Arzneimittel und Therapie

VEGF-Inhibition nicht nur bei Darmkrebs

Angiogenese bei vielen Tumoren zielgerichtet hemmen

Zytostatika waren über Jahrzehnte die einzige Option in der Onkologie. Ihr Entwicklungspotenzial ist weitgehend erschöpft, eine Verbesserung der Therapieergebnisse durch Neuentwicklungen der Chemotherapie scheint unwahrscheinlich. Seit einiger Zeit wird deshalb auf zielgerichtete Therapiestrategien gesetzt. Ein "Musterbeispiel" ist die Hemmung der Tumorangiogenese durch VEGF-Inhibitoren wie dem monoklonalen Antikörper Bevacizumab (Avastin®). Seine Indikationsgebiete werden immer mehr ausgeweitet.

Die Beobachtung des Arzneimittelmarkts zeigt die Entwicklung deutlich: Die Forschung in der Onkologie bewegt sich weg von der Entwicklung weiterer Zytostatika hin zu Medikamenten, die Tumoren zielgerichteter angreifen. Noch sind 49% der zugelassenen onkologischen Medikamente Zytostatika, 32% Hormonpräparate und "nur" 18% "targeting" Therapien. In der Pipeline sind nur noch knapp ein Drittel Zytostatika, der Bärenanteil, nämlich knapp 70%, gehört in die Kategorie der zielgerichteten Medikamente wie Tyrosinkinaseinhibitoren oder VEGF-Inhibitoren.

VEGF-Inhibitoren wie der rekombinante, monoklonale Antikörper Bevacizumab (Avastin®) gehören zweifellos zu den wichtigsten Innovationen in diesem Bereich. Sie verhindern die Blutgefäßneubildung des Tumors, schneiden ihn so von der Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen ab und hungern ihn sozusagen aus. Tumorwachstum und -progression werden gehemmt. Gleichzeitig kommt es früh zu einer Rückbildung unreifer Blutgefäße und einer Normalisierung der Permeabilität der Blutgefäße. Dadurch sinkt der interstitielle Druck und Zytostatika erreichen den Tumor in höherer Konzentration. Ihre Wirkung wird dadurch verstärkt. Das Prinzip der Angiogenese-Hemmung mit Bevacizumab hat sich in klinischen Studien bei bislang vier Tumorentitäten als wirksam erwiesen: Kolonkarzinom, Mammakarzinom, Bronchialkarzinom und Nierenzellkarzinom.

First BEAT und BriTE: Bevacizumab im "Real-life"

Bereits seit Januar 2005 ist Bevacizumab zugelassen zur First-line-Therapie des metastasierten kolorektalen Karzinoms (mKRK), in Kombination mit 5FU/Folinsäure oder 5-FU/Folinsäure/Irinotecan (FOLFIRI). Das kolorektale Karzinom gehört mit 70.000 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland zu den häufigsten Krebserkrankungen und steht in der Rangfolge der häufigsten Krebstodesursachen bei Frauen und Männern noch immer auf Platz 2. Die Add-on-Therapie mit Bevacizumab verlängerte in der Zulassungsstudie das Gesamtüberleben im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie um etwa fünf Monate, das progressionsfreie Überleben (PFS; progression free survival) von 6,2 auf 10,6 Monate. Dass sich diese Wirkung auch im klinischen Alltag erreichen lässt, zeigten nun die beiden großen Post-Zulassungsstudien First BEAT (Bevacizumab Expanded Access Trial) und BriTE (Bevacizumab Regimens Investigation of Treatment Effects and Safety) mit jeweils fast 2000 Patienten. In First BEAT wurde durch die Kombination der Standard-Chemotherapie mit Bevacizumab ein medianes progressionsfreies Überleben von zehn Monaten erreicht, in der BriTE-Studie lag das progressionsfreie Überleben bei 10,1 Monaten, das mediane Gesamtüberleben bei 27,1 Monaten. Das ist die längste Überlebenszeit, die bei Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom je beobachtet wurde.

Brustkrebs: progressionsfreies Überleben verdoppelt

Seit März dieses Jahres ist Bevacizumab auch zugelassen zur First-line-Therapie des metastasierten Mammakarzinoms, in Kombination mit Paclitaxel. Entscheidend waren die Ergebnisse einer Phase-III-Studie, die zeigte, dass Frauen mit lokal rezidiviertem oder metastasiertem Mammakarzinom doppelt so häufig auf die Therapie ansprechen und doppelt so lange ohne Tumorprogression leben, wenn sie neben Paclitaxel auch Bevacizumab erhalten (progressionsfreies Überleben: 13,3 versus 6,7 Monate).

