Niedersachsen

Nicht unterkriegen lassen

Das Thema des berufspolitischen Forums beim Niedersächsischen Apothekertag lautete: "Neue Partnerschaften im Gesundheitswesen – steht der Patient noch im Mittelpunkt?" Im Mittelpunkt der Diskussion standen jedoch die Rabattverträge, die im Apothekenalltag derzeit auch die Gespräche mit Patienten dominieren.

"Die öffentliche, inhabergeführte Apotheke ist nicht dem Untergang geweiht", rief Linz den Teilnehmern in ihren Eröffnungsworten zum Apothekertag zu. Man dürfe sich nicht durch das Wunschdenken einiger Weniger verunsichern lassen. Die Unabhängigkeit des Heilberufs, das Individuelle der einzelnen Apotheke werde von den Patienten nach wir vor geschätzt: "Die Menschen wollen uns und brauchen uns." Der Versandhandel sei bisher nicht sehr erfolgreich gewesen.

Linz forderte dazu auf, konsequent und motiviert weiter zu arbeiten, auch wenn es angesichts so mancher Widrigkeiten schwerfalle.

Grußworte des Niedersächsischen Sozialministeriums überbrachte Dr. Peter Wüst, Leitender Ministerialdirektor. Nach einem Exkurs in die Geschichte der Entstehung des Apothekerberufs nahm er zur heutigen Situation des Apothekers Stellung. Der in den USA entstandene Fremdbesitz bei Apotheken mit seinen Ketten und der Entwicklung hin zum Drugstore sah er nicht als übertragbar auf Deutschland an. Er sehe darin u.a. die Gefahr, dass solche Entwicklungen zu Lasten der Qualität unseres Gesundheitssystem gehen. Zwar hat sich der Arbeitsplatz des Apothekers geändert – in erster Linie werden heute Fertigarzneimittel abgegeben und nur zu einem kleinen Prozentsatz noch Rezepturen angefertigt. Dafür hat der Apotheker heute neue und erweiterte Aufgaben im Gesundheitswesen übernommen, beispielsweise mehr Koordination, Beratung und Gesundheitsvorsorgeleistungen. Der Apotheker ist als Arzneimittelspezialist gefragt, sein Service und seine Leistungen müssen überzeugen. Vor diesem Hintergrund begrüße er die in Niedersachsen gestartete Qualitätsoffensive, "das ist genau das Richtige". Er begrüße solche Investitionen in die Qualität.

Sollte mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) das Fremdbesitzverbot fallen, kämen grundlegende Änderungen auf Deutschland zu. Bereits jetzt versuchten einige, sich günstige Startpositionen für diesen Tag zu verschaffen. Die Apotheker sollten keine Angst vor der Zukunft haben, aber die Entwicklung genau beobachten und frühzeitig auf mögliche Entwicklungen reagieren.

Eine wenig nachvollziehbare Ansicht äußerste Wüst zum von Nordrhein-Westfalen ausgehenden Vorhaben, den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln wieder zu verbieten. Der niedersächsische Ministerialdirektor hält ein solches Verbot des Versandhandels für "nicht verhältnismäßig", denn "der Versandhandel genießt Bestandsschutz, da Versandapotheken über zwei Drittel des Umsatzes mit Verschreibungspflichtigem machen. Wüst könne sich dagegen vorstellen, ein Verbot von Pick-up-Stellen (beispielsweise Arzneimittelabholstellen in Drogeriemärkten) ergänzend aufzunehmen. Dies halte er für sinnvoll.

