Apothekenmarkt & Meinung

Der Apotheker – zwischen Heilberufler, Logistiker und Hobby-Discoun

Der Apothekenmarkt hat sich seit 2003 erheblich gewandelt. Das Beitragssatzsicherungsgesetz, das Gesundheitssystem-Modernisierungsgesetz, das Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz haben deutliche Spuren hinterlassen. Jetzt steht das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz bevor. Auch dieses Gesetz wird zusammen mit jüngster Rechtsprechung dafür sorgen, dass Veränderungen im Apothekenmarkt greifen. Wie kann, wie soll ein Berufsstand mit diesen gewandelten Verhältnissen umgehen? Diese Serie möchte Situationen analysieren, Hintergründe aufzeigen und natürlich praktische Anregungen geben.

Seit einigen Jahren geht es in wirtschaftlicher und struktureller Hinsicht für die Apotheken Schlag auf Schlag. So waren im Jahr 2003 die erheblichen Rabattabschläge des Beitragssatzsicherungsgesetzes (BSSichG) das beherrschende Thema. Damals wurde für die Mehrzahl der Apotheken der unumkehrbare Abstieg der Margen deutlich unter die 30%-Marke eingeleitet – bei sonst noch weitgehend unveränderten Strukturen.

2004 kam dann das GMG – das Gesundheitssystem-Modernisierungsgesetz – mit der Preisfreigabe im OTC-Segment und mit dem Kombimodell, welches zwar statistisch die Margen der geschmälerten Nach-BSSichG-Situation etwa gehalten, jedoch im Einzelfall zu deutlichen Verlusten, hin und wieder aber auch zu Gewinnen geführt hat. Erst in jüngster Zeit hingegen werden die Folgen der Preisfreigabe im OTC-Segment richtig spürbar. Nach einer längeren Phase relativer Ruhe kommt der politisch gewünschte Preiswettbewerb mehr und mehr in Fahrt.

2007: Die neue Gesundheitsreform wirft ihre Schatten voraus. Analog zum Arbeitsmarkt mit seinen drastisch ansteigenden, "prekären Arbeitsverhältnissen" ohne Berechenbarkeit werden bestehende Strukturen weitgehend geschleift. Die Arzneimittelpreisverordnung – künftig eine leere Hülle. "Vertragsfreiheit" und mögliche Zuzahlungserlasse gegenüber den Kunden bedeuten demnächst ein "Floaten" ohne Leitplanken und Berechenbarkeit – "prekäre Apothekenverhältnisse"? Das einzig Berechenbare bleiben die Auflagen, die bürokratischen Hemmnisse und die Kompliziertheit des Systems an sich. Auf deren Entwicklung wird auch in Zukunft weiterhin Verlass sein, die Richtung ist wenigstens hier klar: stramm nach oben.

Am Anfang jeder Analyse sollte die Bestandsaufnahme stehen, fast wie bei einem Wertpapier-Depot, welches hin und wieder einer "Portfolio-Betrachtung" unterzogen wird. Wir möchten dabei den Weg vom Allgemeinen zum Speziellen gehen. Somit sollen zuerst prinzipiell die Stärken und Schwächen des gesamten Berufsstandes analysiert werden. Darauf aufbauend lassen sich künftige Marktpotenziale und Chancen abschätzen. Im letzten Schritt soll dies auf die individuelle Lage, auf den einzelnen konkreten Betrieb heruntergebrochen werden. Am Ende sollte jeder konkrete Handlungsoptionen als Grundlage für seine Entscheidungen vorliegen haben.

Der Arzneimittelmarkt steht vor gewaltigen Herausforderungen. Betrachtet man den Markt im Hinblick auf die so kritisch beäugten Kosten, so sehen wir hier einen weiter steigenden Anteil innovativer Präparate, welche die Packungswerte statistisch in die Höhe treiben. Bezeichnend ist hier ein Trend zur immer stärkeren Spezialisierung auf speziellere Krankheitsbilder oder nur noch gewisse Subpopulationen eines Krankenpools. Damit geht ein erheblich höherer Aufwand für Diagnostik und Typisierung einher, eine gern übersehene Größe.