Zulassung für nicht-kleinzelliges Bronchialkarzinom

In den USA wurde die Indikation für Bevacizumab bereits erweitert. Es kann in Kombination mit einer Chemotherapie auch zur First-line-Therapie des fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinoms (NSCLC) eingesetzt werden. Für Europa wurde die Zulassung für den Angiogenesehemmer zur Erstbehandlung von Patienten mit fortgeschrittenem nicht-kleinzelligem Lungenkrebs in Kombination mit einer Chemotherapie auf Platinbasis am 21. August 2007 erteilt. Grundlage sind die Ergebnisse der AVAiL (Avastin in Lung)-Studie, einer randomisierten, doppelblinden Phase-III-Studie. Sie verglich bei 1043 chemotherapeutisch nicht vorbehandelten Patienten mit fortgeschrittenem oder rezidivierten Nicht-Plattenepithel-NSCLC die Kombination aus Cisplatin und Gemcitabin plus Bevacizumab versus der alleinigen Chemotherapie. Bevacizumab wurde in zwei Dosen geprüft und bis zur Tumorprogression gegeben. Das mediane progressionsfreie Überleben verlängerte sich unter beiden Dosen signifikant von 6,1 Monat auf 6,7 bzw. 6,5 Monate. Nach zwölf Monaten war unter Bevacizumab bei 14% der Patienten noch keine Tumorprogression eingetreten, unter Placebo war dies nur bei 9,7% der Fall. Eine statistische Aussage zum Gesamtüberleben ist aufgrund der erforderlichen Anzahl von Ereignissen zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich. In einer früheren Phase-III-Studie (ECOG 4599) war jedoch gezeigt worden, dass die zusätzliche Gabe von Bevacizumab zu Paclitaxel/Carboplatin das Überleben im Median von 10,3 Monaten auf 12,3 Monate verlängert.

Option auch für das Nierenzellkarzinom?

Auf dem Prüfstand steht Bevacizumab auch als Option für das Nierenzellkarzinom. Die AVOREN-Studie lieferte das Ergebnis, dass Bevacizumab beim metastasierten, klarzelligen Nierenzellkarzinom das progressionsfreie Überleben annähernd verdoppelt. Insgesamt nahmen an der Phase-III-Studie 649 Patienten teil, die neben Interferon-alfa 2a entweder Bevacizumab oder Placebo erhielten. Das progressionsfreie Überleben konnte durch den VEGF-Inhibitor von 5,4 Monate auf 10,2 Monate verlängert, die Ansprechrate von 12,8 auf 31,4% nahezu verdreifacht werden. Daten zum Gesamtüberleben fehlen noch. Diese Studie zeigt erstmals, dass Bevacizumab nicht nur in Kombination mit einer Chemotherapie, sondern auch mit einer Immuntherapie wirksam ist. Die Zulassung für das Nierenzellkarzinom ist bereits beantragt und wird für 2008 erwartet.

Das Indikationsspektrum wird noch breiter

Das Spektrum an Indikationen ist damit nach großer Wahrscheinlichkeit noch nicht erschöpft. Vielmehr legen die Wirkmechanismen nahe, dass sich sowohl bei anderen metastasierten Tumorarten, aber auch in der adjuvanten und neo-adjuvanten Situation ein Benefit erreichen lässt. Bevacizumab wird derzeit deshalb auch bei anderen Tumorarten, etwa beim Pankreas-, Prostata- oder Magenkarzinom geprüft. Als weitere Herausforderung gilt die Verlängerung der Überlebenszeiten, etwa durch Kombination mit anderen targeted drugs oder durch die frühzeitige Identifikation von Patienten, die von Bevacizumab tatsächlich profitieren.

Quelle

Prof. Dr. J. Wolf, Köln; Dr. U. Gatzemeier, Großhansdorf, Dr. N. Harbeck, München, Priv.-Doz. Dr. Peter Reichardt, Bad Saarow: Post-ASCO 2007 – Aktuelle Berichterstattung zu fortschrittlicher Krebstherapie, Köln, 26. Juni 2007, veranstaltet von der Roche Pharma AG, Grenzach-Wyhlen.

Apothekerin Dr. Beate Fessler
"Die Aids-Erkrankung ist das Vorbild für die Krebsforschung. Sie ist nicht heilbar, aber inzwischen in Richtung einer chronischen Erkrankung behandelbar. "

Prof. Dr. Jürgen Wolf, Zentrum für Innere Medizin des Universitätsklinikums Köln
Was für wen?
Welcher Patient profitiert von welcher Therapie? Dieser Frage wird in der onkologischen Forschung derzeit intensiv nachgegangen. Denn damit ließe sich der Therapieerfolg optimieren und Patienten gezielt von für sie aussichtslosen Behandlungsregimes von vornherein ausschließen. Doch bis dahin ist noch ein weiter Weg. "Wir wissen oft nicht, wie die Substanzen wirken, und deshalb auch nicht, bei wem sie wirken," so Priv.-Doz. Dr. Peter Reichardt, Bad Saarow.
Targeted Therapie In der Onkologie bewegt man sich weg von der Entwicklung weiterer Zytostatika hin zu Medikamenten, die Tumoren zielgerichteter angreifen. VEGF-Inhibitoren gehören zu den wichtigsten Innovationen: Sie verhindern die Blutgefäßneubildung des Tumors, schneiden ihn so von der Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen ab und hungern ihn aus.
Foto: TUIM

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