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Arzneiversand – das braucht kein Mensch …

Das Symposium, das der Lehrstuhl Drug Regulatory Affairs am 10. und 11. Oktober in Bonn zum Thema "Versandhandel – Fortschritt der Arzneimittelversorgung oder Gesundheitsgefährdung" veranstaltete, brachte das gesamte Dilemma, das sich mit der Zulassung des Arzneiversands mittlerweile abzeichnet, aufs Tapet. Das Symposium, initiiert und durchgeführt von Professor Schweim, führte die seit 2004 – dem Jahr, in dem der Versandhandel für Deutschland erlaubt wurde – entstandenen Probleme deutlich vor Augen. Es ging dabei in erster Linie nicht darum, dass sich ein Bürger von einer deutschen Versandapotheke ein paar Vitamine oder sein Schmerzmittel nach Hause schicken lässt. Alle namhaften deutschen Versandapotheken arbeiten prinzipiell vorschriftsmäßig, auch wenn, wie Tests immer wieder feststellen, die Beratung hier und dort noch klemmt. Aber die läuft bekanntlich auch noch nicht in allen Präsenzapotheken so rund, wie man es sich wünschte. Nein, das große Dilemma liegt darin, dass die rot-grüne Bundesregierung "in vorauseilendem Gehorsam" den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zugelassen hat. Europa hatte dies seinerzeit nicht verlangt.

Seit 2004 werden also in Deutschland Rezepte und Arzneimittel quer durch die Republik versandt und sogar ins benachbarte Ausland. Ein unmittelbarer Vorteil ist für den Patienten nicht zu erkennen (statt zur Apotheke zu gehen, geht man nun zum Briefkasten), es sei denn, ausländische Apotheken locken (inländerdiskriminierend) mit dem Erlass der Rezeptzuzahlung oder inländische Versender setzen Wettbewerbsmittel ein, die am Rande der Legalität liegen (Gutscheinaktionen). Das Arzneimittel ist auf dem Versandweg, bis es in die Hände des Patienten gelangt, vielen Unwägbarkeiten und Einflüssen auf dem Transportweg ausgesetzt. Allein darin liegen bereits Gefahren, die beim Bezug in der Präsenzapotheke nicht vorkommen. Das eigentlich Gefährliche an dieser Art des Arzneimittelerwerbs ist dabei aber, dass das Arzneimittel bagatellisiert und zu einem alltäglichen Konsumgut herabgewürdigt wird. Dabei ist es doch eher, wie es Rechtsanwalt Dettling auf dem Symposium ausdrückte, ein "Anti-Konsumgut" und, wie alle Referenten es bekräftigten, eine Ware besonderer Art. Doch der Respekt vor dem Arzneimittel schwindet dadurch zusehends. Der Schritt, seine Arzneimitteln generell im Internet zu bestellen, fällt immer leichter, der Patient entdeckt Versandapotheken, die auch ohne Vorlage von Rezepten die gewünschten Präparate liefern, beispielsweise Lifestyle-Mittel wie Viagra, die man sowieso eher diskret beziehen möchte. Der Internetuser landet auf den Seiten von unseriösen ausländischen Versendern, bei denen man nie weiß, ob sie etwas schicken und was sie schicken. Nahezu die Hälfte der bei solchen Quellen bestellten Arzneimittel sind bereits heute gefälscht, d. h., sie stammen nicht vom Originalanbieter, sind von minderer Qualität und enthalten weniger, keinen oder einen anderen, zum Teil gefährlichen Wirkstoff. Das Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker konnte eindrucksvolle Beispiele für solche Sendungen liefern. Erinnert sei an die Ergebnisse der Propecia-Testkäufe oder das von Internetapotheken verschickte Sildenafil Jelly oder die Sildenafil Soft-Tabs, bei denen der Gehalt vollkommen falsch deklariert ist.

Das Symposium zeigte: Es wird höchste Zeit, dass gehandelt wird. Den Arzneiversand mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln braucht kein Mensch. Die deutliche Forderung lautet: sofortiges Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Er ist das Haupteinfallstor für Arzneimittelfälschungen in Deutschland. Doch die Einsicht bei den Verantwortlichen, bei der Regierung ist (noch) nicht gereift. (Trotz Einladung war kein Vertreter des Gesundheitsministeriums auf diesem Symposium erschienen.)

Statt sich zu einem Verbot durchzuringen, versucht man notdürftig Sicherheitspolster einzubauen: beispielsweise die "Länderliste", die angibt, in welchen EU-Ländern mit Deutschland vergleichbare Versandapotheken arbeiten und der Bezug somit sicher sei. Oder Veröffentlichungen des Bundesgesundheitsministeriums und des Europarats, die der Bevölkerung Kriterien an die Hand geben wollen, worauf man bei Arzneibestellungen übers Internet achten soll. Für mich stellt sich das als ein seltsames Unterfangen dar. Irgendwie ist es ein Eingeständnis: man weiß zwar, der Versandhandel mit Arzneimitteln übers Internet birgt Gefahren und kann nicht so sicher sein wie der Arzneimittelerwerb in der Präsenzapotheke, man hat aber trotzdem nicht den Mut, ein Verbot auszusprechen. Oder will man es sich nicht eingestehen, dass die Versandhandelserlaubnis ein Fehler war? Oder: die Sache hat Methode und der Versandhandel gehört zu einer Strategie, das Apothekenwesen in Deutschland anders zu ordnen. Dieser Verdacht drängt sich auf, wenn man weiß, dass die Behörden trotz eindeutiger Hinweise auf eklatante Missstände in diesem Bereich nicht tätig geworden sind oder nicht tätig werden wollen.

Peter Ditzel

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