Doping

Die Sp(r)itze des Eisbergs

Beim Doping in allen Sportarten gibt es seit Jahrzehnten einen Wettlauf zwischen Dopern und Kontrolleuren. Was nicht nachzuweisen ist, wird genutzt. In den 90er Jahren war es Epo, heute sind es Epo-Mimetika. Viele Peptid- und Glykoproteinhormone sind nicht sicher nachweisbar. Auch Doping-Methoden wie Gendoping sind durch "Tests" derzeit noch nicht sicher nachzuweisen. Mit "intelligentem Timing" können die Kontrolleure ausgetrickst werden. Stichproben erfassen gerade einmal die Spitze des Eisbergs. Ist es wirklich so überraschend, was von den Radsport-Ikonen zugegeben wurde? Es hat in vielen Sportarten Doping gegeben und es wird auch immer Doping geben. Die Lebenslüge vom idealistischen Sportler, der nur um Ruhm und Ehre kämpft, ist zwar romantisch, aber war schon in der Antike ein Witz. Die Zuschauer, Medien, Sponsoren und Funktionäre sind mitschuldig. Die Sportler bewegen sich in einer Welt, die geradezu um Betrug bettelt. Es muss ja immer neue Rekorde und Höchstleistungen geben, damit die Quoten und Werbeeinnahmen stimmen.

So ist es auch nicht verwunderlich, dass an einigen Kliniken Forschung zur Manipulation im Spitzensport betrieben wurde. Robert Kerr, inzwischen verstorbener Sportmediziner aus Los Angeles, hat als Autor des Buches "The practical use of anabolic steroids with athletes" all seine Erfahrungen, die er mit Leistungssportlern der Spitzenklasse gemacht hat, zusammengefasst. Mehr als zwanzig amerikanischen Leichtathleten hat er "mit persönlicher Unterstützung" zu Medaillengewinnen bei den Olympischen Spielen verholfen. Die Namen der Athleten hat er mit ins Grab genommen.

Victor Conte vom Balco Forschungslabor hat in Zusammenarbeit mit Ärzten und Apothekern Designersteroide wie THG (Tetrahydrogestrinon) entwickelt, die seinerzeit nicht nachgewiesen werden konnten. Von seiner "Forschungsarbeit" profitierten sämtliche Athleten der Westküste, aber nur ein Athlet wurde "erwischt" und musste als Prügelknabe herhalten: Ben Johnson war positiv auf Stanozolol. Entweder hatte er zusätzlich zum THG eigenmächtig Stanozolol genommen, was er vehement abstritt, oder es wurde ihm von der "Konkurrenz untergejubelt".

Auch an der Universitätsklinik Freiburg soll Manipulation im Spitzensport Tradition gehabt haben, so berichtet die "Hannoversche Allgemeine" am 23. Mai 2007. Seit mehr als einem halben Jahrhundert tauchen die Namen von Sportmedizinern der Universitätsklinik immer wieder in diesem Zusammenhang auf. Schon in den 80er Jahren waren die Freiburger Mediziner, allen voran der Olympiaarzt Prof. Joseph Keul, an der Erforschung von Arzneimitteln zur Leistungssteigerung beteiligt. Die Projekte liefen unter dem Deckmantel "Regenerative Maßnahmen im Leistungssport". "Testosteronapplikation und Leistungsfähigkeit bei Skilangläufern" und "Die Wirkung von Dopingmitteln auf den Kreislauf und die körperliche Leistungsfähigkeit" sind Beispiele für an der Freiburger Uni verfasste Doktorarbeiten. Es liegt die Vermutung nahe, dass sowohl Joseph Keul als auch sein Kollege Wilfried Kindermann, langjähriger Arzt der Fußball-Nationalelf, die Nebenwirkungen gewisser anaboler Steroide verharmlosten. Professor Klümper gab offen zu, Sportverletzungen mit Wachstumshormonen und anabolen Steroiden "behandelt zu haben". Berühmt und berüchtigt war er für seinen "Klümper Cocktail", von dem sich Sportler wahre Wunderdinge erhofften, so berichtet Andreas Singler in seinem Buch "Ärzte im Schafspelz" über die Freiburger Sportmedizin. 1976 beschlossen die deutschen Verbandsärzte bei einem Kongress in Freiburg gar die kurzzeitige Anabolikafreigabe, damit die deutschen Leichtathleten und Gewichtheber international konkurrenzfähig bleiben konnten.

