Praxis aktuell

Erfahrungen aus England

Wenn Ketten kommen

Eine deutsche Apothekerin hatte die Gelegenheit, längere Zeit in einer englischen Kettenapotheke als angestellte Apothekerin zu arbeiten. Ihr Erfahrungsbericht bestätigt, was viele vermuten und so manche Politiker nicht wahrhaben wollen: Werden Fremdund Vielbesitz bei Apotheken möglich, sind Apothekenketten zugelassen, resultieren daraus sehr schnell Oligopole, langfristig werden die Preise steigen und die Qualität sinken. Lesen Sie ihren Erfahrungsbericht.

In den vergangenen Monaten gab es eine Vielzahl von Angriffen gegen die Apothekerschaft: das Hauptgutachten der Monopolkommission, der Angriff auf das Fremd- und Vielbesitzverbot durch DocMorris und den Saarländischen Gesundheits- und Justizminister Minister Hecken, die kommende Gesundheitsreform und zuletzt das Urteil pro dm-Drogeriemarkt. Das Ganze war stets untermalt von einer nicht endenden Kette negativer Berichterstattung in der überregionalen Presse. Die Gesundheitsreform, die kurz vor der Verabschiedung steht, wartet mit verschiedenen "Folterinstrumenten" auf und verlangt den Apotheken deutliche Einsparungen ab. Hinzu kommt der gnadenlose Preiskampf im OTC-Bereich.

Bei allem Negativen – die größte Bedrohung des traditionellen Apothekenwesens wäre wohl der Fall des Fremd- und Vielbesitzverbotes. Interessierte Kreise scheinen die Entwicklung voranzutreiben, an deren Ende die Apothekenketten, ausgestattet mit großen finanziellen Ressourcen, stehen. So geschehen im Saarland, wo die unheilvolle Allianz Däinghaus und Hecken durch das Herbeiführen eines klaren Rechtsbruchs versuchte, den demokratischen, politischen Weg zu umgehen und das Ziel stattdessen über ein Gerichtsurteil zu erreichen. Sollten sich die Apothekenketten tatsächlich durchsetzen, kommen große Veränderungen auf das Apothekenwesen in Deutschland zu, an deren Ende womöglich das Aus der traditionellen öffentlichen Apotheke steht.

Das Fremd- und Vielbesitzverbot ist präventiver Verbraucherschutz, denn kommen die Apothekenketten, so wird die Konkurrenz kleiner, es resultieren Oligopole und langfristig werden die Preise steigen und die Qualität sinken. So geschehen in Norwegen, wo sich innerhalb von kürzester Zeit zwei Großhändler den Markt aufgeteilt haben. Dort sind die Arzneimittelpreise im letzten Jahr gestiegen. Oder in England, wo die unabhängige Apotheke ein Nischendasein fristet. Hier sind die Arzneimittelpreise so hoch, dass die Medikamente aus Deutschland importiert werden, in Zeiten einer Arzneimittelknappheit, beispielsweise bei einer Grippeepidemie steht es den Apotheken im übrigen frei, Preise in beliebiger Höhe zu nehmen.

Qualitätsmängel der Kette

Ich selbst hatte die Möglichkeit, über längere Zeit als angestellte Apothekerin berufliche Erfahrungen bei einer großen Apothekenkette in England zu sammeln. Im direkten Vergleich bleibt die Apothekenkette weit hinter der Qualität deutscher Apotheken zurück.

Ein Hauptgrund für diesen Qualitätsmangel ist sicherlich die vergleichsweise schlechte Ausbildung des Apothekenpersonals. Die beiden Berufsbilder pharmacy-assistant und dispenser konnten durch einen drei bzw. zwölf Monate dauernden firmeninternen Kurs mit hauseigenem Lehrmaterial und abschließender interner Prüfung erreicht werden. Der Absolvent musste dabei keine besonderen Qualifikationen oder Abschlüsse als Voraussetzung nachweisen.

So waren im Rx-Bereich zwar ein Dispenser und ein Apotheker beschäftigt, am pharmacy-counter mit den OTC-Arzneimitteln allerdings nur angelernte pharmacy-assistants. Sie betätigten bei der Abgabe eine Alarmglocke, damit der Apotheker aus der Ferne durch ein Kopfnicken die Abgabe bestätigen konnte. So kam es auch schon mal vor, dass Verkäuferinnen aus der Baby-Abteilung, die irgendwann ihren pharmacy-assistant-Kurs absolviert hatten, im Apothekenbereich aushalfen.

