DAZ aktuell

Fremd- und Mehrbesitz

"Korruption ist überall, auch bei uns"

(ghb). Welche Verhältnissse dem deutschen Gesundheitswesen blühen könnten, falls der Europäische Gerichtshof tatsächlich den Fremd- und Mehrbesitz von Apotheken freigibt, zeigt sich derzeit am Beispiel Norwegens. Dort ermittelt die Kriminalpolizei gegen die drei Grossisten Apokjeden, Norsk Medisinaldepot (NMD) und Alliance Boots. Die Gesellschaften stehen unter dem Verdacht, Rezepte im Wert von mehreren Millionen bis Milliarden Kronen falsch abgerechnet zu haben. Die DAZ sprach zu diesem Thema mit Dr. Gabriele Bojunga, gesundheitspolitische Sprecherin der Antikorruptions-Organisation Transparency International.

DAZ Frau Dr. Bojunga, wie beurteilen Sie den jetzt bekannt gewordenen Verdacht des Abrechungsbetrugs in Norwegen aus Sicht von Transparency International?

Bojunga: Der ganze Fall ist ja nur aufgerollt worden dank der hartnäckigen Recherchen der norwegischen Tageszeitung "Aftenposten". Es handelt sich hier um den Verdacht auf Abrechnungsbetrug in Millionenhöhe. Geschätzt wird vom norwegischen Arzneimittelwerk NAV, dass ein Schaden bis zu einer Milliarde Kronen, also rund 130 Millionen Euro, entstanden sein könnte.

DAZ Wie wurde dabei vorgegangen?

Bojunga: Die ermittelnden Behörden vermuten, dass die Großhändler mit zwei Preisen operiert haben, einem höheren Preis, der den Krankenkassen berechnet wurde, und einem niedrigeren, der tatsächlich bezahlt wurde.

DAZ Es sind drei konkurrierende Ketten unter Verdacht. Wie kann es sein (wenn überhaupt), dass die alle denselben Betrug begehen?

Bojunga: Abrechnungsbetrug ist kein norwegisches Phänomen und findet in Ländern mit und ohne Ketten statt. Man kann weder die Topographie des Landes noch das Gesundheitssystem direkt mit Deutschland vergleichen. Doch wenn sich drei Anbieter den Markt aufteilen, bedarf es maximal zweier Telefongespräche, um sich abzusprechen.

DAZ Sie gehen also davon aus, dass sich abgesprochen wurde?

Bojunga: Das ist immerhin möglich, aber das darf man ja nicht unterstellen. Wir sehen aber an vielen anderen Beispielen, dass das zumindest denkbar ist: Etwa, wenn der Benzinpreis am selben Tag überall im Land auf einmal steigt.

d Drohen solche Verhältnisse bei uns auch, wenn Ketten kommen?

Bojunga: Wissen Sie, wir glauben immer, dass Deutschland quasi aus sich heraus vor solchen Machenschaften geschützt ist, weil wir Deutsche uns irgendwie für ehrlicher halten als den Rest der Welt. Dem ist nicht so, wie viele wissenschaftliche Untersuchungen zeigen. Korruption gibt es auch in Deutschland in großem Ausmaß. Wir von Transparency International fordern immer wieder und werden auch weiter härtere Gesetze gegen Korruption fordern. Also: ja, Deutschland ist hier auf jeden Fall gefährdet.

DAZ Wie kann es dann sein, dass die Politik (oder bestimmte politische Kreise) so scharf auf den Fremdbesitz sind?

Bojunga: Das ist doch eigentlich eine Frage, die Sie der Politik stellen müssen. Doch man muss konstatieren, dass auch die neueste Gesundheitsreform in keinster Weise das Problem Korruption und Betrug im Gesundheitswesen aufgreift, geschweige denn bekämpft. Der Tatbestand "Abrechnungsbetrug und Schädigung der Solidargemeinschaft" gehört dringend ins Strafgesetzbuch aufgenommen.

DAZ Kennen Sie ähnliche Verhältnisse aus anderen Branchen?

Bojunga: Was die Bildung von Quasi-Monopolen anbelangt, so haben wir ja als aktuelles und viel diskutiertes Beispiel die Marktaufteilung durch die Stromkonzerne. Auch Deutschland ist vor solchen Quasi-Monopolen nicht geschützt. Und eines muss Ihnen klar sein: billiger werden die Preise dadurch nicht, wie man gerade an den Stromkonzernen sieht.

DAZ Wo etablieren sich solche Strukturen besonders gerne?

Bojunga: Besonders gravierend wird die Situation, wenn (wie in Norwegen) Hersteller, Großhändler und eine Apothekenkette in einer Hand liegen. Man spricht hier von einer vertikalen Verwertungskette. Da ist Wettbewerb de facto nicht mehr möglich. Ich würde sagen, die Welt gerät dann gewissermaßen aus der Balance.

DAZ Frau Dr. Bojunga, vielen Dank für dass Gespräch.
Es brauchte erst eine Serie von großformatigen Reportagen in der Tageszeitung "Aftenposten", bevor die norwegische Polizei für Wirtschaftsverbrechen, Økokrim, ihre Ermittlungen gegen die drei großen norwegischen Apothekenketten im September dieses Jahres begann. Dabei durchsuchten die Beamten Räumlichkeiten der Grossisten und von Arzneimittelherstellern, die allerdings nur als unbeteiligte Dritte angesehen werden.
Die Vermutung geht dahin, dass die Großhändler gegenüber der staatlichen Gesundheitsversorgung höhere Preise für Rezepte abgerechnet haben, als sie tatsächlich bezahlt haben. Der Schaden soll laut "Aftenposten" bis zu einer Milliarde Kronen, also rund 130 Millionen Euro betragen.
Die beschuldigten Großhändler weisen den Verdacht weit von sich – eine Sprecherin von Alliance Boots betonte, man "begrüße" die Ermittlungen, da sich die Unschuld des Unternehmens herausstellen werde.

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