Wirtschaft

Ein Big Player betritt die Apothekenbühne

Die 90%ige Übernahme von DocMorris durch den Celesio- Konzern war die Meldung der vergange- nen Wochen. Der kürzlich vorgestellte Geschäftsbericht des vergangenen Jahres der Celesio AG gibt interessante Einblicke und lässt, zwischen den Zeilen gelesen, einige strategische Analysen zu. Begleiten Sie uns auf dem Weg in die Welt des "Big business", zu dessen Spielball nun viele zu werden fürchten ...

Die Zahlen, die im Geschäftsbericht 2006 präsentiert wurden, lassen das Herz vieler Anleger höher schlagen. Die wichtigsten Kennzahlen im 5-Jahres-Vergleich zeigt die Tabelle 1.

Mit zurzeit etwa 9 Mrd. Euro Marktkapitalisierung hat der Wert des Konzerns seit Jahresbeginn, natürlich auch im Zuge des allgemein guten Börsenumfeldes, noch einmal deutlich zugelegt. Rund 19 beträgt das Kurs-Gewinn-Verhältnis, für die Branche ist Celesio damit durchaus ambitioniert bewertet. Die Dividendenrendite liegt bei 1,5% (alle Werte bezogen auf einen Kurs von 53 Euro, erreicht am 4. 5. 2007). Der Aktien des Konzerns befinden sich zu knapp 53% im Besitz des Haniel-Konzerns, 47% sind Streubesitz. Letzterer ist zu nennenswerten Anteilen durch britische und amerikanische Investoren repräsentiert.

1,65 Mrd. Euro stecken in "Vorräten", im Wesentlichen die Arzneimittellager. 1,4 bis 1,5 Mrd. Euro dürften Großhandelsbestände sein, der Rest auf die Apotheken entfallen. Damit betragen die Großhandelslagerbestände etwa 8% des Umsatzes, das Lager schlägt sich rund zwölf Mal im Jahr um.

Kapitalinvestoren notieren mehrere Dinge positiv:

  • Das Wachstum setzt sich beständig über viele Jahre fort.

Die Gewinne wachsen stets stärker als der Umsatz.

Der Aktienkurs und damit die Marktkapitalisierung steigen beständig, sogar noch etwas stärker als das Ergebnis je Aktie. Das bedeutet: Das Kurs-Gewinn-Verhältnis steigt, der Wert der Firma wächst überproportional.

Die Bilanz weist keine auffallenden Risiken auf (Stichworte Verschuldung, Pensionslasten, Eigenkapitalausstattung, Mitarbeiterkennziffern u. a.).

Wie ist eine solche Story zu schaffen? Eine Ursache sind die Anreize, die ein Unternehmen seinen Managern bietet. Daher zuerst ein Blick auf die Vorstandsvergütung.

Die Vorstandsvergütung

Die Gesamtvergütung des aus vier Mitgliedern bestehenden Vorstandes belief sich 2006 auf 8,221 Mio. Euro. Davon waren 1,513 Mio. Euro fix, hingegen 5,278 Mio. Euro erfolgsbezogen. 1,43 Mio. Euro entfielen darüber hinaus auf einen langfristigen Strategiebonus, der sich am EVA-Prinzip (EVA = Economic Value Added) orientiert. Das EVA-Prinzip honoriert nur diejenige Rendite, die über den Kapitalkosten des Konzerns liegt, also zusätzlichen Wert schafft. Damit sind rund 80% der Vergütung erfolgsabhängig.

Was lässt sich daraus schließen? Wer rund 200 Mio. Euro für DocMorris zahlt – mithin gut ein Drittel des Konzern-Cash-Flows – und zusätzlichen Aufwand für die Markenpositionierung, aber auch für zu erwartende Verluste aufgrund weglaufender, traditioneller Großhandelskunden in Kauf nimmt, muss sich seiner Sache sehr sicher sein.

