Arzneimittel und Therapie

Hormonelle Kontrazeption

Aus für die"Pille" für den Mann?

Immer wieder wurde sie angekündigt, und immer wieder wurde der Einführungstermin verschoben: die Pille für den Mann. Doch jetzt scheint das vorläufige Aus besiegelt zu sein. Nach der Übernahme von Schering durch die Bayer AG wurde die Forschung an einem hormonellen Kontrazeptivum für den Mann durch die Bayer Schering Pharma AG Mitte dieses Jahres eingestellt. Die Firma Organon, die mit Schering zusammengearbeitet hatte, war schon im Zuge der Übernahme durch die US-Pharmafirma Schering-Plough ausgestiegen.

Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die Bezeichnung der von Schering und Organon entwickelten "Pille für den Mann" als irreführend. Denn anders als bei Frauen gestaltete sich die Entwicklung eines hormonellen Kontrazeptivums für den Mann deutlich schwieriger. Das Ziel war mit einer einfachen regelmäßig einzunehmenden Pille nicht zu erreichen. Um die Spermien in ihrer Menge und Funktion so zu beeinträchtigen, dass sie nicht mehr in der Lage sind, eine Eizelle zu befruchten, hatten die Forscher an einer Kombination bestehend aus einem Gestagenimplantat und einer vierteljährlich zu verabreichenden Testosteronspritze gearbeitet.

Durch die Gestagengabe wird die Spermienproduktion in den Hoden reduziert. Gleichzeitig sinkt allerdings der Testosteronspiegel, was sich unter anderem in Potenzstörungen und vermindertem Lustempfinden bemerkbar macht. Zudem nimmt bei zu niedrigen Testosteronspiegeln langfristig die Knochendichte ab, Muskelmasse und -kraft schwinden, viszerale Fettpolster werden angesetzt. Die Männer werden antriebslos und müde, sie leiden unter Stimmungsschwankungen und Depressionen. Die Symptomatik ist direkt vergleichbar mit der, die auch für ein Androgendefizit des alternden Mannes, auch Altershypogonadismus genannt, beschrieben wird.

… Testosteron macht müde Männer munter

Um diese unerwünschten Gestagen-Wirkungen zu umgehen, muss Testosteron substituiert werden. Dazu wurde eine vierteljährlich zu applizierende Testosteroninjektion gewählt. Da die Spermienreifung in der Regel etwa 70 Tage dauert und in den Hoden ständig Spermienzellen in unterschiedlichen Reifestadien zu finden sind, ist erst nach einer Hormongabe von etwa drei Monaten mit einer Zeugungsunfähigkeit zu rechnen.

Erste Forschungsergebnisse klangen durchaus erfolgversprechend. In einer europaweiten Studie mit 350 Teilnehmern hatte sich diese Form der hormonellen Verhütung als sicher und gut verträglich erwiesen.

Stimmungsschwankungen auch unter Placebo

Probleme bereiteten jedoch Stimmungswechsel, die sich nur teilweise mit dem Eingriff in den Hormonhaushalt erklären lassen. Denn auch in der Placebogruppe litten die Männer unter entsprechenden Symptomen. Einer der Studienteilnehmer war der britische Journalist Clint Witchalls. In seinem Buch " Die Pille und ich – ein Selbstversuch" schildert er eindrucksvoll körperliche Veränderungen und die Achterbahn der Gefühle, die er unter den Hormongaben erlebt hat. Zunächst war er sehr beunruhigt darüber, dass die Hoden schrumpften. Hinzu kamen ständige Schweißausbrüche und extreme Stimmungsschwankungen. "Mein Leben gliederte sich in Phasen" , so Witchalls in einem Interview mit Welt online. "Wenn ich gerade Testosteron gespritzt bekommen hatte, war ich mutig, aggressiv, voller Energie – und vor allem: immer scharf auf Sex. Ich konnte kaum mehr Zeitung lesen, dafür aber unglaublich viel essen ohne zuzunehmen. In den Phasen vor der neuen Spritze war ich dagegen unsicher, anhänglich und introvertiert." Seine Frau verglich das Verhalten mit prämenstruellem Stress.

Keine Aussicht auf Markterfolg ...