Geringere Patientenkontingente für ein Arzneimittel bei gleich bleibenden oder gar wachsenden Entwicklungskosten bedeuten jedoch zwangsläufig höhere Kosten je Packung. Weitere Forderungen wie eine geschlechter- oder altersmäßige Differenzierung werden im Ergebnis ebenfalls zu einer weiteren Aufsplittung mit der Konsequenz steigender Preise je therapeutischer Einheit führen.

Viele innovative Präparate zur Behandlung schwerer und schwerster Krankheiten verlangen zu ihrer Anwendung zunehmend ein ausgesprochen spezielles Know-how des Arztes, welches entsprechende Schulungen voraussetzt. Perspektivisch stellt sich die Frage, inwieweit künftig hier eine nicht ebenfalls spezialisierte Apotheke in welchem Umfang überhaupt noch eingebunden werden kann.

Andererseits wird die "Brot-und-Butter-Therapie" in Form einer heute im Wesentlichen generischen Grundversorgung immer billiger. Die jüngsten, teils atemberaubenden und durchaus die Glaubwürdigkeit bisheriger Kalkulationen erschütternden Preis- und Festbetragssenkungen sind da ein schlagendes Beispiel, doch der beschriebene Trend existiert schon wesentlich länger. Nach Packungen und Fallzahlen findet sich hier das größte Potenzial. Die Rolle der Apotheke besteht damit neben der logistischen Leistung darin, im Grunde gut bekannte Standardtherapien noch sicherer zu gestalten, vor allem aber besser aufeinander abzustimmen. Wenn die über 70-jährigen Patienten im Schnitt sieben bis acht Wirkstoffe verordnet bekommen, und ein nicht geringer Anteil gar zwölf oder mehr (Quelle: Arzneimittelreport 2006 der Gmünder Ersatzkasse), dann tut sich hier ein weites Feld auf. Andererseits besteht gerade hier eine besondere Preissensibilität und der Zwang zur Kostendeckelung. Für weitergehende Honorarwünsche besteht da wenig Raum.

Bleibt noch der OTC-Markt. Nach Packungszahlen machen die nicht-rezeptpflichtigen Präparate inzwischen in etwa soviel aus wie die Gesamtzahl aller Verordnungen. Allerdings bleibt der Packungswert mit etwa 7,50 Euro netto weit hinter einer verordneten Packung auf Rezept (inzwischen rund 35,– Euro netto) zurück. Der Rohertrag an einer OTC-Packung liegt bei etwa 3,– bis 3,50 Euro, der Rohertrag eines Durchschnittsrezeptes grob um 12,– Euro. Die nunmehr flächendeckend aufflammenden Preisaktivitäten sind auf dem besten Weg, das OTC-Geschäft noch weiter der Selbstzerstörung preiszugeben.

Stärken-Schwächen-Profil

Gleichen wir die oben geschilderten Marktentwicklungen mit den gegenwärtigen Apotheken ab, so lassen sich ausgeprägte Stärken, aber auch eklatante Schwächen und Defizite konstatieren.

An unbestrittenen Stärken finden wir:

Die flächendeckende Versorgung mit stets akademischer Besetzung jeder einzelnen Apotheke. Die Apotheke ist damit der Heilberuf "zum Anfassen" und ohne große Schwellen, Terminvereinbarungen und Wartezeiten für Jedermann erreichbar – und zudem ist die Beratung an sich noch kostenlos. Unterstützt von einer Logistik, die selbst exotische Wünsche aus einem Stammdatensatz von über 300.000 Positionen (auch das mal wieder ein deutscher Rekord!) in kürzester Zeit an jeden Ort der Republik schafft, auf Wunsch kostenfrei bis an die Haustür. Diese Kombination aus professioneller Logistik und kompetenter Individualität vor Ort dürfte die größte Stärke überhaupt ausmachen, die auch mit sehr viel Geld von anderen Anbietern nicht so leicht kopiert werden könnte.