Die einzelnen Geschäftsbereiche

Die Segmentberichterstattung gibt weitere Auskunft über die Erfolgsgeschichte (siehe Tabelle 2). Die Celesio AG ist heute europaweit mit drei Geschäftsfeldern aufgestellt:

  • Großhandel (Umsatz in Deutschland: 3,6 Mrd. Euro, insgesamt 17,5 Mrd. Euro)
  • Apotheken (Ende 2006: Anzahl 2100, Umsatz 3,3 Mrd. Euro)
  • Services (Logistik- und Pharmadienstleistungen, Umsatz 150 Mio. Euro)

Der Großhandel und das Einzelhandelsgeschäft der Apotheken können anhand des Umsatzes kaum verglichen werden. Erst die gemeinsame Betrachtung von Umsatz und Gewinn macht die Bedeutung des Apothekengeschäftes für den Konzern deutlich. So ist der Großhandel der mit Abstand größte Umsatzträger, erwirtschaftet aber etwas weniger Rohgewinn als die mit 16% Umsatzanteil viel kleinere Apothekensparte. Der Grund hierfür sind die schwachen Großhandelsmargen (6,3% konzernweit) im Vergleich zu 36% im Apothekengeschäft, wie sie in Deutschland allenfalls beste Centerapotheken erreichen. Beim Ergebnis vor Steuern steht der Großhandel in Absolutbeträgen etwas besser da, der Vergleich der Gewinnmargen verdeutlicht aber mit 1,9% gegenüber 8,5% die Unterschiede.

Das deutsche Großhandelsgeschäft erzielte 2006 rund 3,6 Mrd. Euro Umsatz (Marktanteil etwa 15%) und stand damit konzernweit an zweiter Stelle nach Frankreich (7,0 Mrd. Euro) und vor Großbritannien (3,5 Mrd. Euro). Bei den Apotheken ist Großbritannien der wichtigste Markt (siehe Tabelle 3). Von 2100 Celesio-Apotheken insgesamt finden sich dort 1556.

Die Verteilung der Gewinne hat erhebliche Konsequenzen für die Bewertung des Unternehmens und seiner Geschäftsfelder. Etwa 9 Mrd. Euro ist die Celesio AG momentan an der Börse wert. Hier werden bekanntlich in erster Linie Gewinne und Zukunftsaussichten bezahlt. Würde der Unternehmenswert in einer modellhaften Betrachtung anhand der Vor-Steuer-Ergebnisse auf die Geschäftsfelder verteilt, so ergäbe sich eine Segmentbewertung, wie sie Tabelle 4 zeigt.

Diese Bewertung ist vereinfachend, da sie die Zukunftsaussichten aller Geschäftsbereiche gleichermaßen bewertet, bietet aber einen Anhaltswert. Was ins Auge sticht: Apotheken werden mit dem 1,2-fachen ihres Umsatzes bewertet, der margenschwache Großhandel nur mit dem 0,27-fachen. Bei 1,56 Mio. Euro Durchschnittsumsatz kommt eine Celesio-Apotheke damit auf eine Bewertung von rund 1,9 Millionen Euro (!). Wie gesagt – das ist die Bewertung an der Börse, und sie wird durch einen anderen Ansatz bestätigt:

Eine Apotheke mit 1,6 Mio. Euro Umsatz kann geschickt fremdbewirtschaftet – z. B. als Filiale – einen Gewinn von 7% vor Steuern erzielen, also 112.000 Euro. Sehr große Unternehmen werden an der Börse derzeit durchschnittlich mit Kurs-Gewinn-Verhältnissen um 15 bewertet, was einen Wert von etwa 1,7 Mio. Euro ergäbe. Der bisherige Marktwert dürfte größenordnungsmäßig um 400.000 Euro mit Warenlager liegen. Es sei angefügt, dass die Regeln zur Besteuerung und Gewinnermittlung einer dermaßen bewerteten Kapitalgesellschaft etwas von denen einer Personengesellschaft abweichen. Dennoch zeigt dieser Vergleich überschlägig auf, dass Kapitalmärkte die Apotheken wesentlich höher bewerten würden als heute in der Apothekerschaft üblich. Apotheker(innen) kaufen nur eingeschränkt ein Unternehmen, sondern letztlich einen Arbeitsplatz. Dies wird gerne übersehen. Deshalb wird bei den Rentabilitätsberechnungen vor allem auf die Verfügungsbeträge abgestellt ("Nettogehalt"), und die Frage obenan gestellt, wie man von der Apotheke leben kann. Oder anders ausgedrückt: Die Apotheken sind aus Sicht von Kapitalinvestoren geradezu grotesk unterbewertet, denn die orientieren sich an Finanzkennzahlen. Staatliche Reglementierungen, Einflussnahmen auf die Preisgestaltung und die zahlreichen Beschränkungen der Handlungsfreiheit der heutigen Apotheken haben einen weiteren Anteil an diesem Missverhältnis.