Im Prinzip richtig

Es gibt viel Ärger mit den Rabattverträgen, räumte Heinz-Günter Wolf, Vorsitzender des Niedersächsischen Landesapothekerverbands und zugleich ABDA-Präsident, in seiner Eröffnungsansprache ein. Die Rabattregelungen verlangen viel Erklärungsbedarf vom Apotheker für seine Kunden. Der Apotheker muss mit Lieferengpässen und der Verunsicherung der Patienten fertig werden. Viele Hersteller sind den neuen Herausforderungen nicht gewachsen. Die Apotheker müssten, so Wolf, das "Ergebnis des Armdrückens zwischen AOK und Generikaherstellern ausbaden". Denn die großen Generikahersteller hatten sich nicht an der Ausschreibung der AOK beteiligt, weshalb die AOK auf die kleineren Produzenten ausweichen musste. Aber: "Eine sofortige Erhöhung der Lieferkapazitäten von 1 auf 40 Prozent konnte nur in die Hose gehen", konstatierte der Verbandsvorsitzende. Doch bei allen Schwierigkeiten: "Im Prinzip sind Rabattverträge richtig, auch wenn Sie mich hauen wollen". Denn der Wettbewerb finde nun dort statt, wo er hingehöre.

Wolf hob hervor, dass die Abkopplung des Apothekerhonorars vom Verkaufspreis des verordneten Arzneimittels ein wichtiger Schritt war in Richtung Heilberuf. Nächste Schritte in Richtung noch mehr Heilberuf müssten folgen.

Das von einigen Apotheken praktizierte Zuzahlungsdumping verurteilte Wolf. Die Regierung habe dies verboten, aber "in einigen Gegenden wird immer noch getrickst".

Wolf forderte dazu auf, auch weiterhin auf Abgeordnete zuzugehen und sie in die Apotheken einzuladen, damit sie kennenlernten, welche Tätigkeiten der Apotheker heute wirklich ausübe und was "hinter den Kulissen" einer Apotheke vorgehe. Dies rufe bei Politikern immer wieder Aha-Erlebnisse hervor. diz

Rabattverträge drücken die Stimmung

Moderator Dr. Martin Thomsen, Geschäftsführer der Apothekerkammer Niedersachsen, fragte nach den Erwartungen, die verschiedene Partner im Gesundheitswesen an die Apotheker haben. Für Dr. Stefan Etgeton, Referent Gesundheit beim Bundesverband der Verbraucherzen-

tralen, sind dies die Sicherheit von Arzneimitteln und die nötigen Informationen zum Umgang mit ihnen. Die Apotheke vor Ort stehe hinsichtlich dieser Erwartungen gut da, doch werde der Eindruck der Verbraucher vielfach auch von Selbstbedienungsregalen in Apotheken geprägt. Es gebe nicht nur einen Weg der Arzneimittelversorgung, aber alle Wege müssten die genannten Anforderungen erfüllen.

Jörg Niemann, Leiter der niedersächsischen Landesvertretung der Ersatzkassenverbände VdAK/AEV, sieht die gesetzlichen Krankenversicherungen angesichts des ab 2009 geltenden Einheitsbeitrages vor radikalen Wettbewerbsveränderungen, die große Sparanstrengungen erforderten. Den Patienten gehe es aber deswegen nicht schlecht, vielmehr solle die umfassende Patientenversorgung gerade durch die Einsparungen langfristig gesichert werden. Dafür seien die Rabattverträge wichtig und würden von den Krankenkassen sicher weiter genutzt, langfristig würden auch die Anlaufprobleme gelöst. Diese Verträge zu kommunizieren sei eine wichtige Beratungsaufgabe für die Apotheken. Allerdings müsse die Lieferfähigkeit der Rabattarzneimittel gewährleistet sein. Hier stünden die Krankenkassen angesichts des Wettbewerbs um Versicherte unter großem Druck.

Peter Schmidt, Geschäftsführer des Verbandes Pro Generika, sieht die Pharmaindustrie derzeit überwiegend mit sich selbst beschäftigt, weil die Rabattverträge trotz deutlicher Mengensteigerungen bei den Generikaherstellern zu beträchtlichen Umsatzeinbußen geführt hätten. Mit Rabattverträgen sei ein "lupenreines Einkaufsmodell" geschaffen worden. Die Krankenkassen seien nun Herr des Verfahrens und könnten über Konzept und Inhalt von Ausschreibungen entscheiden. Nun liege es an den Krankenkassen, mit diesen Möglichkeiten verantwortlich umzugehen. Als Folge richte die Industrie ihren Außendienst nicht mehr auf die Apotheke, sondern auf die Krankenkassen aus. Als Ergebnis der Rabattverträge würden nur wenige Anbieter, möglicherweise nur ein Oligopol, überleben.