Die Bayer Schering Pharma AG begründet ihren Entschluss, die Forschungen zu einem hormonellen Kontrazeptivum einzustellen, mit Problemen bei der medizinischen Realisierbarkeit, fehlender Nachfrage und damit nicht zu erwartendem Markterfolg. Zudem hätte kein Entwicklungsprojekt vorgelegen, das in den nächsten zehn Jahren zur Marktreife hätte gelangen können.

... oder zu geringe Gewinnerwartung?

Das sieht Prof. Dr. Eberhard Nieschlag vom Institut für Reproduktionsmedizin der Universität Münster anders. In einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk unterscheidet er zwischen der auf Hormonen basierenden Spritze, die seiner Meinung nach kurz vor der Marktreife stand, und der Forschung, die sich gegen gebildete Spermien richtet. Die Forschung um diese posttestikuläre Kontrazeption sei noch im Grundlagenstadium, hier sei in der Tat noch keine klinische Anwendung in Sicht. Nieschlag vermutet dagegen einen anderen Grund für die Entscheidung: die zu geringe Gewinnerwartung. Die Hormone, die für die Spritze für den Mann verwendet werden, befinden sich zur Therapie einer Hodenunterfunktion schon auf dem Markt. Mit ihnen würden hohe Preise erzielt. Kontrazeptiva, die vor allem für die dritte Welt bestimmt seien, müssten dagegen preiswert sein. Es sei natürlich schwierig, so Nieschlag, dasselbe Präparat teuer für die Hormonbehandlung anzubieten, andererseits billiger für die Kontrazeption. Akzeptanzprobleme sieht Nieschlag nicht und beruft sich dabei auf Umfragen, die unter anderem von der Firma Schering gemacht worden seien. Danach seien Männer durchaus bereit, Verantwortung zu übernehmen.

WHO und Population Council machen weiter

Doch auch wenn die Firmen Organon und Bayer Schering die hormonelle Kontrazeption bei Männern nicht mehr auf ihrer Agenda stehen haben, werde weiter geforscht, so Nieschlag gegenüber der DAZ. Die WHO wird wohl noch vor Ablauf dieses Jahres eine große weltweite Effizienzstudie mit einer Injektion von Testosteron plus Gestagen durchführen. Das Population Council der Rockefeller Foundation forscht unter anderem an Implantaten, die über ein Jahr wirken. Die WHO und das Population Council geben nach Ansicht Nieschlags damit zu erkennen, dass sie die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und weltweiter Bevölkerungszunahme erkannt haben. Denn die Millennium Development Goals (s. Kasten) seien ohne Begrenzung des Bevölkerungswachstums in den Entwicklungsländern nicht zu erreichen. Das habe auch das britische Parlament Anfang des Jahres festgestellt. Mit jedem neuen Erdbewohner und steigendem Lebensstandard werden die Ressourcen immer knapper und der Energie- und Rohstoffverbrauch immer größer. Ein Kontrazeptivum für den Mann würde nicht nur zur Gleichheit der Geschlechter (gender equality), sondern auch zur Stabilisierung der Weltbevölkerung einen Beitrag leisten. Die Pharmaindustrie und die meisten Politiker haben offensichtlich, so Nieschlag, diese verantwortungsvolle Aufgabe noch nicht erkannt. <

Quelle

Keine Pille für den Mann. Monika Seynsche im Gespräch mit Eberhard Nieschlag. Deutschlandfunk Forschung Aktuell. 11. Juni 2007.

Die Pille für den Mann macht wild auf Sex. Welt online 2. April 2007.

Witchall C: Die Pille und ich. Ein Mann im Selbstversuch. Rowohlt-Verlag 2007.

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Eine Arbeitsgruppe aus UN, Weltbank, OECD und anderen Organisationen haben im Jahr 2001 eine Liste von Zielen erstellt, die Millenium Development Goals. Im Einzelnen sind das:
  • Bekämpfung von extremer Armut und Hunger
  • Vollständige Primärschulbildung für alle Jungen und Mädchen
  • Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und Stärkung der Rolle der Frauen
  • Reduzierung der Kindersterblichkeit
  • Verbesserung der Gesundheitsversorgung von Müttern (Senkung der Müttersterblichkeitsrate um drei Viertel)
  • Bekämpfung von HIV/AIDS, Malaria und anderen schweren Krankheiten
  • Ökologische Nachhaltigkeit (Verbesserung des Umweltschutzes)
  • Aufbau einer globalen Entwicklungspartnerschaft

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