Ganz ähnliche Situationen haben wir am Immobilienmarkt vorgefunden. Städte haben Tausende Wohnungen (z. B. Dresden 48.000 Wohneinheiten) für oft nur wenige zehntausend Euro je Einheit und damit weit unter Marktpreis verkauft. Finanzinvestoren haben hier beste Geschäfte gemacht, weil die öffentliche Hand schlicht unfähig war, ihre eigenen Werte richtig zu managen und pflegen. Ähnliches finden wir bei Stadtbetrieben oder Infrastrukturprojekten.

Die Apotheke droht, genau in dieses Fahrwasser zu geraten. Profis haben längst erkannt, dass mit der Liberalisierung ein richtiger Schatz zu heben ist. Nehmen wir nur die "interessanten" Apotheken mit einem Umsatz über etwa 1,4 bis 1,5 Mio. Euro Umsatz. Sie stellen gut 60% des Umsatzes, mithin über 20 Mrd. Euro bundesweit pro Jahr. Bewertet mit einer Umsatzmultiplen von 1,25 ergibt dies einen theoretischen Wert von über 25 Mrd. Euro – gegenüber vielleicht 5 bis 6 Mrd. Euro jetzt. Das zeigt, ganz grob, die Dimensionen, um die es geht – Dimensionen, mit denen sich nicht mehr unbemerkt "unter dem Radarschirm" segeln lässt.

DocMorris/Celesio: Spiel mit dem Feuer?

Was bewegt einen Konzern, seine Kunden mit dem Angst- und Wutgegner DocMorris derart zu provozieren? Immerhin liegen 3,6 Mrd. Euro Großhandelsumsatz in der Waagschale. Eine überschlägige Kalkulation der möglichen Gewinn- und Verlustszenarien entkräftet dieses Argument jedoch recht schnell, wie die Tabellen 5 und 6 zeigen.

Das Fazit dieser überschlägigen und lediglich orientierenden Rechnung: Der Konzern kann durchaus einiges vom wenig rentablen Großhandelsumsatz aufs Spiel setzen, um dafür die Chance auf auskömmliche Kooperationsgebühren (einschließlich Großhandelsumsatz und diverser Nebenleistungen wie Beratungen, Sortimentsgestaltung, Einbringung in das Filialgeschäft über Vermietungen usw.) zu erhalten. Das bedeutet auch: Dem Füllhorn "bessere Konditionen", um jetzt Kunden zu halten, sind enge Grenzen gesetzt.

Schnell werden damit auch die Grenzen auf der anderen Seite der Rechnung sichtbar. Wenn 25% oder 30% der Gehe-Kunden weglaufen und zusätzlich DocMorris floppt, droht das Konzept zu scheitern. Zusätzlich würde die Bilanz mit dem Kaufpreis für DocMorris von vermutlich rund 200 Mio. Euro belastet.

Die Chance allerdings, im Falle der Kettenbildung vorne dabei zu sein und noch mehr ernten zu können, gibt es quasi gratis obenauf. Besonders attraktiv dürften Apotheken sein, die über 1,5 Mio. Euro Umsatz erzielen und zudem von anderen Großhandlungen abgeworben werden können. Dafür könnten dann schon einige originäre Großhandelskunden abwandern. Wenn die neu gewonnenen DocMorris-Partnerapotheken außerdem im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten filialisieren und vom Betreiber dabei auf verschiedenste Weise "unterstützt" werden, ginge eine rentable Saat auf.

Hier gilt die Umkehrung eines bekannten Satzes: Lieber die Taube mit ausreichender Zielpräzision im Visier als die Spatzen in der Hand ...