Position der Apotheker

Nach Einschätzung von ABDA-Präsident Heinz-Günter Wolf brauchen die Partner im Gesundheitswesen den freiberuflichen, unabhängigen und selbstständigen Apotheker, damit ihre Erwartungen an die Apotheken erfüllt würden. Die Rabattverträge seien einerseits zu begrüßen, weil der Preiswettbewerb nun dort stattfinde, wo er hingehöre. Andererseits seien sie haarscharf an der Perversion des Gesetzes gewesen, weil sie die Versorgung gefährdet hätten. Allerdings habe die AOK Niedersachsen wegen der drohenden Probleme schon frühzeitig eine Friedenspflicht vereinbart. Anstelle der Rabattverträge würden die Apotheker flexible, einfache und logische Ziel- oder Durchschnittspreisvereinbarungen vorschlagen. Apotheker könnten ihren Beruf verantwortlich nur ausüben, wo etwas auszuwählen und nicht nur mechanisch abzugeben sei. Ein künftiges Regelwerk müsse daher stets mehr als ein Arzneimittel zur Wahl anbieten, die tatsächliche Lieferfähigkeit berücksichtigen und Mindestlaufzeiten von Verträgen festlegen, die eine kontinuierliche Patientenversorgung ermöglichen. Außerdem forderte Wolf, die Ersparnisse aus den Rabattverträgen transparent zu machen und als Minderung der Arzneimittelkosten zu verbuchen.

Ärger in den Apotheken

Mehrere Apotheker im Auditorium beklagten die große Belastung durch die Rabattverträge im Apothekenalltag. Dies sei eine "bürokratische Selbstbefriedigung" von Leuten, die nicht direkt mit Patienten zu tun haben. Die Patienten könnten nicht langfristig auf das Gelingen der Verträge warten. Zudem sei es nicht die Aufgabe der Apotheker, die Kunden hinsichtlich der Rabattverträge zu beraten, sondern in pharmazeutischen Fragen, für die nun aber keine Zeit mehr sei. Wegen der Rabattverträge würde die Beratung länger dauern, die Apotheken würden durch Überstunden belastet und sollten nach Auffassung der Krankenkassen immer mehr Leistungen erbringen, würden aber immer schlechter dafür bezahlt. Zu der von Krankenkassenseite eingeforderten Partnerschaft bei der Versorgung der Patienten gehöre es, alle "Störfeuer" wie Zuzahlungsgutscheine für Versandapotheken einzustellen.

Neben den Rabattverträgen wurde als weiteres Problem ein von der Ärztegenossenschaft Nordwest gegründetes Generikaunternehmen angesprochen. Letztlich mache das unkalkulierbare Verschreibungsverhalten eine betriebswirtschaftlich sinnvolle Lagerhaltung unmöglich. Nach Einschätzung von Etgeton führen die Rabattverträge zu einer massiven Beeinträchtigung des Arzt-Patienten-Verhältnisses, weil der Arzt das Arzneimittel quasi "im Auftrag" der Krankenkassen auswähle. Es sei eine fatale Entwicklung, wenn zusätzlich durch Krankenkassen oder Ärztegenossenschaften ökonomische Anreize für Ärzte geschaffen würden. Zudem beklagte Etgeton die Vielfalt der Rabattverträge. Den Preis für die Ersparnisse der Krankenkassen würden die Akteure bei der Behandlung zahlen.

Magdalene Linz, Präsidentin der Bundesapothekerkammer und der Apothekerkammer Niedersachsen, mahnte, die Rabattverträge dürften nicht die Compliance gefährden. Daher werde künftig mit Daten des Deutschen Arzneiprüfungsinstituts untersucht, ob die verordneten Wirkstoffe von den Patienten kontinuierlich bezogen werden. Außerdem müsse den Patienten ermöglicht werden, die Mehrkosten für Arzneimittel eines gewünschten Herstellers zu übernehmen.

