Deutscher Apothekertag 2007

Geschäftsbericht der ABDA

An der Spitze, aber wie lange noch?

"Das deutsche Gesundheitssystem ist eines der besten der Welt, sagen hauptsächlich Ausländer." Besonders die Amerikaner würden von der Leistung und Kostenentwicklung des deutschen Systems träumen. Mit diesen Gedanken eröffnete Dr. Hans-Jürgen Seitz, Hauptgeschäftsführer der ABDA, seinen Geschäftsbericht und fragte sogleich, wie lange das deutsche System noch eine solche Spitzenstellung haben werde. Vor diesem Hintergrund berichtete er über die zahlreichen Belastungen der deutschen Apotheker während der Berichtsperiode 2006/2007.

Die jahrelange Kostendämpfungspolitik hinterlasse bereits Spuren bei der Patientenzufriedenheit. Zudem kritisiere der Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen, dass die Politik zu sehr an Kostensenkung und zu wenig an Gesundheitszielen orientiert sei. So wurde zu Beginn der Berichtsperiode das Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz (AVWG) umgesetzt und gleichzeitig bereits das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) diskutiert. Letzteres sei ein "keineswegs zu unterschätzendes Multifunktionsgesetz, das seine Wirkstoffe sukzessive freisetzt". Seitz erinnerte an "unzählige Aktionen" gegen das Gesetzesvorhaben, insbesondere die vier regionalen Demonstrationen mit über 40.000 Teilnehmern. Letztlich habe die einheitliche Apothekenvergütung für verschreibungspflichtige Arzneimittel erhalten und das Margen- und Zuzahlungsdumping ebenso wie die 500 Millionen-Haftung der Apotheker für Einsparungen durch Rabattverträge verhindert werden können. Allerdings sei der Zwangsrabatt auf 2,30 Euro gestiegen. Die zu erwartenden Ausschreibungen bei Hilfsmitteln und Zytostatikazubereitungen würden den Wettbewerb nochmals deutlich verschärfen. Das "Betäubungsmittel-Recycling" lasse noch viele Rechtsfragen offen.

Für die Zukunft würden die Herausforderungen kaum geringer. Das Gesundheitswesen werde von der Politik weiterhin als Kostenfaktor und nicht als Wachstumsbranche wahrgenommen. Die Gesetze würden in immer schnellerer Taktfolge und damit "unreifer" verabschiedet. Außerdem würden die europäischen Begehrlichkeiten auf die Einflussnahme hinsichtlich der nationalen Gesundheitspolitik steigen.

Die GKV-Finanzierung leide weiter an einer Einnahmenerosion und nicht an einer Kostenexplosion. Das Finanzproblem werde durch das GKV-WSG sogar vergrößert. Denn die Ausgaben steigen aufgrund der eigentlich wünschenswerten Ausdehnung des Leistungskataloges, während die Finanzmittel aus der Tabaksteuer wegfallen. Außerdem belaste die Mehrwertsteuererhöhung die GKV allein im Arzneimittelbereich mit jährlich etwa 600 Millionen Euro zusätzlich. Mit seinem Mehrwertsteuersatz auf Arzneimittel festige Deutschland seine traurige Position in der EU-Spitzengruppe. So sei auch etwa die Hälfte des Anstiegs der Arzneimittelausgaben um 5,2 Prozent im ersten Halbjahr 2007 auf die erhöhte Mehrwertsteuer zurückzuführen. Das Apothekerentgelt sei dagegen von 2002 bis 2006 von 4,1 auf 3,9 Milliarden Euro, also um etwa fünf Prozent gesunken. Durch die Erhöhung des Zwangsrabattes würden die Apotheken nochmals mit etwa 160 Millionen Euro jährlich belastet.

Problemfall Rabattverträge

Durch die Rabattverträge finde der Preiswettbewerb dort statt, wo er hingehöre: zwischen Hersteller und Krankenkassen. Dies sei ausdrücklich zu begrüßen. Doch würden die Apotheken und ihre Mitarbeiter die Hauptlast der Umsetzung tragen. Deren Erfahrungen seien bisher von Lieferdefekten, hohem Bürokratieaufwand, Mehrkosten durch Lagerhaltung und Datenaufbereitung und durch den Ärger mit wütenden und verunsicherten Patienten geprägt. Dies dürfe sich bei den neuen Rabattvertragsrunden keinesfalls wiederholen.