"Doping an der Klinik hat Tradition in Freiburg", so war es auch in etlichen Tageszeitungen zu lesen. Diese Tradition wurde vermutlich bis zu den Dopingskandalen dieses Jahres weitergeführt. Vor Einführung regelmäßiger Dopingkontrollen im Jahre 1988 wurde noch offen darüber gesprochen, danach nur noch hinter vorgehaltener Hand. Die angeblich "spektakulären Enthüllungen" werden vermutlich nicht auf den Radsport begrenzt bleiben. Olympia-Arzt Huber, einer der drei Mediziner, die im Dopingskandal geständig waren, betreute schließlich bei sechs Olympischen Spielen deutsche Athleten verschiedener Disziplinen. Andererseits engagierte er sich als Anti-Doping-Beauftragter. Eine unabhängige Expertenkommission wird das von Dr. Huber genannte Motiv, "unrecht gehandelt zu haben, um Schlimmeres zu verhindern," bewerten.

Dieses Motiv wurde seinerzeit auch von Robert Kerr M.D. angegeben. "Ich betreue die Athleten, damit sie nicht gezwungen sind, auf Schwarzmarktprodukte zurückzugreifen, die ein ungleich höheres Risiko darstellen würden".

Weltweite Netzwerke – Dopingmittel als NEM

Prof. Werner Franke, Heidelberger Molekularbiologe und einer der profiliertesten Doping-Bekämpfer, hat die Hoffnung auf einen ethisch vertretbaren Leistungssport aufgegeben, und hält die üblichen Dopingkontrollen nicht für ausreichend. Im Hochleistungssport hat sich nach seiner Aussage längst ein weltweites, über das Internet verbundenes Betrugssystem gebildet. Internationale Netzwerke beliefern prominente Kunden weltweit. Das Netzwerk des amerikanischen Labors Balco unter der Leitung des oben erwähnten Victor Conte spannte sich über die Vereinigten Staaten hinaus nach Kanada, Europa und bis in die Ukraine. Weltweit wurden "verunreinigte" Nahrungsergänzungsmittel (NEM) mit falsch deklarierten Inhaltsstoffen vertrieben. "The Cream" und "The Clear" waren der Renner, bis der Schwindel aufgeflogen ist. "The Cream" enthielt als Wirkstoff Testosteron, und um Doping zu verschleiern, Epitestosteron. "The Clear" enthielt das oben erwähnte Tetrahydrogestrinon (THG), ein Steroid, dass lange Zeit nicht nachgewiesen werden konnte.

In Nordostchina ist eine Sportschule wegen "kollektiven Dopings", wie es früher in der ehemaligen DDR üblich war, aufgeflogen. Bei einer unangemeldeten Inspektion sind Mitarbeiter der Anshan-Sportschule in der Provinz Liaoning dabei ertappt worden, wie sie Jugendlichen gerade verbotene Substanzen spritzten. Große Mengen Testosteron wurden sichergestellt, die als Vitaminspritzen deklariert waren.

Doping auch im Fitness-Sport

Geradezu besorgniserregend ist der zunehmende Missbrauch von Arzneimitteln zum Zwecke des Dopings im Breiten- und Fitnesssport. Die Hürden sind in Deutschland inzwischen tiefer gesetzt und erleichtern den Bezug verschreibungspflichtiger Medikamente zum Zwecke der Leistungssteigerung. Die "Liberalisierung" macht es möglich. Über Anzeigen im Internet und in der einschlägigen Literatur werden Wachstumshormone, Wachstumsfaktoren, Insulin und Steroide beworben. Gegen Gebühr wird ein Rezept ausgestellt. Die gewünschten Medikamente werden über den Versand zugestellt.

Durch Legalisierung des Versandhandels mit Arzneimitteln fallen in Deutschland die Schranken für verschreibungspflichtige Arzneimittel und laden zum Dopen mit anabolen Stero-iden und "Lifestyle"-Medikamenten ein. Der grenzüberschreitende Arzneimittelversand gefährdet die Arzneimittelsicherheit und reduziert Arzneimittel zur Handelsware. Das Internet als anonymes Medium macht es schwer, den Weg der Arzneimittel vom Hersteller über den Vertreiber bis zum Kunden festzustellen, was das Web obendrein zum "Tummelplatz" von Arzneimittelfälschern und illegalen Händlern macht. So wurden laut Spiegel TV über ebay Anabolika an Jugendliche ohne ärztliche Verordnung verkauft.

