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Ist das verantwortungsvolle Gesundheitspolitik?

Immer wieder warf die Bundesregierung in den vergangenen Monaten den Apothekern einen fehlenden Preiswettbewerb bei OTC-Arzneimitteln vor. Beklagt wurde, dass die OTC-Preise trotz freier Preisbildung nicht sinken. Jetzt hat sich sogar das Bundeskartellamt eingeschaltet, weil es Preisabsprachen unter Apotheken vermutet und zu wenig Wettbewerb sieht.

Nachvollziehen kann ich die Vorwürfe der Bundesregierung nicht. Sicher, die Preise bei OTCs differieren in den meisten Apotheken nicht gravierend. Das dürfte seine Ursache vor allem darin haben, dass die Apotheken wirtschaftlich stark unter Druck stehen. Woher sollen sie die Valenzen nehmen, um einen Preiswettbewerb bei Arzneimitteln in Gang zu setzen? Bei einem Honorar von letztlich nur 5,80 Euro (plus 3% des Arzneimittelpreises) für die Abgabe eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels lassen sich keine großen Sprünge machen. Betriebswirtschaftler rechnen bereits vor, dass die Einnahmen aus diesem Bereich gerademal die Fixkosten einer Apotheke decken. Für Investitionen und für den Unternehmerlohn beispielsweise ist eine Apotheke heute mehr denn je auch auf Erträge aus dem OTC-Segment angewiesen. Da wundert es nicht, wenn hier vorsichtig agiert wird.

Andererseits gibt es sie bereits in deutschen Landen, die Preiskämpfe im Segment der nichtverschreibungspflichtigen und freiverkäuflichen Arzneimittel – Preisschlachten, die einem die Haare zu Berge stehen lassen. Ein Blick in die Preislisten der Versandapotheken offenbart, mit welchen Schnäppchenpreisen die Kunden gelockt werden sollen. Aber auch zahlreiche Präsenzapotheken mischen bereits kräftig mit. Ich erinnere an die Preiskämpfe im Hamburger Raum Anfang dieses Jahres, an die Dumpingpreise der Easy-Billig-Discount-DocMorris-Apotheken und wie sie alle heißen. Ist es das, was sich Regierung und Kartellamt wünschen? Einen entfesselten Wettbewerb bei Arzneimitteln? Freut man sich darüber, dass eine süddeutsche Apotheke in Zeitungsannoncen beispielsweise 30 Tabletten "Paracetamol ratiopharm 500" statt für 2 Euro nun zum Bonbonpreis von 69 Cent anbietet?

Wer heute nach Polen oder Litauen reist, kann sogar noch drastischere Auswirkungen der schönen neuen Apotheken-Wettbewerbswelt kennenlernen. Dort werden Arzneimittel zum Teil unter Einkaufspreis abgegeben, teils mit Gewinnspielen verbunden, bei denen sogar Autos zu gewinnen sind.

Oder würde sich die Bundesregierung über US-amerikanische Verhältnisse freuen? Dort soll die Supermarktkette "Publix" ("Where shopping is a pleasure") in ihren rund 700 Drugstores verschiedene Antibiotika an ihre Kunden verschenken, wenn ein entsprechendes Rezept vorgelegt wird. Bis zu 14 Tagesdosen sollen die Patienten erhalten, ohne dass sie oder ihre Krankenversicherung etwas dafür bezahlen müssen. Das Angebot sei nicht beschränkt, heißt es, die Patienten könnten mehrere Rezepte pro Person einlösen und ihre verordneten Antibiotika wie Amoxicillin, Ampicillin, Ciprafloxacin, Penicillin V, Erythromycin und andere gratis mitnehmen. Publix reagiert damit auf das Wettbewerbsverhalten von Mitbewerbern, die Generika zuvor zu einheitlichen Dumpingpreisen von vier Dollar abgegeben haben.

Mediziner und Infektiologen raufen sich die Haare angesichts der steigenden Antibiotika-Resistenzentwicklung. Schon heute sind viele Bakterienstämme gegen noch bis vor wenigen Jahren potente Antibiotika resistent – mit dramatischen Folgen. Zeigt nicht gerade dieses Beispiel, dass der freie und ungehemmte Wettbewerb in keiner Weise zum Arzneimittelmarkt passt?

Vermutlich deutet das darauf hin, was in den nächsten Jahren an "Wettbewerb" auch auf uns zukommen wird. Der Blick ins Ausland zeigt die Spielarten. Man könnte zum Zyniker werden: Dank an die Bundesregierung für das Anheizen des Wettbewerbs bei Arzneimitteln. Schnäppchenpreise, Sonderangebote, Discount-Arzneimittel – alles zum Wohl der Volksgesundheit? Ist das verantwortungsvolle Gesundheitspolitik, Frau Schmidt?

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