Unverhältnismäßige Mühe

Schmidt erklärte, dass etwa 60 Prozent der Packungen, aber nur etwa 30 Prozent des Wertes der abgegebenen Arzneimittel Generika sind. Angesichts dieses Verhältnisses und der bereits sehr hohen Generikaquote sei es unmöglich, die Strukturkomponente des Arzneimittelmarktes mit Preissenkungen bei Generika auszugleichen und so die hohen Preise innovativer Arzneimittel zu kompensieren. Auch nach Einschätzung von Prof. Dr. Theo Dingermann, Frankfurt, bringen Sparmaßnahmen bei Generika nur wenig, vielmehr müsse das Arzneimittelversorgungssystem als Ganzes gesehen werden. Wirksame etablierte Arzneimittel seien für minimale Preise zu haben, sodass die Industrie für moderne Arzneimittel sehr hohe Preise fordere. Andererseits würden bereits geringe relative Preisunterschiede der künftig verfügbaren Biosimilars gegenüber den Originalen große absolute Einsparungen ermöglichen. Dies werde sich im nächsten Jahr erstmals auswirken, wenn Erythropoetin und Interferon dann als Biosimilars verfügbar würden. tmb

Entsetzen über Arzneimittelfälschungen

Für große Zustimmung und reichlich Diskussionsstoff beim Niedersächsischen Apothekertag sorgte der Festvortrag von Prof. Dr. Harald G. Schweim, Bonn, über Arzneimittelfälschungen. Die Einblicke in die perfide weltweite Tätigkeit von Arzneimittelfälschern und die Herstellungsmethoden für solche Fälschungen lösten bei vielen Apothekertagsteilnehmern Entsetzen aus. Dies wurde durch Schweims erstmalige Präsentation einer mit einfachen Mitteln gefälschten, aber täuschend echt erscheinenden Internetapotheke verstärkt.

Schweim verdeutlichte die Motivation für Arzneimittelfälschungen. Die erzielbaren Spannen seien wesentlich höher als bei anderen Formen organisierter Kriminalität, ob Drogen- oder Menschenhandel, die Strafandrohungen dagegen vergleichsweise gering. Lange Zeit seien Arzneimittelfälschungen nur in der Doping- und Fitness-Szene und in der dritten Welt verbreitet gewesen, seit einigen Jahren seien aber zunehmend Industrieländer betroffen, wobei naturgemäß zuverlässige Zahlen fehlen. Die meisten Fälschungen enthalten keinen Wirkstoff, die zweitgrößte Gruppe umfasst Originalware in falschen Verpackungen, daneben gibt es aber auch Fälschungen mit anderen wirksamen Inhaltsstoffen. Dies reiche von chinesischen Tees mit Corticoiden bis zur besonders perfiden Fälschung von Präparaten gegen HIV, die Arsentrioxid enthielten, um Nebenwirkungen und damit die vermeintliche Echtheit des Präparates vorzutäuschen. Sogar Parenteraliaverpackungen würden erneut gefüllt und in den Handel gebracht. Die Fälschungen seien früher fast immer in Hinterhoflabors unter extrem primitiven Bedingungen hergestellt worden, kämen aber zunehmend aus technischen aufwändig ausgestatteten Betrieben in Osteuropa, allerdings auch mit sehr schlechten hygienischen Verhältnissen.