Nicht unerwähnt bleiben sollten die handwerklichen Fähigkeiten, die künftig im Zuge der weitergehenden Individualisierung eine stärkere Beachtung verdient hätten. Ob Rezepturen, das Mischen eines Tees oder das Abfassen auch unmöglichster Substanzwünsche in Kleinstmengen für Centbeträge – alles ist möglich.

Die eigenverantwortliche Handlungsweise. Nicht irgendwelchen Interessen von Fremdkapitalgebern verpflichtet, finden wir hier noch eine ausgeprägte Eigenverantwortlichkeit, die sich häufig in einer ausgeprägten Verwurzeltheit vor Ort niederschlägt und damit einen stabilen Baustein für die so wichtige "Mikroökonomie" vieler Orte leistet. Diese stabilisierende, mikroökonomische Funktion für die einzelnen Orte und deren Lebensqualität wird in den Diskussionen leider immer wieder vernachlässigt.

Mit diesen Vorzügen hat sich die deutsche Apotheke bisher ganz gut im Markt gegen allerlei Angriffe, die so alt sind wie der Berufsstand, behauptet. Das hat lange Zeit über eine ganze Reihe von Schwächen und Unzulänglichkeiten der Randbedingungen hinwegsehen lassen. Dies könnte sich jetzt rächen:

An erster Stelle ist sicher die Fremdbestimmtheit zu nennen. Rund 80% des Umsatzes sind nach wie vor im Wesentlichen durch ärztliche Verordnung gegeben, zum Teil auch durch deren Empfehlungstätigkeit im Hinblick auf Barverkäufe ebenfalls fremdbestimmt. Dazu tritt eine rekordverdächtige Regulierungsdichte, die sich vor allem mit Nebensächlichkeiten zu beschäftigen scheint (einige exemplarische Stichworte: arbeitsmedizinische Untersuchung, der, wenn auch jetzt etwas "entschärfte", Datenschutzbeauftragte, die Wirren der Gefahrstoffverordnung u. a.), aber eben viele Ressourcen bindet. Eine Berufsordnung, die zwischen Tradition und Moderne schwankt und der ehemaligen, "klassischen" Apotheke zu wenig Schutz, der "modernen", "aktiven" Apotheke hingegen immer noch an vielen Stellen im Wege stehen kann – eine für die Republik so typische "Nicht-Fleisch-und-nicht-Fisch"-Situation.

Verbunden ist das Ganze mit einer eingeschränkten Heilberufsfunktion, die sich praktisch vor allem im Barverkaufsbereich bemerkbar macht – eine Art "verbotene Zone" zwischen Diagnose bzw. Therapie und berufsrechtlicher Zulässigkeit im Spannungsfeld zum Arzt. Will der Berufsstand als wirklich ernstzunehmender Heilberuf überleben, wird man hier sehr ehrlich diskutieren müssen, ohne jedoch die Ärzte zu verprellen. Dies bedeutet aber auch ein erhebliches "Nachrüsten" im Hinblick auf heilberufliche Schlüsselqualifikationen. Andere Länder machen es vor, erwähnt seien die erheblich größeren Befugnisse der Pharmazeuten beispielsweise in Großbritannien.

Die handwerklichen Fähigkeiten sind zwar, wie oben zu lesen, nach wie vor vorhanden, werden in der Breite zu wenig genutzt. Die "praktische Pharmazie" droht, von wenigen Spezialapotheken abgesehen, weiter in den Hintergrund zu rücken. Diese handwerkliche Praxis macht aber zu einem Gutteil den Schutz vor Automatisierbarkeit und Ersetzbarkeit aus.