"Das Wettrennen um centoptimierte Niedrigstpreise mit dauerndem Präparatewechsel ist nicht im Patienteninteresse. Wenn der Patient nicht mitmacht, ist nichts gewonnen", erklärte Seitz. Die Abgabe eines Rabattarzneimittels solle der Regelfall sein, aber in der Apotheke sollte im Einzelfall die Freiheit bestehen, ein anderes Arzneimittel abzugeben, wenn dies aufgrund eines Beratungsgespräches pharmazeutisch geboten erscheine. Dies könne mit den bereits vielfach von Apothekerseite propagierten Zielpreisvereinbarungen oder mit einer Quotenregelung erreicht werden (siehe "Rabattverträge: Ja, aber wie?"). "Retaxationsdrohungen, wo eine Aufwandsentschädigung angesagt ist. So kann Zusammenarbeit nicht funktionieren", erklärte Seitz. "Die Zumutungen müssen ein Ende haben."

Versand und die Folgen

Zum Thema Auseinzeln erläuterte Seitz, dass das individuelle Stellen von Arzneimitteln die Compliance nur bei wenigen Patienten verbessern könne, die aber nur schwer zu finden seien. Der Versandhandel sei mit einem GKV-Marktanteil von unter einem Prozent vier Jahre nach der Zulassung klar entzaubert und als "Nischenversorgungsmodell mit Fokus auf Rosinenpickerei" zu erkennen. Endlich wachse auf europäischer Ebene die Sorge um die Arzneimittelsicherheit im Versandhandel. So habe der Europarat festgestellt, dass der Versandhandel bisher keine Sicherheits- und Qualitätsstandards hat, und daraufhin im September eine Resolution über die Kriterien für sicheren Versandhandel beschlossen.

Aufgrund des geringen Marktanteils des Versandes hätten manche Versandhändler einen Strategiewechsel eingeleitet und würden nun mit Partnern vor Ort zusammenarbeiten. Sie würden Bestell- und Abholstationen oder über Franchise-Modelle schrittweise Apothekenketten aufbauen wollen. Als Folge des Urteils des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, das im November 2006 einen Bestell- und Abholservice in Drogeriemärkten zuließ, könnte für die Zukunft nicht einmal ausgeschlossen werden, dass Arzneimittel künftig an Tankstellen erhältlich seien. Die ABDA fordere die Politik daher auf, die Probleme aus nicht kontrollierbaren Folgewirkungen des Versandhandels zu lösen. Rechtlich belastbar könne dies nur über ein Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel erfolgen.

Apotheken und Europa

Zum Thema Fremd- und Mehrbesitz erinnerte Seitz einerseits an das überzeugende Votum des Bundestages für das bestehende Apothekensystem und andererseits an die Erteilung einer Betriebserlaubnis für eine Apotheke einer ausländischen Kapitalgesellschaft im Saarland und den nachfolgenden Rechtsstreit. Viele Experten würden der Apothekerposition bei der anstehenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes eher "gute Karten" prognostizieren. Jenseits aller juristischen Aspekte sei zu fragen, was mit einer Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes erreicht und welche Probleme gelöst würden. Denn 90 Prozent der Kunden seien mit ihrer Apotheke zufrieden oder sehr zufrieden. Diese Leistungen würden für nur 2,7 Prozent der GKV-Ausgaben erbracht, wobei 140.000 Arbeitsplätze in Deutschland geboten würden. Für die gegenteilige Position sei die Konzentration auf dem Energiesektor ein abschreckendes Beispiel. Dort werde um die Trennung von Stromerzeugung und Netz, also um die Aufhebung der vertikalen Integration gerungen. "Warum sollte man das, was im Energiebereich mühsam korrigiert werden soll, im Bereich der Arzneimittelversorgung unkritisch einführen", fragte Seitz.

Als weitere Themen mit europapolitischen Aspekten nannte er den Bericht der deutschen Monopolkommission vor dem Hintergrund der Liberalisierungsbemühungen der EU-Kommission, die Krankenhausversorgung und die Dienstleistungsrichtlinie. Die ABDA und der Zusammenschluss der Apotheker in der Europäischen Union (ZAEU) hätten dazu beigetragen, dass die Dienstleistungsrichtlinie nicht auf den Gesundheitsbereich ausgedehnt werde. Nun werde die Europäische Kommission bis Ende 2007 Vorschläge für Gemeinschaftsmaßnahmen im Bereich der Gesundheitsdienstleistungen vorlegen.