Der Store-Manager, meist auch ein Apotheker, war von dem ständigen Druck getrieben, die richtigen Umsatzzahlen zu liefern, insbesondere, wenn ein Besuch eines Gebietsleiters anstand. Dieser Druck wurde natürlich in die entsprechenden Abteilungen weitergegeben. Die wichtigste Zahl des Tages für den Apothekenbereich war die Anzahl der abgegebenen Rx-Arzneimittel.

Auseinzeln: zeitintensiv und unhygienisch

Zur üblichen Praxis bei der Rezeptbelieferung gehörte es, Tabletten von Hand auszueinzeln und in braune Medikamentenfläschchen abzufüllen. Ein zeitintensiver, unhygienischer, für Verwechslungen anfälliger Vorgang, unter dem die Arzneimittelsicherheit drastisch leidet und der wie ein Rückschritt in vorindustrielle Zeiten anmutet. Des Weiteren gehörte es zur gängigen Praxis, Blister zu zerschneiden und die Anbrüche in weiße Pappschachteln umzufüllen. Die Angaben zum Verfalldatum und Chargenbezeichnungen gingen dabei oft verloren.

Diese Endverbrauchergefäße wurden mit ausgedruckten Etiketten versehen, die den Namen des Patienten, des Arzneimittels, Angaben zu Charge und Verfalldatum, die Dosierung und Warnhinweise wie "von Kindern fernhalten", trugen. Ein Beipackzettel war dabei nicht vorgesehen. Erst seit diesem Jahr ist ein ausgedruckter Beipackzettel auch bei ausgeeinzelten Medikamenten mitzugeben.

Ein Apotheker verglich die Angaben auf dem Rezept mit den umverpackten Medikamenten und bestätigt dies durch seine Unterschrift. Seit Kurzem kann diese Tätigkeit auch ein dispenser durchführen, der Apotheker prüft nur noch die verordneten Medikamente auf Wechselwirkungen.

Die Arzneimittel wurden dann in Papiertüten verpackt, mit einem Etikett zugeklebt und dem Patienten übergeben. Eine Beratung über die in der verschlossenen Tüte befindlichen Arzneimittel fand dabei nur auf Anfrage statt. Durch das zeitaufwendige Umverpacken bedingt, musste der Kunde meist längere Wartezeiten in Kauf nehmen, wofür schon die aufgestellten Wartebänke sprachen.

Heimversorgung und Verblistern

In einem abgetrennten Bereich erledigten zwei pharmacy-assistants die Heimversorgung. Dafür wurden von Hand die festen Arzneimittelformen in mit 28 Mulden versehene Plastikplatten abgefüllt, die einem Monatsbedarf entsprachen. Dann wurde die Rückseite mit einer Folie verschlossen und dieser Blister wiederum mit einem Etikett versehen. Die Medikamente wurden dafür als lose Ware aus großen Dosen entnommen, in einigen Fällen aber auch unsinnigerweise zuerst aus Blistern herausgedrückt, um dann wiederum in hauseigene Blister verpackt zu werden. Vor der Auslieferung verglich ein Apotheker dann die Blister mit den verordneten Medikamenten, ansonsten arbeiteten die Damen vollkommen selbstständig.

Variabler Personaleinsatz

Die unabhängige Apotheke ist in den guten Lagen der Innenstädte so gut wie gar nicht mehr zu finden. Sie ist in die Vorstädte abgedrängt worden, während die verschiedenen Ketten sich die guten Standorte in den Fußgängerzonen der größeren Ortschaften aufgeteilt haben. Durch lange Öffnungszeiten bedingt gab es ein ständiges Hin- und Herschieben des Personals. So gab es beispielsweise Apotheker, die an jedem Tag der Woche in einer anderen Niederlassung arbeiteten, um freie Tage des festen Personals abzudecken. Der Informationsfluss war dadurch entsprechend schlecht.

Diverse Arzneimittel, die in Deutschland unter die Apothekenpflicht fallen, erhält man in England ohnehin im Supermarkt in der Selbstbedienung, denn sie gehören zur general sales list. Der Kunde kann sich hier beispielsweise mit abschwellenden Nasentropfen oder Hustensaft für Kinder eindecken, ganz ohne Beratung versteht sich.

Fazit

Das bewährte, qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgungssystem in Deutschland würde durch die Einführung von Apothekenketten leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Mit den Apothekenketten, wo nur noch der Profit zählt, würde sich die gesamte Apothekenlandschaft verändern und der Verbraucherschutz dramatisch leiden.

F. Mügge, Mühlheim

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