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Doping – wer betrügt wen?

Es ist richtig, dass der Bürger heute von allen Seiten – von der Wirtschaft wie der Politik, den Medien wie dem Profisport – betrogen und belogen wird, aber ebenso richtig ist es, dass er in seinen Ansprüchen maßlos geworden ist und gar nicht merkt, dass er sich auch ständig selbst betrügt.
Viele Missstände, die wir heute beklagen, hat unsere Maßlosigkeit erst möglich gemacht, in welchen Bereichen auch immer. Nehmen wir nur so konträre Beispiele wie unsere Nahrungsmittel und den Sport.
Bei jedem neuen Lebensmittelskandal werden die chemischen Nahrungsmittelzusätze, die falschen Inhaltsangaben und die Massentierhaltung beklagt. Niemand scheint sich zu fragen, woher eigentlich das Fleisch für die Milliarden Hamburger der Fastfood-Restaurants, der Döner-Spieße und die Millionen Hühner für die Grillketten kommen. Aber alle sind erstaunt, wenn sie von Massentierhaltung und nicht-artgerechter Tierfütterung, von Rinderwahn, Schweinepest und Vogelgrippe hören. Gerade bei den Nahrungsmitteln liegt das eigentliche Problem darin, dass möglichst viele möglichst alles möglichst billig haben wollen, und so werden eben immer wieder Waren mit verbotenen Zutaten versetzt oder vorsätzlich falsch benannt. Und dabei geht es nicht etwa um unlösbare Probleme der Lebensmittelchemie, sondern um kriminelle Handlungen, zu denen einige fähig sind, weil ihnen die Gesellschaft den Betrug und das Verbrechen nicht schwer macht.
Im Sport ist es nicht anders. Bei jedem neuen Dopingfall wird der Betrug der Sportler beklagt, dabei betrügen sie uns Zuschauer nur virtuell und schaden – im Gegensatz zu den Lebensmitteln – keinem von uns, nur sich selbst. Dem Berufssportler geht es primär nicht um den Sport an sich, sondern um Geld. Und da er nichts anderes gelernt hat, als eben laufen, stemmen oder radeln, muss er seinen Lebensunterhalt und seine Altersversorgung allein mit Hilfe seines Sports, also mit Siegprämien und Sponsorenverträgen verdienen. Dies kann er nur, so lange er Leistung bringt und seine Fans von sich begeistert. Doch der Konkurrenzkampf in manchen Sportarten ist gewaltig. Ein Radprofi, der in einem Feld von über Hundert einen Platz zwischen 5 und 10 erreicht, muss absolut top sein, nur interessieren für ihn tut sich niemand. Also muss er versuchen, weiter nach oben zu kommen und möglichst lange oben zu bleiben.
Der Mensch ist zwar in Ausnahmefällen für wenige Tage zu extremen Leistungen in der Lage, aber dann sind die Reserven verbraucht. Kein Mensch kann drei Wochen lang vier bis sieben Stunden durch Frankreich radeln und dabei auch noch höchste Berge überwinden. Also muss der Profisportler, will er sich trotz Talent und Trainingsfleiß gegen andere Spitzensportler durchsetzen, zusätzlich zu weiteren Maßnahmen greifen.
Wenn die Funktionäre, die Verantwortlichen in den Verbänden und die Organisatoren nicht bescheuert sind, und sie sind es nicht, wissen sie dies auch. Und die Sponsoren und die Medien wissen es ebenfalls und verlangen es stillschweigend. Denn wenn sie schon enorme Sponsorengelder lockermachen und das Fernsehen die Übertragungsrechte für unrealistisch hohe Summen kauft, dann erwarten sie alle, dass Sensationelles geboten wird. Was die Sportler und die ihnen behilflichen Ärzte dafür tun, will niemand wissen, man weiß oder vermutet es und schweigt, im Interesse der Werbeerfolge und der Einschaltquoten.
Aber auch die Gesellschaft erwartet Sensationen, und sie erwartet immer mehr. Wenn man nur an die Popularität der zunehmend brutaler werdenden Box- und Ringerveranstaltungen denkt, sollte es nicht mehr lange dauern, bis clevere Sponsoren die Gladiatorenkämpfe wieder entdecken, und das Fernsehen zeigt, wie Menschen Tigern und Löwen das Genick brechen (es sei denn, die Tierschützer verhindern dies).
Aber nicht nur im Sport, in allen Bereichen des täglichen Lebens werden Leistungen erwartet, die eigentlich nicht erbracht werden können, aber erbracht werden, weil man zu Mitteln der Stimulation oder des Dopings greift. Hat man Erfolg damit, wird man bejubelt, hat man ihn nicht, wird man verbannt. Und dies ist eben nicht nur im Sport so, sondern auch in der Wirtschaft, im Journalismus, in der Politik und der Kunst.
Der Durchschnittsbürger ist widerstandslos geworden gegen die Verlockungen des Konsums, der weitgehend durch das Fernsehen angeregt und unterhalten wird. Konsumieren (auch von Fernsehbildern) erhöht unser Wohlbefinden und nimmt in weiten Bevölkerungsschichten den Charakter eines hohen Lebenswertes ein.
Leider ist zu befürchten, dass sich an alledem auch in Zukunft nichts ändern wird, dass Vernunft und Maß gegenüber der Maßlosigkeit auf der Strecke bleiben werden.
Klaus Heilmann
Prof. Dr. med. Klaus Heilmann beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Risikoforschung, Krisenmanagement und Technikkommunikation. In der DAZ-Rubrik "Außenansicht" greift Heilmann Themen aus Pharmazie, Medizin und Gesellschaft aus Sicht eines Nicht-Pharmazeuten vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen auf.

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