Arzneimittel und Therapie

Wachstumsstörungen

Hilfe bei Mangel an insulinähnlichem Wachstumsfaktor

Der rekombinante humane Insulin-like Growth Factor-1 (IGF-1) Mecasermin (Increlex®) hat die Zulassung zur Therapie des schweren primären IGF-1-Mangels erhalten. Er soll zum 2. November 2007 eingeführt werden, wie die Ipsen Pharma GmbH mitteilte. In der EU gibt es von dieser seltenen Krankheit nur etwa 46.000 Betroffene, eine Behandlung der Wachstumsstörung bei Kindern war bislang nicht möglich.

Mecasermin wird zur Langzeitbehandlung von Wachstumsstörungen bei Kindern und Jugendlichen mit schwerem primären Mangel insulinähnlichen Wachstumsfaktor (IGF-1, Insulin-like Growth Factor-1) angewendet, das für das Wachstum erforderlich ist. Patienten mit dieser Krankheit produzieren zwar das Wachstumshormon, allerdings reagiert der Körper nicht darauf: Die Betroffenen bleiben für ihr Alter klein. Bei diesem sogenannten primären Mangel liegen keine anderen, sekundären Ursachen für die niedrigen IGF-1-Spiegel wie Unterernährung oder eine Schilddrüsenunterfunktion vor. Ein schwerer primärer IGF-1-Mangel wird definiert durch:

  • einen Körpergrößen-SDS (Standard Deviation Score) ≤ -3,0 und
  • eine basale IGF-1-Konzentration unterhalb der 2,5. Perzentile für Alter und Geschlecht sowie
  • Wachstumshormonsuffizienz.

Schwerer primärer IGF-1-Mangel umfasst Patienten mit Mutationen im GH-Rezeptor, mit Mutationen im Post-GHR-Signalweg und mit IGF-1-Gendefekten. Diese haben keinen Wachstumshormonmangel, sodass sie auf eine Behandlung mit exogen gegebenem Wachstumshormon nicht ausreichend ansprechen würden. Sekundäre Formen des IGF-1-Mangels wie Unterernährung, Schilddrüsenunterfunktion oder chronische Behandlung mit antiinflammatorischen Steroiden müssen vor Therapiebeginn ausgeschlossen werden.

Mecasermin ist ein Protein, das aus zwei normalerweise vom Körper gebildeten Proteinen besteht: dem insulinähnlichen Wachstumsfaktor I (IGF-I) sowie dem insulinähnlichen Wachstumsfaktor-bindenden Protein 3 (IGFBP-3). Der aus Escherichia-coli -Zellen mittels rekombinanter DNA-Technologie gewonnene humane Insulin-like Growth Factor-1 Mecasermin besteht aus einer Kette von 70 Aminosäuren mit drei intramolekularen Disulfidbrücken und hat ein Molekulargewicht von 7649 Dalton. Die Aminosäurensequenz des Produkts ist identisch mit der des endogenen humanen IGF-1. Im Körper fördert das natürliche Wachstumshormon das Körperwachstum bei Kindern, indem es an seinen Rezeptor in der Leber bindet und die Synthese von IGF-1 stimuliert. IGF-I wiederum regt über eine intrazelluläre Signalkette das Knochenwachstum an. Mit Mecasermin wird der insulinähnlichen Wachstumsfaktor IGF-I als Proteinbestandteil direkt zugeführt und regt somit direkt das Knochenwachstum an. In Mecasermin ist IGF-I an IGFBP-3 gebunden, da hierdurch die Methode nachgeahmt wird, mit der IGF-I im Körper transportiert wird. Auf diese Weise kann IGF-I in höheren Dosen und über einen längeren Zeitraum im Körper zirkulieren als es bei ungebundenem IGF-I der Fall wäre.