Internetapotheke als Fälschung

Das wichtigste Einfallstor für Fälschungen in Industrieländern sei das Internet, an zweiter Stelle Importarzneimittel. Etwa 30 bis 50 Prozent des Viagra® von Internetanbietern seien gefälscht. Schweim machte deutlich, wie einfach eine scheinbar seriöse Internetapotheke vorgetäuscht werden kann. Er habe selbst ohne Hackertricks zu Demonstrationszwecken eine Internetseite mit diversen gefälschten Zertifikaten und Erlaubnissen erstellt, die von Testpersonen als eine seriöse Internetapotheke eingeschätzt worden sei. Die Einzelheiten wird Schweim demnächst in der DAZ darstellen, damit dies als Argumentationshilfe gegenüber der Politik genutzt werden kann. Schweim betonte, dass auch das Bundeskriminalamt vor der Freigabe des Arzneimittelversandhandels gewarnt habe, weil dieser nicht kontrollierbar sei. Vor diesem Hintergrund kritisierte Schweim die Äußerungen von Dr. Peter Wüst vom niedersächsischen Sozialministerium, der am Vortag ein Versandhandelsverbot mit dem Hinweis auf den Bestandsschutz der Versandapotheken nach drei Jahren abgelehnt hatte. Als weitere Maßnahmen gegen Fälschungen schlug Schweim elektronische Sicherungen (RFID), Siegelverschlüsse und optische Kennzeichnungen vor, deren genaues Aussehen den Apothekern aber auch bekannt sein müsse.

Als Reaktion auf den Vortrag erklärte Magdalene Linz, Präsidentin der Bundes-apothekerkammer und der Apothekerkammer Niedersachsen, die Versandhandelserlaubnis für verschreibungspflichtige Arzneimittel müsse unter Verbraucherschutzaspekten zurückgenommen werden, auch wenn Politikern eine solche Maßnahme schwer falle. Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Frankfurt, nannte Schweim einen der "bedeutendsten Verbraucherschützer Deutschlands".

Zukunft mit Biologicals

Prof. Dr. Theo Dingermann, Frankfurt, gab einen Überblick über neue Therapieprinzipien mit monoklonalen Antikörpern. Antikörper oder die aus ihnen gewonnenen Fragmente können ein Antigen spezifisch ansteuern, um es zu markieren oder zu blockieren. Um das Antigen zu eliminieren, sind ganze Antikörper mit der Effektordomäne erforderlich. Antikörper werden schon lange in Form von Tierseren und Hyperimmunseren vom Menschen eingesetzt. Eine Sprunginnovation bildeten die monoklonalen Antikörper, die gegen ein spezifisches Antigen gerichtet sind. Sie werden meist aus Mäusen gewonnen und dienen insbesondere als Diagnostika. Eine weitere Sprunginnovation stellte der Übergang von der Zellbiologie zu gentechnischen Veränderungen monoklonaler Antikörper dar. Dabei entstehen aus Mausantikörpern chimärisierte Antikörper mit etwa 25 Prozent Mausanteil, humanisierte Antikörper mit 5 bis 10 Prozent Mausanteil oder gar Antikörper ohne Mausanteil. Letztere würden häufig als "humane" Antikörper vermarktet, obwohl sie nicht vom Menschen gewonnen werden und daher besser "Nicht-Maus"-Antikörper heißen sollten.

Mittlerweile stehen verschiedene chimärisierte, humanisierte und "Nicht-Maus"-Antikörper als Arzneistoffe zur Verfügung. Die größte Herausforderung bei der Entwicklung solcher Arzneimittel ist nach Einschätzung von Dingermann nicht die Herstellungstechnik, sondern die geschickte Wahl der biologischen Zielstruktur, also des Antigens, das guten therapeutischen Nutzen und möglichst wenige und beherrschbare unerwünschte Wirkungen bietet. Daher greifen mehrere Arzneistoffe mit teilweise unterschiedlichen Konzepten an den gleichen oder ähnlichen Zielstrukturen an. Beispiele für geeignete Targets sind der Tumornekrosefaktor alpha, der EGF-Rezeptor und konstante Regionen von Viren oder humanen Antikörpern. Derzeit befänden sich etwa 100 bis 150 Antikörper in der Entwicklung, teilweise mit den gleichen Zielstrukturen. Die Bedeutung der Zielstrukturen bei Antikörpern und anderen Biologicals, also großen biologisch wirksamen Molekülen, eröffne auch Einsparpotenzial bei Biosimilars, die in diesem Jahr erstmals angeboten werden. Wenn auch die Herstellung relativ teuer bleibe, entfalle bei diesen Produkten die riskante Suche nach einer erfolgreichen Zielstruktur. In therapeutischer Hinsicht sieht Dingermann langfristig großes Potenzial in der Kombination der Biologicals mit kleinen synthetisch hergestellten Arzneistoffmolekülen. Angesichts ihrer Praktikabilität würden die kleinen Moleküle für die Therapie wichtig bleiben.

