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Unwort des Jahres: Rabattverträge

Fast ein halbes Jahr schon leben, nein, quälen wir uns mit Rabattverträgen. Seitdem ist die Pharmazie in Deutschlands Apotheken eine andere als vorher. Die Versorgungssituation hat sich für viele Patienten verschlechtert. Da sich manche Kassen, allen voran die AOK, mit Herstellern eingelassen haben, die den Markt nicht ausreichend beliefern können, sind Defekte und Lieferschwierigkeiten an der Tagesordnung. Der Einkauf der Generika richtet sich nach den Präparaten, die Eingang in die Rabattverträge gefunden haben. Der Generikamarkt wurde vollkommen umgekrempelt.

Doch die Lieferschwierigkeiten sind nur ein Teil der Veränderungen, mit denen die Apotheken seit April täglich zu kämpfen haben. Der Abgabevorgang eines Arzneimittels ist ungleich komplizierter als früher, ohne leistungsfähige EDV wäre dies nicht zu schaffen. Mühsame Eingabe von Nummern und Kennzeichen, prüfen, ob die Ware vorhanden ist – und dann der Erklärungsbedarf gegenüber dem Patienten, dass er sein gewohntes Arzneimittel nicht mehr bekommen kann. In 60 Prozent der Arzneilieferungen an den Patienten ist dies der Fall, so eine Umfrage vom Juli. Da ist zum Teil harte Überzeugungsarbeit zu leisten – die Beratung und Information zu Neben- und Wechselwirkungen, zu pharmakologischen Fragen kann zu kurz kommen. Die Kunden haben oft wenig Verständnis für die Umstellung, sie sind unzufrieden, da sie ihr gewohntes Präparat nicht bekommen. Einer Umfrage zufolge berichtet bereits jeder dritte Apotheker über ernst zu nehmende therapeutische Probleme, da die Patienten ihre Arzneimittel nicht mehr regelmäßig oder überhaupt nicht mehr einnehmen.

Der Irrsinn, den kein Kunde versteht: es liegen gleichwertige, gleich günstige Präparate in den Apothekerschränken, die nach Ablauf der Umstellungszeit ("Friedenspflicht") nicht abgegeben werden dürfen. Und der Patient darf nicht mal zuzahlen, um sein gewohntes Präparat zu erhalten. Er muss nehmen, was ihm seine Kasse ausgesucht hat – in erster Linie unter ökonomischen Gesichtspunkten (im Klartext: wofür die Kasse am meisten Rabatt vom Hersteller erhält). Mit Einführung der Rabattverträge hat Deutschland die Therapiefreiheit des Arztes ein Stück weit verlassen. Seit April diktiert die Kasse des Versicherten, mit welchem Präparat er therapiert wird. Das ist Deutschlands Gesundheitswesen im Jahr 2007!

Wöchentlich tauchen neue Schwierigkeiten mit Rabattverträgen auf. So ließ unlängst ein Rechtsanwalt die Ärzte wissen, dass sie sich mit der Aut-idem-Verordnung auf dünnem Eis bewegen und in eine haftungsrechtliche Falle gelangen. Denn bei einem Arzneimittelwechsel müssten Ärzte ihre Patienten über mögliche Nebenwirkungen aufklären. Der Arzt verantwortet die Substitution, so entschied auch der Bundesgerichtshof Mitte April. Aber letztlich weiß der Arzt dann eben nicht, welches Präparat sein Patient erhält. Der Jurist empfahl daher, Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite wie Antiepileptika nicht zur Substitution freizugeben. Das Bundesgesundheitsministerium teilte dem Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller auf eine Anfrage mit, dass die Ärzte gut beraten seien, der Ansicht des Rechtsanwalts nicht zu folgen, durch entsprechendes Ankreuzen auf dem Rezept die Aut-idem-Substitution auszuschließen. Denn dann setzten sich die Ärzte einem höheren Regressrisiko aus. Bei Bedarf sollten sich die Ärzte von ihrer Kassenärztlichen Vereinigung beraten lassen. Ob der Arzt dadurch eine Entscheidungshilfe bekommt?

Eine weitere Schwierigkeit: Sind unterschiedliche Darreichungsformen von Generika austauschbar und wenn ja, welche? Apothekerverband und Pharmahersteller argumentierten, sie sind es nicht, sofern nicht der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) Hinweise zu austauschbaren Darreichungsformen in der Arzneimittelrichtlinie gegeben hat. Jetzt hat sich der BKK-Bundesverband durchgesetzt und klargestellt, dass rabattbegünstigte Arzneimittel uneingeschränkt Vorrang haben bei identischer Wirkstärke, Packungsgröße und gleichem Indikationsbereich. Zur Darreichungsform: Hat der G-BA austauschbare Darreichungsformen bestimmt (z. B. bei Nifedipin sind Dragees, Filmtabletten und Kapseln austauschbar), darf unter diesen richtlinienbestimmten Darreichungsformen ausgewählt werden. Liegen keine G-BA-Hinweise vor, darf nur innerhalb der gleichen Darreichungsform (z. B. Tabletten) substituiert werden. Auf einen Nenner gebracht: Es müssen also auch Arzneimittel mit Wirkstoffen, zu denen der G-BA keine Hinweise zu austauschbaren Darreichungsformen gegeben hat, bei der bevorzugten Abgabe rabattbegünstigter Arzneimittel berücksichtigt werden.

Die AOK hat bereits die nächste Runde an Rabattverträgen eingeläutet. Hoffentlich hat die Kasse aus den Schwierigkeiten bei den ersten Verträgen gelernt und fällt nicht mehr auf Nischenanbieter herein, die den Markt nicht beliefern können. "Rabattverträge" bleibt das Unwort des Jahres für die Apotheken: Die Krankenkassen bestimmen die Therapie mit und sparen, die Ärzte verdienen an der Verordnung. Nur die Apotheken haben weiterhin den Ärger, die immense Mehrarbeit, die Mehrkosten. Wie kommt man sich da als Apotheker vor?

Peter Ditzel

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