Die Apotheke hat den allen Unkenrufen zum Trotz stark wachsenden Gesundheits-Privatmarkt immer noch unzureichend erschlossen. Neue Märkte, Produktsegmente und Absatzkanäle wurden sogar oft vernachlässigt, als unseriös oder bedrohlich für den Berufsstand und die Apotheke abqualifiziert oder als gegen irgendwelche Vorschriften verstoßend quasi dämonisiert. Vieles wurde in Bausch und Bogen verdammt. Heute spielen dieselben nicht selten den Hobby-Discounter, wenn es damit nur gegen die ungeliebte Konkurrenz in eigenen Reihen geht.

Die Kostendiskussion läuft ohne ausreichende Beteiligung der Apotheke. Es wird ihr nach wie vor kein ausreichender Einfluss auf die ökonomische Steuerung des Arzneimittelmarktes eingeräumt, obwohl das Know-how zweifelsohne gerade hier schnell aktivierbar wäre. Der Apotheker als Pharmaökonom mit Budgetverantwortung ist noch überhaupt nicht verankert. Die bislang eher kläglichen Ansätze von "Aut idem" können hier kein Vorbild für ein modernes, auch unter ökonomischen Aspekten überzeugendes Therapiemanagement sein.

Die Kombination aus Niederlassungsfreiheit mit in der Vergangenheit maximaler Regulierung. Im Nachgang war das Konzept aus Niederlassungsfreiheit und gleichzeitig jedoch über lange Jahre garantierten Preisen und höchster Regulierung auf Ebene der Betriebsführung in dieser Kombination nicht durchdacht. Der Zweiklang aus maximaler Freiheit einerseits (die übrigens eine Reihe neuer "Marktteilnehmer" in Form von Standortentwicklern und Ähnlichem hervorgebracht hat) und höchster Regulierungsdichte andererseits führt spätestens dann zum Missklang, wenn kein Ertragswachstum mehr zu verteilen ist und die Widersprüche nicht mehr mit immer mehr Geld zu überbrücken sind. Dieses Verhalten ist typisch für unsere Nation bis zum heutigen Tag: Man will alles und doch nichts, nicht Fisch, nicht Fleisch, Wettbewerb und Freiheit, aber trotzdem höchste Kontrolle und Sicherheit, und bitte den Wettbewerb nur dort, wo er den Initiatoren dieses Wettbewerbs nicht wehtut. Das alles hat zu Verwerfungen geführt, die möglicherweise jetzt schmerzhaft abgetragen werden müssen. Andere Länder waren hier wiederum weiter – sie haben sich klarer entweder für den regulatorischen Weg (mit einer gewissen Existenzsicherung bei gleichzeitig strikten Auflagen, naheliegendstes Beispiel Österreich) oder aber den Weg der konsequenten Liberalität (Beispiel USA, mit Abstrichen Großbritannien und Australien) entschieden. In beiden Modellen geht es übrigens den Pharmazeuten vergleichsweise gut – im Rahmen der dort herrschenden Bedingungen sowie Macht- und Kapitalverteilungen.

Die kaum noch überschaubare Produktvielfalt ist ebenfalls ein typisch deutsches Problem. Es wird kaum ein Land geben, welches so viele Paracetamol-, Ibuprofen- und Diclofenac-Präparate sein Eigen nennen kann. Zahlreiche "Novitäten" lassen sich zu einem hohen Anteil auf einen Nenner bringen: von zweifelhaftem Nutzwert und im Hinblick auf die weitere Aufblähung des Warenlagers ärgerlich! Nicht wenige Präparate generieren, wenn überhaupt, nur wenige hunderttausend Euro Herstellerumsatz im Jahr – letztlich eine völlig unwirtschaftliche Größenordnung. Hier wird ein beträchtliches Wirtschaftlichkeitspotenzial verschenkt: Auf Seiten der Hersteller, bei den Ärzten, die letztlich durch diesen Dschungel kaum durchblicken können, und in der Apotheke durch enorme, logistische Klimmzüge. Viele, teure Botendienste sind letztlich diesem Wildwuchs geschuldet, dergleichen zahlreiche, fruchtlose Kundendiskussionen, dass es nun mal wieder die Blauen statt der gewohnten Grünen sind. Zu guter Letzt ist damit der Patient ebenfalls ein Leidtragender: Wartezeiten, nutzlose Wege, Umgewöhnung an verschiedenste Präparate, und in manchen Fällen durchaus auch therapeutische Nachteile durch andere Hilfsstoffe oder doch nicht gegebene Bioäquivalenz.

