue der Arzneimittelverwender zu stärken. Die Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln ist somit für die Apotheken mehr als nur ein abstraktes Thema, das sie mittelbar über den Umfang der erstattungsfähigen Arzneimittel betrifft, sondern sie kann auch in die alltägliche Beratungspraxis im Rahmen der Arzneimittelabgabe in der Apotheke einfließen.

Hinweis: Dieser Artikel wurde in Anlehnung an die unten aufgeführte Diplomarbeit der RFH Köln verfasst.

Quellenverzeichnis:

[1] Vgl. Heuer, A.O. et al, Compliance in der Arzneitherapie, S.

[2] Kolvenbach, C., Arzneimittelnutzen in der Selbstmedikation – Eine Analyse am Beispiel der Antazida bei Refluxerkrankung, Diplomarbeit RFH Köln, Studiengang Medizin-Ökonomie, Köln 2006

[3] Wasem, J., Jung, M., May, U., Ochotta, T., Hessel, F., Wegner, C., Gutsch, A., Neumann, A., Nutzen und Kosteneffektivität der Nicotinersatztherapie zur Raucherentwöhnung – eine entscheidungsanalytische Modellierung der direkten medizinischen Kosten, zur Publikation angenommen bei: Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement, 22. August 2007

[4] Vgl. Gesundheitsinformation.de, Themengebiet Erkältungen. http://www.gesundheitsinformation.de/erkaeltungen-haelt-vitamin-c-gesund.218.174.html, Mai 2007

[5] Vgl. Stiftung Warentest (Hrsg.), Glaeske et al., Handbuch Selbstmedikation, 2. Auflage, Verlag Stiftung Warentest, Berlin 2006, S.32

Die Verfasser: Christiane Kolvenbach, Medical Contact AG, Kronprinzstr. 5 - 7, 45128 Essen,

Dr. Uwe May, BAH, Ubierstr. 71 - 73, 53173 Bonn
IQWiG-Merkblatt – von fragwürdigem Wert
In der Patienteninformation "Erkältungen – Hält Vitamin C gesund?" fällt zunächst auf, dass die Aussagen teilweise nicht schlüssig sind. Im ersten Satz heißt es "Die tägliche Einnahme von Vitamin C bietet für die meisten Menschen keinen Schutz vor Erkältungen. Wenn man dann aber erkrankt, fallen Husten oder Schnupfen knapp einen Tag kürzer aus." Ein Widerspruch ergibt sich dadurch, dass im gleichen Merkblatt die von der Cochrane Collaboration analysierten Ergebnisse entsprechender Studien zu dem Ergebnis kommen, dass "selbst eine Dosis von 2 Gramm pro Tag Vitamin C den Großteil der Teilnehmer nicht davor schützte, sich eine Erkältung zuzuziehen. Allerdings fielen Erkältungen bei Erwachsenen, die vorher schon täglich Vitamin C eingenommen hatten, um etwa einen Tag kürzer aus, bei Kindern um etwa eineinhalb Tage." [4] Demnach bietet die regelmäßige tägliche Einnahme von Vitamin C bei Erkältungen einen Nutzen, der sich aus der Verkürzung des Krankheitsverlaufs ergibt. Dem Patienten wird aber gleichzeitig die Information gegeben, dass meist kein Schutz vor Erkältungen durch die Einnahme von Vitamin C besteht. Dies ist für den medizinischen Laien irreführend und es stellt sich die Frage nach dem Wert dieser Information für den Patienten.
Auch mit dem Hinweis, dass für Extremsportler und Menschen, die kurzzeitig extremer Kälte ausgesetzt sind, hochdosiertes Vitamin C tatsächlich Erkältungen vorbeugen kann ist dem "normalen Patienten" nicht geholfen. Dieser sorgt im Zweifelsfall für weitere Irritierung – grundsätzlich könnte jeder Mensch zur kalten Jahreszeit kurzzeitiger extremer Kälte ausgesetzt sein.
Für die Beratung in der Apotheke ist auch die Bemerkung, dass der Körper Vitamin C nicht speichern kann und der Überschuss normalerweise innerhalb weniger Stunden ausgeschieden wird, von Bedeutung. Es fehlt hier z. B. der Hinweis, dass die Apotheke aus diesem Grund auch retardierte Präparate bereithält, die über den Tag verteilt gleichmäßig Vitamin C abgeben. Die Informationen des Portals sind also abschließend betrachtet für den Patienten teilweise von fragwürdigem Wert und nicht immer vollständig. Auf eine umfassende Gesamtbewertung des Präparatenutzens im Sinne der oben beschriebenen Kriterien wird – nicht nur in dem hier zitierten Beispiel – gänzlich verzichtet.
Abbildung 1: BAH/ICON – Bevölkerungsbefragung 2006
Abbildung 2: Drei-Komponenten-Outcome-Modell in der Nutzenbewertung

Quelle: eigene Darstellung, basierend auf: Koller et al., Methodenvielfalt in der klinischen Forschung, MMW Originalien II/2006 Sonderdruck, Urban & Vogel, München 2006
Abbb: 4: Die Kosten-Nutzen-Abwägung ist für den Kunden nicht einfach. Das pharmazeutische Personal hat die Fachkompetenz und das Vertrauen der Bevölkerung, um persönliche Empfehlungen abzugeben.

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