Arzneimittel und Therapie

Pantumorkonzept

Bei der Tumorangiogenese spielt der Wachstumsfaktor VEGF eine entscheidende Rolle. Er bindet an Rezeptoren auf Endothelzellen und setzt dort eine intrazelluläre Signalkette in Gang. In der Folge kommt es zur Aussprossung neuer Kapillaren in Richtung des angiogenen Stimulus (links). Der Antikörper Bevacizumab fängt den vom Tumor ausgesendeten VEGF ab und verhindert damit das Einwachsen von Kapillaren in den Tumor (rechts).

Angiogenesehemmer auch beim Lungenkarzinom zugelassen

Der Angiogenesehemmer Bevacizumab (Avastin®) wurde jüngst von der EMEA auch zur First-line-Therapie des fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinoms (NSCLC) zugelassen. Die Zulassung basiert auf zwei Phase-III-Studien, in denen gezeigt wurde, dass der VEGF-Antikörper das progressionsfreie Überleben sowie das Gesamtüberleben der Patienten signifikant verlängert.

Die Hemmung der Gefäßneubildung entwickelt sich derzeit zu einem wesentlichen Standbein in der modernen Onkologie. Denn der Hemmstoff Bevacizumab, der den vaskulären Wachstumsfaktor VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor) bindet und damit die Signalgebung in die Zellen unterbindet, wurde zunächst beim kolorektalen Karzinom und später auch zur First-line-Therapie beim Mammakarzinom zugelassen. Es folgte die Zulassung beim fortgeschrittenen nicht kleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC) und auch beim Nierenzellkarzinom gibt es Hinweise auf günstige Effekte unter Bevacizumab. Inwieweit auch bei anderen Tumoren eine klinische Wirksamkeit besteht, wird derzeit in einem umfassenden Prüfprogramm mit rund 130 Studien, in die mehr als 40.000 Patienten eingeschlossen sind, untersucht. Die Angiogenesehemmung ist somit auf dem besten Weg, sich zu einem Pantumorkonzept zu entwickeln.

Die Zulassung zur Therapie des NSCLC basiert auf zwei Phase-III-Studien bei Patienten mit fortgeschrittenem Tumor. In der US-Studie E4599 der ECOG (Eastern Cooperative Oncology Group) wurden die Patienten mit Paclitaxel und Carboplatin behandelt, wie dies in den USA als Chemotherapie des NSCLC üblich ist. Patienten in einem zweiten Studienarm erhielten zusätzlich Bevacizumab. Der VEGF-Antikörper steigerte die Ansprechrate signifikant von 15% auf 35%, das progressionsfreie Überleben von 4,5 auf 6,6 Monaten und die mediane Überlebenszeit von 10,3 auf 12,3 Monate, wodurch beim fortgeschrittenen nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom erstmals mediane Überlebenszeiten von mehr als einem Jahr erreicht wurden.

In der Avail-Studie (Avastin in Lung) wurde Bevacizumab in Dosierungen von 7,5 mg/kg und 15 mg/kg Körpergewicht verabreicht und zwar zusätzlich zu der in Europa üblichen Chemotherapie mit Cisplatin und Gemcitabin. Primärer Endpunkt dieser Studie war das progressionsfreie Überleben, das durch Bevacizumab in beiden Dosierungen signifikant verlängert wurde. Die Ansprechrate verbesserte sich zugleich von 20% unter alleiniger Chemotherapie auf 34% im Studienarm mit der niedrigeren und auf 30% bei der höheren Dosierung des Angiogenesehemmers. Zu allen Zeitpunkten war die Rate der Patienten mit stabiler Erkrankung in beiden Verum-Armen höher als im Vergleich zu Placebo, Daten zur Gesamtmortalität liegen bislang noch nicht vor.

VEGF-Hemmung ist sicher und gut verträglich

Bevacizumab erwies sich in beiden Studien nicht nur als wirksam sondern auch als sicher und gut verträglich. Als Nebenwirkungen wurden Blutdruckanstiege registriert, die aber gut zu beherrschen waren, sowie ein etwas erhöhtes Blutungsrisiko. Schwere endobronchiale Blutungen traten in der Avail-Studie etwas häufiger auf als in der Kontrollgruppe, in der zwei Patienten betroffen waren. Unter 7,5 mg/kg Bevacizumab waren es fünf und unter der höheren Dosierung drei Patienten.

