Feuilleton

Ausstellung

Schlangen und Drachen

"Schlangen und Drachen – Kunst und Natur" heißt eine gemeinsame Sonderausstellung des Herzog Anton Ulrich-Museums und des Naturhistorischen Museum in Braunschweig. Gezeigt werden lebende Tiere, Präparate und Kunstwerke, in denen Schlangen und Drachen das Thema sind oder eine wichtige Rolle im dargestellten Geschehen spielen.

Sieben weit aufgerissene Mäuler schnappen gierig nach einer Flugechse. Doch das Reptil fliegt davon, und auch dem Kolibri kann die Hydra nicht gefährlich werden. Dies ist nur eine von 446 Tafeln aus "Locupletissimi rerum naturalium thesauri accurata descriptio et iconibus artificiosissimis expressio, per universam physices historiam" von Albert Seba (1665–1736), die gegenwärtig im Herzog Anton Ulrich Museum Braunschweig präsentiert wird. Seba war Apotheker in Amsterdam und hatte eine umfangreiche Naturaliensammlung zusammengetragen, die er 1717 an Peter den Großen veräußerte. Danach begann er mit dem Aufbau einer neuen Sammlung, in der Schlangen einen Schwerpunkt bildeten. Dokumentiert wird sie in seinem vierbändigen "Thesaurus" (1734 bis 1765). Darin sind auch Wesen wie die siebenköpfige Hydra abgebildet, die nur in der Fantasie seiner Zeitgenossen existierten.

Auch Ulisse Aldrovandi, Basilius Besler, Konrad Geßner und andere Autoren der Renaissance und des Barock waren von Schlangen und Drachen fasziniert. Ihre "Erkenntnisse" waren jedoch großenteils spekulativ. So hielten sie die häufig in Höhlen entdeckten Knochen ausgestorbener Tierarten für Überreste von Drachen.

Die Auseinandersetzung der Menschen mit den legendenumwobenen Reptilien spiegelt sich auch in der bildenden Kunst vieler Völker wider. Im Christentum galt die sprichwörtlich "kluge" Schlange aufgrund ihrer Rolle beim Sündenfall als Inbegriff des Bösen. In anderen Kulturen hatte sie eher einen ambivalenten, zuweilen sogar positiven Stellenwert. Ihre Eigenschaft, sich zu häuten, galt als Zeichen für Wiedergeburt und Ewigkeit. So symbolisierte die Uräus-Schlange im Reich der Pharaonen die Regeneration. Sie beschützte den Sonnengott Re auf seinen nächtlichen Fahrten durch die Unterwelt gegen Apophis, den Herrscher der Finsternis, der nach den Vorstellungen der Ägypter ebenfalls eine Schlange war.

Symbol der Heilkraft

Da in Griechenland Schlangen in zahlreichen Arten und recht häufig verbreitet sind, war auch die altgriechische Sagenwelt von Schlangen bevölkert. Ständige Begleiterin des Heilgottes Asklepios war eine Natter, die sich um seinen Wanderstab ringelte. Die Heilgöttin Hygieia trat ebenfalls mit einer Schlange auf – es ist dieselbe Schlange, die zum Wahrzeichen der Pharmazie wurde. Der Schutzengel Agathosdaimon ("guter Geist") nahm die Gestalt einer Schlange an. Aufgrund ihrer erdgebunden "chthonischen" Lebensweise sagte man den Schlangen auch eine enge Beziehung zu den friedlich-mütterlichen Erdgöttinnen nach. Andererseits war die schreckliche Echidna ein Mischwesen aus Weib und Schlange.

Genius loci und Schatzhüter

Die alten Griechen glaubten, dass in einigen Schlangen die Seelen verstorbener Menschen weiterleben. Daraus entwickelte sich die Vorstellung vom genius loci (Schutzgott des Ortes). Ein Fabelwesen mit ähnlicher Funktion ist der weise, schatzhütende Drache; er hat seinen Ursprung wohl in der indischen Riesenschlange, welche die Griechen "Drakon" (der furchtbar Blickende) nannten. Immer wieder mussten Götter, Heroen und sogar der Heilige Georg gegen Drachen kämpfen, um ihre hehren Ziele zu erreichen.

Wolkenspeiende Drachen

Im alten China war der Drache eines der populärsten Fabeltiere. Er hielt sich am liebsten hoch in den Lüften auf und war (meistens) harmlos. Zudem war er ein Symbol für das männliche Prinzip yang und ab 206 v. Chr. auch für den Kaiser. Nur der Monarch durfte mit fünfklauigen Drachen verzierte Gewänder tragen.

Die Darstellung von Drachen im Reich der Mitte ist sehr variabel. Teilweise ähnelt ihr Kopf dem eines Kamels. Andere Drachen fallen durch dämonenartige Augen, Hirschgeweihe oder aber Tigerpranken auf. Als gutmütige Wesen spieen sie Wolken statt – wie im Abendland – Feuer.

Drachenzähne als Aphrodisiaka

Vermutlich sind Warane und Segelechsen die natürlichen Vorbilder chinesischer Drachen. Zudem beflügelten fossile Knochen und Zähne eiszeitlicher Säugetiere oder Belemniten die Fantasie und wurden als Überreste von Drachen angesehen. Chinesische Apotheker boten sie als Aphrodisiaka an, die, fein gemahlen, mit Reiswein eingenommen wurden.