Erklärungsbedürftige Darreichungsformen

In einem weiteren Vortrag stellte Prof. Dr. Jörg Breitkreutz, Düsseldorf, erklärungsbedürftige Darreichungsformen vor. Diese würden insbesondere bei Kindern, Senioren, Diabetikern, Rheumatikern und Asthmatikern häufig eingesetzt. Sogar bei der Zubereitung von Trockensäften seien viele Fehler möglich, sodass diese in anderen europäischen Ländern meist in der Apotheke vorbereitet würden. Als vorteilhafte Innovation im Sinne der Dosierungsgenauigkeit und der Compliance beschrieb Breitkreutz geschmacksneutrale Pellets in Trinkhalmen. Diese seien in vielen Ländern sehr beliebt, hätten sich aber in Deutschland noch nicht durchgesetzt, weil das deutsche Festbetragssystem innovative Darreichungsformen nicht berücksichtigt und die Preise sich nur an Wirkstoffen und Mengen orientieren. Dabei könnten innovative Galeniken nicht konkurrenzfähig sein.

Typische Fehlerquellen der Arzneimittelanwendung bei Senioren seien die zu hohen Anforderungen an die Kraftausübung bei der Auslösung von Applikatoren aller Art oder beim Öffnen von Verpackungen und die Technik subkutaner Injektionen, bei denen der Arzneistoff nicht in die Muskulatur gespritzt werden darf, weil er von dort schneller zur Wirkung komme. Apotheker sollten insbesondere bei der Erstabgabe von Insulin und Asthmasprays ausführliche Hinweise zur Applikation geben, zumal dies ein entscheidender Vorteil gegenüber Internetapotheken sei. tmb

