Arzneimittel und Therapie

BPH und überaktive Blase

Mit der Kombinationstherapie gegen den Harndrang

Geschätzte zehn Millionen Männer über 40 Jahre leiden unter einer überaktiven Blase. Häufig geht das Problem mit einer benignen Prostatahyperplasie (BPH) einher, was sich im Behandlungsregime niederschlägt. Zum Einsatz kommen in erster Linie Alpharezeptorantagonisten, des weiteren 5-Alpha-Reduktasehemmer und Anticholinergika. Nicht immer ist eine Monotherapie allerdings ausreichend. Um die Situation der Betroffenen zu verbessern, kann vielmehr eine Kombination aus Anticholinergikum und Alpharezeptorblocker sinnvoll sein, wie eine Studie ergab.

Mehr als jeder sechste Erwachsene über 40 Jahre in Europa leidet unter dem Syndrom der überaktiven Blase. Betroffen sind sowohl Frauen als auch Männer. Allerdings äußert sich das Problem unterschiedlich: Während bei Frauen eine Dranginkontinenz dominiert, liegt bei Männern häufig nur ein starker Harndrang ohne Harnverlust vor. Ursache für eine überaktive Blase ist eine Übererregbarkeit des Blasenwandmuskels (Musculus Detrusor). Normalerweise ist dieser Muskel in der Füllungsphase der Harnblase entspannt und kontrahiert sich erst bei der gewollten Blasenentleerung. Bei Patienten mit einer überaktiven Blase zieht er sich jedoch bereits während der Blasenfüllung zusammen und löst dadurch die beschriebenen Symptome aus. Wie es zu der Überaktivität der Blase kommt, kann bei vielen Patienten nicht festgestellt werden. Häufige Harnwegsinfekte, Blasenauslass-Störungen oder Blasensteine können zu einer Überempfindlichkeit der Dehnungsrezeptoren in der Blase führen. Bei einigen neurologischen Erkrankungen wie Schlaganfall, Alzheimer, Parkinson und multipler Sklerose kann durch die Hirnschädigung eine Inkontinenz hervorgerufen werden. Auch Stoffwechselstörungen wie ein Diabetes mellitus begünstigen eine überaktive Blase.

Bei Männern werden Blasensymptome häufig mit einer benignen Prostatahyperplasie in Verbindung gebracht. Behandelt wird in diesem Fall zunächst meist mit Alpharezeptorblockern. Ist die Prostata stark vergrößert, kommen zudem 5-Alpha-Reduktasehemmer zum Einsatz. Das Behandlungsschema basiert auf der Annahme, dass die Symptome in erster Linie auf die benigne Prostatahyperplasie zurückzuführen sind. Dies trifft auch für einen Großteil der Patienten zu, allerdings nicht für alle. Denn eine überaktive Blase kann gemeinsam mit einer benignen Prostatahyperplasie vorkommen und zu Störungen führen, die nicht von der Prostata herrühren. Arzneimittel, die ausschließlich an der Prostata angreifen, sind bei diesen Patienten nicht in der Lage, die Symptomatik ausreichend zu behandeln. Sie sind vielmehr die Zielgruppe für den Einsatz von Anticholinergika. Derzeit werden Anticholinergika von vielen Ärzten jedoch erst dann verordnet, wenn Blasensymptome nach einer Prostata-Operation weiterbestehen, da sie in der Kombination einer vergrößerten Prostata und einer medikamentös verringerten Blasenwandkontraktilität die Gefahr eines akuten Harnverhaltens sehen. Für das Anticholinergikum Tolterodin existieren allerdings verschiedene Studiendaten, die nahe legen, dass der Wirkstoff nicht mit einer erhöhten Inzidenz für ein akutes Harnverhalten verbunden ist. Er könnte somit in Kombination mit einem Alpharezeptorblocker in der Lage sein, bei Männern mit BPH und überaktiver Blase ein befriedigendes Behandlungsergebnis zu erzielen. Dieser Fragestellung wurde im Rahmen einer Studie nachgegangen.

In die randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte multizentrische Studie wurden insgesamt 851 Männer im Alter über 40 Jahren eingeschlossen. Die Studienteilnehmer waren alle sogenannte LUTS-Patienten, das heißt, sie litten unter Lower Urinary Tract Symptoms, zu Deutsch Symptomen des unteren Harntrakts. Um in die Studie aufgenommen zu werden, mussten sie sowohl die Kriterien für eine überaktive Blase als auch für eine benigne Prostatahyperplasie erfüllen. Dazu gehörte ein Wert von mindestens 12 Punkten im Internationalen Prostata Symptomen Score (IPSS), ein Wert von mindestens drei Punkten im Internationalen Prostata Symptomen Lebensqualitäts-Score (QOL) und ein Miktionstagebuch, das mindestens acht Miktionen pro 24 Stunden sowie drei Episoden starken Harndrangs dokumentierte.