Auch im Abendland regten Fossilien immer wieder die Fantasie der Menschen an. Zähne von Haien, Ammoniten, Hirnkorallen sowie Knochen vom Höhlenbären galten als Drachensteine mit geheimnisvollen Kräften. Schon Plinius d. Ä. hatte behauptet, ein Drachenstein entstehe aus dem Hirn eines Drachen, nachdem es demselben im Schlaf entnommen worden ist.

Drachenblut

Die Nibelungensage berichtet, dass die Haut des in Drachenblut gebadeten Helden Siegfried unverwundbar war. Hildegard von Bingen hingegen warnte, dass das Trinken unverdünnten Drachenbluts tödlich sei. Vermutlich handelte es sich dabei um Erdpech, d. h. natürlich aus der Erde ausgetretenes Erdöl. In der antiken Welt glaubte man, Zinnober sei eingetrocknetes Drachenblut. Deshalb zählte man das Mineral einst zu den Organsteinen. In China wiederum wurde behauptet, dass zur Erde gefallenes Drachenblut sich in Bernstein verwandelt.

Schlangengifte für die Pharmazie?

Auch wissenschaftliche Erkenntnisse aus neuerer Zeit werden in der Ausstellung ausführlich beleuchtet. So

zum Beispiel die Wirksamkeit von Schlangengiften und die Möglichkeit, daraus polyvalente Antisera herzustellen. Weil deren Gewinnung nicht mehr wirtschaftlich war, stellten zahlreiche Hersteller die Produktion ein. Zudem gibt es erste Erfolge in der Herstellung von Gegengiften mit modernen gentechnischen Verfahren.

Versuche, aus Schlangengiften Arzneimittel herzustellen, waren bisher wenig erfolgreich, wenn man von der Homöopathie (z. B. Lachesis) absieht. Das Enzym Ancrod (Arwin®) ist eine hochglykosylierte Serinprotease aus dem Gift der Malaiischen Grubenotter (Agkistrodon syn. Calloselasma rhodostoma) mit einer mittleren Molekülmasse von etwa 38.000. Es wirkt antikoagulativ und ist sogar fähig, Blutgerinnsel wieder aufzulösen. Nachdem Ancrod in den 80er- und 90er-Jahren von der Firma Knoll (heute BASF) klinisch erforscht worden war, hat die amerikanische Firma Neurobiological Technologies die Forschung fortgesetzt und hofft, eine Zulassung für das Präparat (Viprinex) zur Sofortbehandlung des Schlaganfalls zu erhalten. Die klinische Studie "European Stroke Treatment with Ancrod Trial" (ESTAT) war zwar negativ verlaufen, doch werden nun in den USA zwei neue klinische Studien ASP-I und ASP-II vorbereitet (siehe DAZ Nr. 11/2007 Seite 44 und www.ntii.com/wt/page/stroke_program).

Seriösen wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge eignen sich Schlangengifte nicht für die Therapie von Krebserkrankungen. Doch als Reagenzien in der Biochemie und Physiologie sind sie mittlerweile unverzichtbar. Für die Zukunft erwarten die Forscher, dass zumindest einzelne Bestandteile von Schlangengiften als Modelle für die Entwicklung neuer Medikamente genutzt werden können.

Reinhard Wylegalla
Herzog Anton Ulrich-Museum , Museumstr. 1, 38100 Braunschweig, Tel. (0531) 12250, Fax 12252408
Geöffnet: Dienstags bis sonntags 10 bis 17 Uhr, mittwochs 13 bis 10 Uhr
Staatliches Naturhistorisches Museum Braunschweig Pockelsstr. 10, 38106 Braunschweig, Tel. (0531) 288920, Fax 2889250
Geöffnet: Dienstags bis sonntags 9 bis 17 Uhr, mittwochs 9 bis 19 Uhr
Ausstellung-begleitendes Buch siehe Literaturtipp
Schlangen haben die Menschen immer schon fasziniert. Ihre Lautlosigkeit, Gefährlichkeit, ihr starrer Blick waren Anlass zur Mythenbildung. Während sie im christlichen Mittelalter durchweg verteufelt wurden, galten sie in der klassischen Antike, in Asien und Afrika auch als Heil- oder Glücksbringer und wurden als Ahnen oder Götter verehrt. Sehr differenziert ist auch das Urteil über den Drachen, eine "Weiterentwicklung" der Schlange.
Zoologen, Kunsthistoriker und Ethnologen erklären in diesem Buch die geheimnisvollen Reptilien und ihre Beziehung zum Menschen aus verschiedenen Blickwinkeln. Die Evolution ihrer 3000 Arten, ihre effiziente Fortbewegung, ihre außergewöhnlichen Sinnesleistungen werden genauso beleuchtet wie ihre Darstellung und Symbolik in der Kunst und Kultur vieler Völker.
Ulrich Joger, Jochen Luckhardt (Hrsg.)
Schlangen und Drachen – Kunst und Natur
320 Seiten, ca. 180 farbige Abbildungen, gebunden mit Schutzumschlag, 29,90 Euro
Primus Verlag, Darmstadt 2007 ISBN 978-3-534-21302-3
Dieses Buch können Sie einfach und schnell bestellen unter der Postadresse:
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