Arzneimittel und Therapie

Arzneimittelentwicklung

Biosimilars – eine neue Arzneimittelgeneration kommt

Vor über 30 Jahren eroberten die ersten Generika den Arzneimittelmarkt. Inzwischen sind viele Innovationen hochkomplexe Moleküle mit komplizierter Proteinstruktur, für die Nachahmerprodukte nicht einfach herzustellen und damit auch nicht so einfach zuzulassen sind. Der Nachweis der Bioäquivalenz wie bei Generika greift hier zu kurz, es sind eigene Zulassungsregeln nötig.

Bei klassischen Generika gilt die Bioäquivalenz als Zulassungskriterium: "Zwei Präparate werden als bioäquivalent bezeichnet, wenn – bei gleicher molarer Dosis – ihre Plasmakonzentrations-Zeit-Profile so ähnlich sind, dass hinsichtlich therapeutischer erwünschter und/oder unerwünschter Wirkungen wahrscheinlich keine klinisch relevanten Unterschiede auftreten."

Ein Toleranzbereich von 80 bis 120% um den Mittelwert der AUC (area under the curve; Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve) des Originalpräparats wurde festgelegt, in dem ein Generikum als bioäquivalent gilt. Diese Grenze wurde damals willkürlich festgesetzt (siehe Grafik).

Viele Innovationen der Arzneimitteltherapie in den letzten zwanzig Jahren sind auf biologische Arzneimittel zurückzuführen – Tendenz steigend. Beispiele sind rekombinantes Insulin, Epoetin, Interferone, Wachstumshormone oder monoklonale Antikörper. Die Patente der ersten sogenannten "Biologicals" laufen nun aus, was den Markt für Nachfolgeprodukte öffnet.

Dass der Weg zur Zulassung für ein biologisches Nachfolgeprodukt aber anders sein muss als bei einem Generikum, war klar. Denn der Nachweis der Bioäquivalenz wie bei Generika greift bei komplizierten biologischen Produkten zu kurz. Trotz modernster analytischer Methoden ist ein eindeutiger Äquivalenzbeweis bei komplizierten biologischen Molekülen im Labor nicht möglich. Mit dem Nachweis einer identischen Aminosäurekette wird beispielsweise nichts über die Tertiärstruktur eines Proteins ausgesagt, die aber häufig die Wirkung einer Substanz ausmacht. Diese und andere Eigenschaften werden durch den Herstellungsprozess mitbestimmt. Man spricht daher bei Nachfolgeprodukten von Biologicals nicht von Generika, sondern von Biosimilars oder genauer von Similar Biological Medicinal Products.

Aufwendiges Zulassungsverfahren

Während Generika im Labor auf Bioäquivalenz untersucht werden, ist für Biosimilars ein aufwendiges Studienprogramm – inklusive klinischer Studien am Menschen – vorgeschrieben. So wird die Äquivalenz der Pharmakokinetik nicht durch In-vitro-Freisetzungsstudien, sondern durch Untersuchungen am Menschen nachgewiesen.

Außerdem muss die pharmakodynamische Äquivalenz nachgewiesen werden. Diese kann durch Blutspiegelkontrollen verschiedener Biomarker untersucht werden. Man misst beispielsweise die Veränderung der Glucose-Konzentration nach Gabe von Insulin. Darüber hinaus sind Phase-III-Studien mit harten klinischen Endpunkten vorgeschrieben.

Je nach Substanz variiert das vorgeschriebene Zulassungsdossier. Die Zulassungsbehörden und die ersten Firmen, die einen Antrag stellen wollen, erarbeiten gemeinsam ein Verfahren, das dann für weitere Nachfolgeprodukte gilt.

Gegenüber einem Originalpräparat können Phase-II-Studien, also Dosisfindungsstudien entfallen, ein Biosimilar wird in der gleichen Dosierung eingesetzt wie das Original. Eine Zulassung gilt außerdem für die gleichen Indikationen, in denen das Original zugelassen ist, auch wenn klinische Phase-III-Studien nicht in allen Indikationen, sondern in ausgewählten Referenzindikationen durchgeführt werden müssen (siehe Tabelle).

Wachstumshormon war das erste Biosimilar

Im April 2006 wurde mit Omnitrope® das erste biologische Nachfolgeprodukt in Europa zugelassen. Es entspricht dem humanen Wachstumshormon Somatropin bzw. dem Originalpräparat Genotropin® Das Molekül umfasst 191 Aminosäuren und zwei Disulfidbrücken und gilt als eher einfaches Biological. Normalerweise wird es in ausreichender Menge in der Hirnanhangdrüse gebildet und pulsatil vor allem während der Tiefschlafphasen freigesetzt. Wird es nicht ausreichend gebildet, entstehen schwere Defizite.