Erhöhung der Wachstumsgeschwindigkeit

Mecasermin wurde in fünf klinischen Studien untersucht (vier offene und eine doppelblinde, placebokontrollierte Studie). In der placebokontrollierten Studie wurden 76 pädiatrischen Patienten mit schwerem primärem IGF-1-Mangel MecaserminDosen von 60 bis 120 µg/kg zweimal täglich subkutan gegeben. Die Kriterien für die Aufnahme der Patienten in die Studie waren extrem kleiner Körperwuchs, langsames Wachstum, niedrige IGF-1-Serumkonzentration und normale Wachstumshormonsekretion. Die längste Behandlungsdauer betrug zwölf Jahre. Im ersten Behandlungsjahr wurde fast eine Verdreifachung der Wachstumsgeschwindigkeit von im Mittel 2,8 cm/Jahr vor der Behandlung auf im Mittel 8,0 cm/Jahr unter Mecasermin erreicht. Auch in den Jahren zwei bis nach Therapiebeginn lag das Wachstum von etwa 5 cm/Jahr dauerhaft deutlich über dem Ausgangswert.

Applikationszeitpunkt verhindert Hypoglykämie

Die häufigsten unerwünschten Arzneimittelwirkungen bei der Behandlung mit Mecasermin sind Hypoglykämien. Durch eine Mahlzeit kurz vor oder nach der Verabreichung von Mecasermin wird die Hypoglykämie in der Regel vermieden. Auch eine akute Überdosierung kann Hypoglykämien zur Folge haben. Weitere häufiger beobachtete Nebenwirkungen stehen in Verbindung mit Effekten des IGF-1 auf das Lymphgewebe: tonsilläre Hypertrophien, Thymushypertrophie und Hypakusis. Es zeigte sich, dass die Größenzunahme von Nieren, Milz und Thymus sich im Beobachtungszeitraum abschwächte und keine klinische Konsequenz hatte.

Individuelle Anpassung der Dosierung

Die Behandlung mit Mecasermin wird mit einer Dosierung von 0,04 mg/kg Körpergewicht zweimal täglich s.c. begonnen. Je nach erreichter Wachstumsgeschwindigkeit und Verträglichkeit wird die Dosis dann bis zu einer Maximaldosis von 0,12 mg/kg Körpergewicht zweimal täglich s.c. individuell angepasst. Um Lokalreaktionen zu vermeiden, sollte der Injektionsort nach jeder Injektion gewechselt werden. Grundsätzlich handelt es sich um eine Langzeitbehandlung, die bis zum Schluss der Epiphysenfugen und damit der Beendigung des Wachstums fortgesetzt wird. Aufgrund fehlender Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit sollten Kinder unter zwei Jahren von der Behandlung ausgenommen werden.

Quelle

Fachinformation Increlex® , Stand August 2007.

Pressemitteilung der Ipsen Pharma GmbH vom 8. Oktober 2007.

ck
Der Insulin-like Growth Factor-1 (IGF-1) ist der hormonelle Hauptmediator für Körperwachstum. Unter normalen Bedingungen bindet das Wachstumshormon an seinen Rezeptor in der Leber und in anderen Weichteilen und stimuliert die Synthese/Sekretion von IGF-1. Im Zielgewebe wird der Typ 1 IGF-1-Rezeptor, welcher zum Insulinrezeptor homolog ist, durch IGF-1 aktiviert und die intrazelluläre Signalkette ausgelöst, wodurch mehrere Prozesse stimuliert werden, die zum Körperwachstum führen. Die metabolischen Wirkungen von IGF-1 führen zum Teil zur Stimulierung der Aufnahme von Glucose, Fettsäuren und Aminosäuren, so dass durch den Stoffwechsel Gewebewachstum gefördert wird.
Therapeutischer und missbräuchlicher Einsatz von Wachstumshormonen.
Med Monatsschr Pharm 2004;27(6):193-8

Wachstumsstörung bei Kindern Bei einem schweren Mangel an dem insulinähnlichen Wachstumsfaktor (IGF-1, Insulin-like Growth Factor-1) wird zwar das Wachstumshormon gebildet, allerdings reagiert der Körper nicht darauf: die Betroffenen bleiben für ihr Alter klein.
Foto: Forum Wachsen

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