Einfallstor Internethandel

Durch "Liberalisierung" des Arzneimittelhandels wurde in Deutschland Schwarzmarkthändlern und Arzneimittelfälschern als Trittbrettfahrer Tür und Tor geöffnet. So werden über ausländische Internetapotheken gefälschte Arzneimittel bezogen und in Fitnessstudios an den Mann gebracht. Besonders riskant ist der Kauf von Wachstumshormonen und Anabolika. Ein großer Teil der nicht verkehrsfähigen angebotenen Ware wird in Russland immer noch aus menschlichen Hirnen gewonnen. Die Gefahr, sich auf diesem Weg mit der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit zu infizieren, ist groß.

Dianabol ist 1982 wegen schwerwiegender Nebenwirkungen mit Todesfolge bei missbräuchlicher Anwendung weltweit von der Firma Ciba vom Markt genommen worden. Die Substanz Metandienon wird jedoch weiterhin von "Waschküchenchemikern" in Labors produziert und auf dem Schwarzmarkt über das Internet angeboten. Die Verantwortlichen können nicht zur Rechenschaft herangezogen werden, da Anschrift, Firmenname, Website und Produktname ständig geändert werden. Prominentes

"Metandienonopfer" ist der Deutsche Andreas Münzer, der sich dieses in Deutschland nicht mehr verkehrsfähige Arzneimittel aus Thailand "besorgt" hatte. Die Medien berichteten seinerzeit ausführlich über den Fall Münzer.

Geradezu skandalös ist, dass dieses gefährliche Steroid, als Nahrungsergänzungsmittel "maskiert", über eine englische Internetadresse nichtsahnenden Kunden angeboten wird!

Inzwischen wird der Markt mit "maskierten" Anabolika überschwemmt, so Dr. Geyer vom Dopingforschungszentrum an der Deutschen Sporthochschule Köln. Hinter den als Nahrungsergänzungsmitteln bezeichneten 1-Testosteronderivaten verbergen sich Anabolika, die in der Tiermast Anwendung finden, bzw. die wegen schwerwiegender Nebenwirkungen vom Markt genommen wurden und nicht mehr verkehrsfähig sind. So erfahren etliche Arzneimittel mit anaboler Wirkung eine "Wiedergeburt" als Nahrungsergänzungsmittel.

Versandverbot von Arzneimitteln

Es ist für den Laien nicht erkennbar, ob hinter einer Internetapotheke tatsächlich eine seriöse Apotheke steht oder nicht. Selbst wenn Sie sich auf einer seriösen Webseite befinden sollten, können Sie über manipulierte Links auf gefälschte Internetseiten gelockt werden, die dem Original täuschend ähnlich sind.

Laut Prof. Dr. Harald Schweim von der Universität Bonn, mit Lehrstuhl für Drug Regulatory Affairs, gibt es keine technischen und datenschutzrechtlichen Möglichkeiten dies aufzudecken, da eine internet-technisch kompetente Überwachungsbehörde, die europaweit die Internetangebote überprüft, fehlt (siehe auch seinen Beitrag in DAZ 2007, Nr. 27, S. 52).

Der illegale, grenzenlose Versandhandel hat inzwischen eine Eigendynamik angenommen, die nur schwer kontrollierbar ist. Die Freigabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel für den Versandhandel ermöglicht es den unseriösen Händlern "Ware" an den Mann zu bringen. Ein generelles Versandverbot von Arzneimitteln wäre daher die Voraussetzung zur Verhinderung von Doping.

Literaturnachweis:

Strepenick, Andreas: Die Schwarzmarktklinik. Der Tagesspiegel 25.5.2007

Singler, Andreas: Die Schule des Dopings. Hannoversche Allgemeine 23.5.2007

Hürter, Tobias: Rezepte für den Sieg. Die Zeit, 31.5.2007 Nr.23

Gernandt, Michael: 101 Medikamente, 400 Injektionen. Der tragische Tod Birgit Dressels. Süddeutsche Zeitung, 10.4.2007

Singler, Andreas. www.wissenswerkstatt.net Ärzte im Schafspelz. Die Freiburger Sportmedizin. Dopingarrangements im Spitzensport. 31.5.2007

Hahn, Jörg: Spürhunde waren Maulwürfe. Der Fall des Dopingarztes Huber, FAZ, 28.5.2007

Kerr, Robert M.D.: The practical use of anabolic steroids with athletes. Copyright 1982 by Robert Kerr.

Anschrift des Verfassers:

Wilfried Dubbels, St. Viti Apotheke, Bremer Straße 1, 27404 Heeslingen
Doping im Fitness-Sport Die Legalisierung des Versandhandels mit Arzneimitteln erleichterte den Zugang zu Präparaten, die zum Doping eingesetzt werden.
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