Hameln lockt
Einen kleinen Einblick in die Stadtgeschichte gab Hamelns Oberbürgermeisterin Susanne Lippmann. Auf den gestifteten Gütern eines kinderlos verstorbenen sächsischen Grafen gründet die Reichsabtei Fulda um 851 an einem günstigen Weserübergang das Benediktinerkloster Hameln. Im Laufe der Zeit bildet sich vor dem in ein Kollegiatstift umgewandelten Kloster eine Marktsiedlung, die um das Jahr 1200 erstmalig schriftlich "civitas", Stadt genannt wird. Weltweit bekannt wird Hameln durch den Auszug der "Hämelschen Kinder" (1284), aus dem sich später die Rattenfängersage entwickelt.
1664 beginnt der Ausbau Hamelns zur stärksten Festung des Fürstentums Hannover, der Ende des 18. Jahrhunderts mit der Befestigung des Klütbergs abgeschlossen wird. Die Festung trägt daher den Namen "Gibraltar des Nordens".
1808 wird die Festung auf Befehl Napoleons I. geschleift. Dadurch wird die Voraussetzung für eine Ausweitung der Stadt geschaffen. 1867 wird Hameln preußisch. Die Eisenbahn Hannover-Altenbeken erreicht 1872 Hameln. Neben der traditionellen Mühlenindustrie entsteht 1889 die erste Teppichfabrik.
Im Zuge der Gebietsreform wird 1973 die bisher selbständige Stadt Hameln Teil des Landkreises Hameln-Pyrmont.
In der vorbildlich sanierten historischen Altstadt lassen sich zahlreiche Gebäude im Baustil der Weserrenaissance bewundern (z. B. Rattenfängerhaus von 1602/03, Hochzeitshaus von 1610 –17). Neben den Gebäuden im Stil der Weserrenaissance gibt es sehenswerte Fachwerkbauten (z. B. Bürgerhus von 1560, Stiftsherrenhaus von 1558, Lückingsches Haus von 1639) sowie zwei mittelalterliche Stadttürme (Pulverturm und Haspelmathturm) mit Stadtmauer. Eine weitere Sehenswürdigkeit ist das Münster St. Bonifatius (ältester Teil 12. Jh.), das an der Weser gelegen die Keimzelle der Stadt Hameln darstellt. Dreimal täglich ist das vom Rattenfänger-Glockenspiel (1964) untermalte Rattenfänger-Figurenspiel am Hochzeitshaus zu sehen.
Im Zentrum der Altstadt liegt die Marktkirche St. Nicolai. Besondere Bedeutung hat in der Marktkirche die Pflege der Kirchenmusik. Die Beckerath-Goll-Orgel ist eine der besten in Niedersachsen.
Die Oberbürgermeisterin freute sich, dass der Niedersächsische Apothekertag in diesem Jahr nach Hameln gekommen war. Hameln hat geschichtliche Bezüge zur Apotheke: Der Rat Hamelns gründete 1611 die Raths-Apotheke im Hochzeitshaus.
Und: 1822 ging Friedrich Wilhelm Sertürner von Einbeck, wo er mit seiner Apotheke wenig erfolgreich war, nach Hameln. Hier konnte er die Raths-Apotheke übernehmen, wo er als Apotheker und Forscher bis zu seinem Tod 1841 wirkte. Begraben wurde Sertürner allerdings in der Kapelle St. Bartholomäi vor den Toren Einbecks.
Reif für die Insel
Wer "vom Apothekertag einfach nicht genug kriegen konnte" – so stand es in der Einladung –, konnte am "Mittsommernachtstraum auf der Weserinsel" teilnehmen. Ein idyllischer Biergarten, mitten auf der Weserinsel gelegen, war die passende Location für einen amüsanten, ausgelassenen und kommunikativen Abend. Selbst ein kleiner Regenschauer störte die Party nicht. Dank großzügiger Sponsoren genossen die niedersächsischen Apothekerinnen und Apotheker eine feucht-fröhliche "Flatrate-Party" mit vielen Gesprächen und Musik zum Abtanzen.
Fortbildung im Mittelpunkt
Sechs Fortbildungsvorträge für Apothekerinnen und Apotheker, ein berufspolitisches Forum und drei Fortbildungsvorträge für PTA – das Programm des Apothekertags war gut ausgewählt und zusammengestellt. Dr. Hiltrud von der Gathen beschäftigte sich mit der erfolgreichen Patientenansprache in der Apotheke. Professor Jörg Breitkreutz gab praxisnahe Tipps zur Beratung bei erklärungsbedürftigen Arzneiformen. Die Neuropsychologin und Schmerzforscherin Professor Herta Flor eröffnete faszinierende Einblicke, wie das Gehirn Schmerzen verarbeitet und bis ins hohe Alter neue Strukturen ausbilden und sich dadurch umbauen kann. Professor Schweim befasste sich mit der Frage, ob genügend zur Bekämpfung von Arzneimittelfälschungen getan wird. Neue Therapieprinzipien mit monoklonalen Antikörpern (Biologics) stellte Professor Theo Dingermann vor. Und über neue Arzneimittel informierte Professor Hartmut Morck.
PTA konnten sich in der Beratung erklärungsbedürftiger Arzneiformen fortbilden, außerdem zum Thema Schwangerschaft und Stillzeit und zum Einmaleins der Herz-Kreislauferkrankungen.
Was es sonst noch gab
Begleitet wurde der Apothekertag durch eine pharmazeutische Ausstellung, die in der Halle des Weserberglandzentrums stattfand. Knapp 50 Aussteller präsentierten sich dort.
Im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung führte eine junge Tanzgruppe zu rockiger Musik akrobatische Tanzformationen vor (siehe unten).
Vor der Party am Samstag-abend lockte der Rattenfänger von Hameln eine Schar von Apothekerinnen und Apotheker durch Hameln und zeigte ihnen die Sehenswürdigkeiten der Stadt.
Und als Rahmenprogramm bot der Veranstalter eine Führung durch das Institut für Solarenergieforschung und eine Führung durch das Schloss Hämelschenburg an.

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