Arzneimittel und Therapie

Nutzen und Risiko abwägen

Antidepressiva bei bipolaren Störungen

Patienten mit bipolaren Störungen leiden unter manischen und depressiven Phasen. Wenn in der depressiven Phase unterstützend ein Antidepressivum gegeben wird – dafür sind Antidepressiva nicht zugelassen – besteht die Befürchtung, den Phasenwechsel in die Manie zu beschleunigen. Durch überhängende depressive Einschläge könnte dann ein Suizid begünstigt werden. In einer randomisierten Studie wurde nun dieses Risiko untersucht: Es konnte kein erhöhtes Risiko für einen Wechsel in eine manische Phase beobachtet werden.

Personen mit bipolaren Störungen durchleben verschiedene Phasen, die jeweils Wochen oder Monate anhalten können. Während der depressiven Phase ist die Stimmung am Boden, die Betroffenen haben Konzentrationsschwierigkeiten, leiden unter Appetitlosigkeit und Schlafstörungen und entfalten kaum Aktivität. Während der manischen Phasen sind die gleichen Menschen dann bester Stimmung, überaktiv, eher aggressiv und schlafen wenig, häufig kommt ein sexuell exzessives Verhalten hinzu.

Das primäre Behandlungsziel einer Therapie ist es, die Stimmung zu stabilisieren. Dazu werden Lithium (z. B. Quilonum®), Valproinsäure (z. B. Ergenyl®), Carbamazepin (z. B. Tegretal®) oder auch Lamotrigin (z. B. Lamictal®) eingesetzt. Wenn trotz Therapie eine manische oder depressive Phase eintritt, stellt sich die Frage nach einer zusätzlichen Therapie der Phase, zum Beispiel mit Antidepressiva. Wirksamkeit und Sicherheit von Antidepressiva sind aber bei bipolaren Störungen nicht ausreichend untersucht, beispielsweise könnte durch die antidepressive Therapie eine manische Phase ausgelöst werden. Um dies zu untersuchen, wurde nun eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie durchgeführt, an der 366 Patienten teilnahmen. Alle Patienten wurden optimal auf eine Therapie mit stimmungsstabilisierenden Substanzen eingestellt. Dann wurden sie auf eine zusätzliche Therapie mit einem Antidepressivum oder Placebo randomisiert. Als Antidepressiva wurden Paroxetin oder Bupropion eingesetzt, diese werden in den USA am häufigsten – off label – bei der bipolaren Störung verordnet.

Das primäre Studienziel war eine mindestens über acht Wochen stabile Stimmung. Dies wurde bei 23,5% der Patienten mit zusätzlicher antidepressiver Therapie und bei 27,3% der Patienten mit zusätzlicher Placebo-Therapie erreicht. Damit war der Anteil stabiler Patienten in der Placebo-Gruppe etwas höher, wenn auch nicht signifikant.

… aber auch kein Risiko

Sicherheitsbedenken beruhen vor allem auf dem Szenario, dass eine antidepressive Therapie den Wechsel in eine manische Phase begünstigt – trotz Gabe von stimmungsstabilisierenden Substanzen. Weiter befürchtet man, dass es in der manischen Phase mit hoher Aktivität durch "überhängende" Einschläge aus der depressiven Phase häufiger zum Suizid kommen könnte.

In der Studie wurde kein erhöhtes Risiko für einen Wechsel in eine manische Phase beobachtet. Es ist auch in keiner Gruppe ein Suizid vorgekommen, in jeder Gruppe wurden drei Patienten wegen suizidaler Gedanken im Krankenhaus behandelt.

Bei der Interpretation der Studie muss man im Auge behalten, dass die Patienten in der Studie alle mit stimmungsstabilisierenden Substanzen behandelt wurden. Deshalb lässt die Studie keine allgemeine Aussage zum Risiko von Antidepressiva bei Patienten mit bipolarer Störung zu.

Quelle

Sachs GS, et al.: Effectiveness of adjunctive antidepressant treatment for bipolar depression. N Engl J Med 356, 1711–1722 (2007).

Belmaker R. H.: Treatment of bipolar depression. New Engl J Med 356, 1771–1773 (2007).

Apothekerin Bettina Martini
Suizid – häufiger als man denkt
In Deutschland nehmen sich jährlich etwa 12.000 Menschen das Leben, wobei die tatsächliche Zahl der Suizide (Dunkelziffer) wahrscheinlich erheblich höher liegt. Die Zahl der Suizide übersteigt demnach die der jährlichen Verkehrstoten deutlich. In der Altersgruppe der 15- bis 35-Jährigen steht der Suizid nach Unfällen an zweiter Stelle aller Todesursachen. Dabei liegt die Zahl ernsthafter Suizidversuche um das 10 bis 15-Fache höher als die der vollzogenen Suizide. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes beträgt das Verhältnis von Männern zu Frauen mit erfolgtem Suizid etwa 3:1, die Anzahl der Suizidversuche ist bei Frauen größer.
[nach DGBS e. V.]
Suizidgedanken – was kann man
als Angehöriger tun?
Angehörige von Patienten mit bipolaren Störungen fühlen sich häufig hilflos und überfordert, insbesondere wenn Suizidgedanken formuliert werden. Sie stellen sich die Frage, ob sie den Betroffenen direkt auf mögliche Suizidalität ansprechen sollen. Sollen sie beruhigen, trösten oder bagatellisieren?
Es gibt einige Verhaltensregeln, an denen man sich orientieren kann. Zunächst einmal gehört jeder suizidale Patient in die Hände eines Facharztes. Das ist allerdings schon der zweite Schritt. Zuvor sind es oft die Angehörigen, die erkennen müssen, ob jemand suizidal ist oder nicht. Falsch sind beispielsweise die folgenden Annahmen: "Wer über Suizid spricht, tötet sich nicht", "Suizide geschehen ohne Vorwarnung", "Wer von sich aus über Suizid spricht, will nur Aufmerksamkeit erheischen oder Mitmenschen manipulieren", "Einer Suizidandrohung nimmt man den Wind aus den Segeln, indem man den Kranken mutig konfrontiert (‚Dann mache es doch.’)".
Diese und weitere interessante Informationen bietet die Deutsche Gesellschaft für Bipolare Störungen e. V. (DGBS) unter www.dgbs.de/suizidalitaet.php
Foto: Cramer-Gesundheits-Consulting
Manisch-depressive Erkrankung Patienten mit einer schweren depressiven Episode erhielten zusätzlich zu ihrer Basistherapie mit Stimmungsstabilisierern Antidepressiva. Diese Add-on-Medikation scheint nicht effektiv zu sein, ist aber auch nicht kontraindiziert: Sie erhöhte nicht die Rückfallrate für manische Episoden.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.