Vorsichtiger Optimismus

Die wesentliche Herausforderung für die Apotheken sei die Frage, ob das Arzneimittel als Ware besonderer Art gelten darf oder bagatellisiert wird. Angesichts der laufenden oder angestrebten Klageverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof gelte dies auch für die Apotheker in Frankreich, Spanien, Italien und Österreich. Mit Blick auf den Sicherstellungsauftrag der Apotheken für die Arzneimittelversorgung seien die bestehenden Regelungen bewährter Verbraucherschutz und nicht Apothekerschutz. Sie seien für Apotheker eine hohe Verpflichtung. Diffamierungen der Beratungsqualität in Apotheken würden auf das Vertrauensverhältnis zwischen den Patienten und den Apothekenteams zielen und seien daher Warnsignal und Herausforderung für die Apotheker.

Die sehr hohe Akzeptanz bei Patienten und Versicherten zeige, dass die inhaber- und heilberuflich geführte niedergelassene Apotheke weiterhin ein Erfolgsmodell sei. Dies sehe offensichtlich auch die Bundesregierung, die das bestehende Apothekensystem in ihrer Stellungnahme gegenüber dem Europäischen Gerichtshof eindrucksvoll verteidige. Die Bundesregierung werde mit der anstehenden Novellierung der Apothekenbetriebsordnung die Chance haben, die Apotheke weiter heilberuflich zu prägen. Abschließend appellierte Seitz an die Apotheker, die Herausforderungen weiter konstruktiv, vertrauensvoll und gemeinsam anzugehen.

Anträge zum Geschäftsbericht

Im Anschluss an den Vortrag gab es keine Wortmeldungen zur Diskussion, viele Themen des Geschäftsberichts wurden aber später bei der Antragsberatung angesprochen. In unmittelbarem Zusammenhang zum Geschäftsbericht nahm die Hauptversammlung Anträge zur Stärkung des Apothekers als freier Heilberufler, zum Verbot des Apothekenfremdbesitzes und zur Apothekenpflicht an. Als Gründe für die Apothekenpflicht wurden sowohl die Arzneimittelsicherheit als auch der Patientenschutz angeführt. In einem weiteren Antrag wurde der Gesetzgeber aufgefordert, den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln wieder zu verbieten. Der wie seit vielen Jahren erneut gestellte Antrag auf Senkung der Mehrwertsteuer kam nicht zur Abstimmung. Er hatte sich durch die am gleichen Tag verabschiedete Düsseldorfer Erklärung (siehe AZ 40) erübrigt, in der viele Verbände des Gesundheitswesens diese Forderung gemeinsam und daher mit mehr Nachdruck erhoben hatten. Der ursprünglich vorgesehene Antrag enthielt Empfehlungen zur Gegenfinanzierung durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf ungesunde Lebensmittel und Genussmittel, was in der Hauptversammlung mit Blick auf Abgrenzungsprobleme kontrovers diskutiert wurde.

Signal gegen kriminelle Praktiken

In einem Ad hoc-Antrag verurteilte die Hauptversammlung das vorsätzliche oder grob fahrlässige Inverkehrbringen gefälschter Arzneimittel ohne Gegenstimmen. Behörden und Gerichte wurden zu entschiedenem Vorgehen gegen solche Rechtsverstöße aufgefordert. Hintergrund dieses Antrags waren die jüngsten Vorwürfe gegen einige zytostatikaherstellende Apotheker, die nicht zugelassene Arzneimittel in Verkehr gebracht haben sollen. Zunächst hatten die Antragsteller sogar eine Erhöhung des Strafmaßes gefordert. Der Antrag wurde jedoch umformuliert, als deutlich wurde, dass dies in der Rechtsordnung nur ein letztes Mittel ist, wenn alle anderen Abschreckungsmöglichkeiten versagen. Zudem seien bis zu zehn Jahren Haft wegen Betrugs und der Verlust der Approbation bereits heute erhebliche Bestrafungsmöglichkeiten.

tmb

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