Neben der wichtigen Steuerung des Längenwachstums der Knochen über die Epiphysenfugen hat Somatropin auch metabolische Steuerungsfunktion: Es fördert den Eiweißaufbau (anabole Wirkung) und den Fettabbau (lipolytische Wirkung), außerdem wirkt es antagonistisch zu Insulin.

Ein Wachstumshormonmangel im Kindesalter hat schwerwiegende Folgen. Die Kinder erscheinen als "zurückgeblieben", weil sie nicht ausreichend Muskulatur entwickeln und die Körpergröße nicht altersgemäß ist. Sie erreichen im Erwachsenenalter nur eine Körpergröße von 120 bis 140 cm. Durch die Behandlung können etwa 10 cm Körpergröße gewonnen werden und die metabolischen Folgen wie Fettleibigkeit und Muskelschwäche reduziert werden.

Einsparpotenzial ist groß

Die Behandlung eines Wachstumshormonmangels kostet bisher etwa 6000 Euro pro 10 kg Körpergewicht pro Jahr. Das Einsparpotenzial durch Biosimilars liegt bei rund 25% gegenüber dem Originalpräparat.

Im Juli dieses Jahres wurde eine anwenderfreundlichere Formulierung des ersten Biosimilars Omnitrope® zugelassen. Dabei kann die fertige Injektionslösung als Patrone in einen Pen gesteckt und injiziert werden, der bisher nötige Schritt, vorher das Lyophilisat aufzulösen, entfällt.

Quelle

Prof. Dr. Fritz Sörgel, Nürnberg und Essen, Ingrid Schwarzenberger, Ismaning, Dr. Martin Schiestl, Ismaning, Prof. Dr. H. P. Schwarz, München. Pressekonferenz "Omnitrope liquid – Mit Sandoz wachsen", München, 5. Juli 2007, veranstaltet von der Sandoz Pharmaceuticals GmbH.

Apothekerin Bettina Martini
Minderwuchs:
Häufigkeit und Ursachen
Von Minder- oder Kleinwuchs spricht man, wenn die Körpergröße das 10. Perzentil der Wachstumskurve für das entsprechende Alter unterschreitet. Beim Mann beträgt die endgültige Körpergröße dann weniger als 1,50 und bei der Frau weniger als 1,40 m.
Die Ursache kann genetisch, erworben (z. B. Tumor), idiopathisch oder aber funktionell, zum Beispiel Stress, sein.
Ein Wachstumshormonmangel im Kindesalter kommt mit einer Inzidenz von 1: 4000 bis 1: 10.000 vor. Jungen sind doppelt so häufig betroffen wie Mädchen.
Indikationen für eine Therapie
mit Wachstumshormonen
  • Wachstumshormonmangel
  • Ullrich-Turner-Syndrom (weibliche Kinder mit fehlendem zweiten X-Chromosom)
  • terminale Niereninsuffizienz bei Kindern
  • Prader-Willi-Syndrom (Chromosomenstörung mit Minderwuchs und Adipositas)
  • intrauteriner Kleinwuchs (vermindertes Geburtsgewicht ohne Aufholwachstum)
  • schwerer Wachstumshormonmangel beim Erwachsenen
Ein Toleranzbereich von 80 bis 120% um den Mittelwert der Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve des Originalpräparats wurde festgelegt, um über die Bioäquivalenz von Präparaten zu entscheiden. In dem Beispiel ist Präparat A bioäquivalent, Präparat D ist bioinäquivalent, für B und C ist eine Entscheidung im vorliegenden Fall noch nicht zu treffen, möglicherweise ist eine höhere Probandenzahl nötig. [Quelle: K. Bauer, K. Frömming, C. Führer: Lehrbuch der Pharmazeutischen Technologie, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart (2006).]
Fehlendes Wachstumshormon im Kindesalter kann schwerwiegende Folgen haben. So wird im Erwachsenenalter nur eine Körpergröße von 120 bis 140 cm erreicht Durch eine – sehr teure – Behandlung mit Wachstumshormonen kann etwas Körpergröße gewonnen werden. Mit dem einem Biosimilar eines Wachstumshormons können diese Kosten reduziert werden.
Foto: Imago

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