Gerne übersehen wird noch ein Thema, welches die industrielle Landschaft seit Jahrzehnten aufmischt. Wir reden von der Automatisierbarkeit großer Teile des täglichen Routine-Geschäftes. Viele Kollegen erfreuen sich an ihren Kommissionierautomaten, solange sie unter ihrer Regie laufen. Freilich ist die noch viel weitergehende Automaten-Apotheke zum Beispiel zur 24-Stunden-Sicherstellung einer Grundversorgung auf dem Land oder an ausgewählten Plätzen in der Stadt technisch bereits möglich. Die vielgerühmte Beratung könnte technisch sogar über Call-Center, die irgendwo in der Welt stehen, erfolgen – zumindest in der Grundversion. Patienteninformationen lassen sich datenbankgestützt erstellen, die elektronische Gesundheitskarte macht dies irgendwann noch einfacher. Einwände der flächendeckenden Versorgung relativieren sich damit. Die Frage, wer eine solche "Automaten-Kette" betreiben könnte, steht knisternd im Raum, wenn erst einmal der rechtliche Rahmen geschaffen würde. Die Geschichte zeigt hingegen, dass Rationalisierungspotenziale über kurz oder lang erschlossen werden. Der Heizer auf der E-Lok war nur ein Übergangsmodell. Allgemein ist im Heilberufsbereich hier noch eine erstaunliche Unbekümmertheit gegenüber Rationalisierungsmöglichkeiten schlicht durch technischen Fortschritt festzustellen. Sogar bei den Ärzten können übrigens Dinge wie Tele-Medizin, Diagnose-Computer oder Operationsroboter ebenfalls manch bisher noch unantastbar geglaubtes Privileg ins Wanken bringen.

Gewisse Risikoscheu und Aversion gegenüber Neuem. Nicht umsonst wurde der Beruf schon als der "Beruf der verpassten Gelegenheiten" bezeichnet – nicht ganz zu Unrecht. Denken Sie an die gesamte Labormedizin, das Thema Umwelt, den Bereich der Medizintechnik – viele Felder, wo in der zum Teil schon ferneren Vergangenheit recht leichtfertig Chancen vergeben wurden.

Dass die Schwächen hier einen soviel größeren Raum einnehmen, soll in erster Linie Ansporn sein, daran zu arbeiten. Schließlich wird die Zukunft auch dadurch gewonnen, dass offene Flanken geschlossen werden. Insgesamt stehen somit ganz hervorragenden Stärken eine Reihe empfindlicher Schwachpunkte gegenüber.

Schlecht vorbereitet in den neuen "Wettbewerb"

Mit diesem Stärken-Schwächen-Profil tritt der Berufsstand aber leider ausgesprochen schlecht vorbereitet in eine Phase weitergehender Liberalisierung und des "Aufbrechens verkrusteter Strukturen". Dieses "Aufbrechen" findet zudem in indirekter und schwer durchschaubarer Weise statt – quasi ein Spiel über Bande.