Tamsulosin, Tolterodin oder beides?

Die Probanden wurden in vier Gruppen eingeteilt und erhielten über einen Zeitraum von zwölf Wochen täglich entweder 0,4 g des Alpharezeptorblockers Tamsulosin, 4 mg des Anticholinergikums Tolterodin in retardierter Form, eine Kombination aus beiden Wirkstoffen oder Placebo. Primärer Studienendpunkt war die subjektive Einschätzung der Studienteilnehmer zu ihrem Befinden. Sekundäre Studienendpunkte betrafen die Werte im Miktionstagebuch, im Internationalen Prostata Symptomen Score und im Internationalen Prostata Symptomen Lebensqualitäts-Score.

Die Kombination liegt vorn

80% der mit der Kombinationstherapie behandelten Männer gaben zu Studienende eine Besserung ihrer Beschwerden an. In der Gruppe der mit Tamsulosin alleine behandelten Probanden berichteten 71% über eine Besserung, unter Tolterodin waren es 65% und unter Placebo 62%. Der Unterschied zwischen Kombinationstherapie und Placebo war signifikant. Die Patienten unter Kombinationsbehandlung hatten weniger Dranginkontinenz, weniger Drangepisoden ohne Inkontinenz, weniger Miktionen pro 24 Stunden und weniger Nykturie (jeweils signifikant). Sie wiesen zudem signifikant bessere Werte im IPSS und bei der Lebensqualität auf. Sowohl Tamsulosin als auch Tolterodin wurden gut vertragen – allein und in der Kombination. Akutes Harnverhalten kam unter Tolterodin plus Tamsulosin in 0,4%, unter Tolterodin alleine in 0,5% der Fälle vor. Die Studienautoren schlussfolgern hieraus, dass eine Kombinationstherapie mit Tamsulosin und Tolterodin einen Benefit für Männer darstellt, die sowohl unter Symptomen einer benignen Prostatahyperplasie als auch denen einer überaktiven Blase leiden und mit einer Monotherapie nicht ausreichend therapiert werden können. <

Quelle

Kaplan, S. A.; et al.: Tolterodine and Tamsulosin for Treatment of Men With Lower Urinary Tract Symptoms and Overactive Bladder. J. Am. Med. Assoc.296 , 2319-2328 (2006).

ral
Internationaler Prostata Symptomen Score
Der Leidensdruck von Patienten mit Prostatabeschwerden wird mit dem Internationalen Prostata Symptomen Score (IPSS) beurteilt. Dabei handelt es sich um einen sieben Fragen umfassenden Fragebogen, bei dem der Patient Angaben über seine Beschwerden in den letzten vier Wochen und über die dadurch bedingte Beeinträchtigung seiner Lebensqualität macht. Je nach Antwort werden Punkte vergeben, aus denen sich der Schweregrad ergibt.
1. Wie oft hatten Sie das Gefühl, dass Ihre Blase nach dem Wasserlassen nicht ganz entleert war?
2. Wie oft mussten Sie innerhalb von zwei Stunden ein zweites Mal Wasser lassen?
3. Wie oft mussten Sie beim Wasserlassen mehrmals aufhören und wieder neu beginnen?
4. Wie oft hatten Sie Schwierigkeiten, das Wasserlassen hinauszuzögern?
5. Wie oft hatten Sie einen schwachen Strahl beim Wasserlassen?
6. Wie oft mussten Sie pressen oder sich anstrengen, um mit dem Wasserlassen zu beginnen?
7. Wie oft sind Sie im Durchschnitt nachts aufgestanden, um Wasser zu lassen?
Nach den IPSS-Werten werden Patienten mit milder Symptomatik (IPSS < 8) von solchen mit mittlerer (IPSS 8 bis 19) und schwerer Symptomatik (IPSS 20 bis 35) unterschieden. Eine Therapieindikation wird im allgemeinen bei einem IPSS-Wert über 7 gesehen
Symptome der überaktiven Blase
  • plötzlich auftretender, zwingender Harndrang (imperativer Harndrang)
  • erhöhte Miktionsfrequenz (Pollakisurie, > 8 x in 24 Stunden)
  • Nykturie
  • Dranginkontinenz
Hilfe bei überaktiver Blase Mit der Kombinationstherapie mit Tamsulosin und Tolterodin kann Männern geholfen werden, die sowohl unter Symptomen einer benignen Prostatahyperplasie als auch denen einer überaktiven Blase leiden und mit einer Monotherapie nicht ausreichend therapiert werden können.
Foto: Photocase.de

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