Die Sicherheit des VEGF-Antikörpers bestätigen die ersten Daten der SAiL-Studie (Safety of Avastin in Lung), einer offenen Untersuchung, an der weltweit mehr als 2000 Patienten mit nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom teilnehmen sollen. 680 Patienten wurden inzwischen im Rahmen der Studie mit Bevacizumab zusätzlich zur Chemotherapie behandelt. Bei 2,1% von ihnen wurde als Folge eine Hypertonie gesehen, bei 1% eine Granulozytopenie, bei 0,4% eine Venenthrombose, bei 0,4% ein Lungenödem und bei 0,4% Nasenbluten. Dem standen Nebenwirkungen der Chemotherapie gegenüber und zwar bei 10,3% der Patienten in Form einer Granulozytopenie, bei 3,5% als Leukozytopenie und bei weiteren 2,9% als Thrombozytopenie.

Quelle

Prof. Dr. Frank Griesinger, Oldenburg; Dr. Martin Reck, Großhansdorf: Pressekonferenz "Avastin® First-Line bei Lungenkrebs – Überwindung des Therapiestillstandes", Frankfurt, 13. September 2007, veranstaltet von der Roche Pharma AG, Grenzach-Wyhlen.

Christine Vetter, freie Medizinjournalistin
Keine vermehrten thromboembolischen Komplikationen
Diskutiert wird in jüngster Zeit, ob möglicherweise unter Bevacizumab ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall besteht. Entsprechende Hinweise hatte eine umfassende Datenanalyse ergeben. Die Daten aus den beiden vorliegenden kontrollierten Phase-III-Studien beim Lungenkarzinom bestätigen einen solchen Verdacht laut Prof. Dr. Frank Griesinger, Oldenburg, aber nicht. In keiner der beiden Studien, in die insgesamt mehr als 2000 Patienten eingeschlossen wurden, zeigte sich ein statistisch signifikant erhöhtes Risiko, betonte der Onkologe gegenüber der DAZ.
Zwar wurde in der US-Studie E4599 mit 0,5% eine leicht erhöhte Ereignisrate gesehen, die Rate in der Kontrollgruppe aber lag bei 0%, ein laut Griesinger bei diesen Patientenkollektiv eher unwahrscheinlicher Wert, der möglicherweise auf einen Erhebungsfehler hindeutet.
Keine erhöhte Rate ischämischer Ereignisse ergab sich zudem in der Avail-Studie. Im Gegenteil: Die Häufigkeit alle ischämischer Komplikationen lag in der Kontrollgruppe bei 5%, bei Patienten unter 7,5 mg/kg Bevacizumab bei 2% und bei einer Behandlung mit 15 mg/kg Bevacizumab bei 3%.
Der rekombinante humanisierte monoklonale Antikörper Bevacizumab (Avastin®) bindet an den Gefäßwachstumsfaktor VEGF (vascular endothelial growth factor) und hemmt dadurch die Bindung von VEGF an seine Rezeptoren auf der Oberfläche von Endothelzellen. Die Neutralisierung der biologischen Aktivität von VEGF reduziert die Vaskularisierung von Tumoren, wodurch das Tumorwachstum gehemmt wird.
Bevacizumab wird in Deutschland
  • in Kombination mit intravenösem 5-Fluorouracil/Folinsäure oder intravenösem 5-Fluorouracil/Folinsäure/Irinotecan zur First-line-Behandlung von Patienten mit metastasiertem Kolon- oder Rektumkarzinom angewendet.
  • in Kombination mit Paclitaxel zur First-line-Behandlung von Patienten mit metastasiertem Mammakarzinom angewendet.
  • zusätzlich zu einer Platin-haltigen Chemotherapie zur First-line-Behandlung von Patienten mit inoperablem fortgeschrittenem, metastasiertem oder rezidivierendem nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom außer bei vorwiegender Plattenepithel-Histologie angewendet.

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