Einerseits bedeutet Liberalisierung verbunden mit mehr Wettbewerb in der Tat eine Beflügelung von Kundenorientierung, Dienstleistungsgedanken und schlussendlich von Innovation. Letztlich ist dabei jedoch in erster Linie der Kunde der Gewinner, der damit zum entscheidenden Faktor wird. Volkswirten ist dieser Ansatz unter angebotsorientierter Politik vertraut, eine hässlichere Umschreibung ist der Begriff Überflussgesellschaft. Kunden, die jedoch immer mehr wollen, keinem Anderen etwas gönnen und letztlich nicht das bezahlen möchten, was etwas tatsächlich kostet, sägen sich damit jedoch schnell den Ast ab, auf dem sie selbst sitzen: "Sie fällen die Bäume, um die Früchte zu ernten". Genau dies erleben wir zurzeit. Die vielzitierte Globalisierung ist dabei nur eine Art Hilfsmittel.

Die Politik – keineswegs nur in Deutschland, sondern in fast allen "reifen" Volkswirtschaften – steht dem noch ziemlich konzeptlos gegenüber.

Einerseits gibt es aus heutiger Sicht durchaus Erfolgsmodelle der Liberalisierung, so beispielsweise der Telekommunikationssektor. Ohne die Liberalisierung wäre der Boom der vergangenen Jahre mit einer erheblichen Zahl zusätzlicher Arbeitsplätze nicht möglich gewesen.

Andererseits führt der Wirtschaftsliberalismus zur Preisgabe ganzer Segmente insbesondere der Basisversorgung. Kaum ein Kleidungsstück, elektronisches Gerät oder viele Grundstoffe, die noch hierzulande oder wenigstens in einem Nachbarland produziert würden.

Richten wir den Fokus auf die Gesundheitsbranche: Wir könnten selbstverständlich die meisten Generika aus Indien oder China zu wesentlich günstigeren Preisen beziehen. Schreitet der gegenwärtige Prozess fort, wird dies sogar in nicht allzu langer Zeit unausweichlich werden.

Komplizierte Eingriffe könnten wir, sofern der Patient halbwegs transportfähig ist, künftig konsequent ebenfalls in Billigländern durchführen lassen. Manche Amerikaner – in Ermangelung von ausreichendem Krankenversicherungsschutz - machen dies bereits. 60.000 US-Dollar für ein neues Kniegelenk in der Heimat gegenüber 6.000 US-Dollar in Asien – das ist schon ein Wort. Wozu die Vielzahl an Krankenkassen (mit rund 150.000 Beschäftigten) noch hier stehen muss, entbehrt aus dem Blickwinkel dieser ungebremsten Ökonomisierung jeder wirtschaftlichen Logik. Abrechnungen lassen sich bereits in Osteuropa quasi vor der Haustür viel günstiger machen.

Diese wenigen Beispiele illustrieren bereits: Der Kannibalisierung und "Selbstverdauung" sind keine Grenzen gesetzt – es sei denn, wir setzen selbst welche. Und an diesem Punkt versagt im Moment jede politische Führung.

Fazit

Ein Beruf droht aufgerieben zu werden. Der bisherige, rechtliche Schutz für den ökonomischen Teil der Apotheke wird weitgehend geschleift, wie beispielsweise der bisher strikte Rahmen der Arzneimittelpreisverordnung. Die sonstigen Regulierungen bleiben aber weitestgehend erhalten.

Diesen Widerspruch spüren – bewusst oder eher instinktiv – die meisten Kolleginnen und Kollegen. Angst und Unbehagen mischen sich daher allerorten in den ansonsten ja durchaus erfreulichen, spannenden und wichtigen Beruf. Fast überall auf der Welt werden Pharmazeuten in steigendem Maße gebraucht.

Viele der oben diskutierten Schwierigkeiten erklären die wettbewerbliche Situation, wie wir sie im Moment beobachten. Die Mischung aus Zukunftsangst und dem Streben Einzelner nach der Marktführerschaft beginnt, die Apothekenlandschaft regelrecht aufzumischen. Im nächsten Teil werden wir genauer auf die Situation der einzelnen Apotheke und ihre Chancen im Markt eingehen.

Anschrift des Verfassers:

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, Philosophenweg 67, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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