Wie weit es mit der Zielpräzision gediehen ist, darüber lässt sich trefflich streiten. Insoweit mag folgendes Zitat wie eine Drohung klingen: "Unsere Stimme findet bei Brüsseler Behörden und europäischen Parlamentariern Gehör. Auch auf nationaler Ebene sind unser Rat und unsere Expertise gefragt. Dass Entscheider aus den Erfahrungen anderer lernen und dass verlässliche und umsichtige Rahmenbedingungen geschaffen werden, dazu leisten wir einen Beitrag." (Zitiert aus dem Brief an die Aktionäre im Geschäftsbericht 2006.) Ob damit auch der jüngste Brief an alle Bundestagsabgeordneten gemeint ist?

Es lässt sich jedenfalls konstatieren, dass der DocMorris-Coup wirtschaftlich nicht unüberlegt erfolgt ist. Die Risiken scheinen beherrschbar, die Gewinnchance ist hoch. Es sei denn, die Kundschaft verweigert sich überraschend kollektiv und dauerhaft – dem Großhandel und dem DocMorris-Modell. Hier sei an den exemplarischen Fall des Präparates "Kwai" der Fa. Lichtwer vor einigen Jahren erinnert, welche die Apothekenexklusivität ihres Hauptumsatzträgers zur Disposition gestellt hatte – mit einem für die Firma fatalen Ergebnis. Möglich ist so etwas also schon ...

DocMorris: Lieber bei Celesio als woanders?

Ganz von der Hand zu weisen ist dieses Argument nicht. Und doch tritt ein Partner in den Markt ein, der mit den Usancen der Branche bestens vertraut ist, insoweit viele Trümpfe in der Hand hält.

Gerade er positioniert sich nun mit einem Markennamen, der bislang nicht gerade für Begeisterungsstürme unter den Apotheken – den bisherigen Celesio-Kunden – gesorgt hat. Der alte DocMorris-Vorstand bleibt auch nach der Übernahme der neue. Das lässt vermuten, dass die Positionierung als Apotheken-Discounter weiter im Mittelpunkt steht, mit der Zielrichtung, vor allem möglichst viel Kundenfrequenz abzuschöpfen. War der bisherige Anlauf eher verhalten, so ist nun mit neuer Expansionsdynamik zu rechnen. Das bedeutet aber, dass ganz erhebliche Unruhe in den Markt kommen dürfte. Flaute das Megathema Preis und "Aktionismus" nach verschiedenen, regionalen Experimenten gerade wieder etwas ab, so droht nun ein neuer Anlauf – der möglicherweise nicht so bald wieder abebbt. All dies macht verständlicherweise Angst. Angst ist aber ein schlechter Ratgeber.

Fazit

Ein "Big Player" spielt anscheinend mit hohem Einsatz, der sich angesichts der obigen Betrachtungen möglicherweise aber relativiert – es sei denn, die Apotheken reagieren unerwartet geschlossen. Eine solche Wehrhaftigkeit würde auch andere Beobachter der Szene zum Nachdenken bringen.

Das würde freilich an einer Tatsache nichts ändern: dass nämlich der Apothekenmarkt schon längst aus dem Dornröschenschlaf gerissen wurde. Was mit dem GMG vor dreieinhalb Jahren begann, schreitet nun immer weiter fort – die schleichende Erosion von Kompetenzen, Einflussbereichen und materiellen Grundlagen.

Andere Mitspieler haben unzweifelhaft die Bühne betreten. Der eine offen, vermutlich weitere noch verdeckt. Zu reizvoll sind offensichtlich die Perspektiven. Goldgräberstimmung macht sich breit. Manche Zahlenspiele geben dem sogar Recht. Doch wie war es mit den Goldgräbern: Die ersten Entdecker haben die Gewinne eingestrichen, die große Masse hat kaum noch etwas verdient. Verdient haben hingegen diejenigen, die Schaufeln und Ausrüstung geliefert haben. Ähnliches ist für den Apothekenmarkt zu befürchten, sollten die Dämme vollends brechen. Und wo die Elefanten kämpfen, leidet das Gras.

Der Flaschengeist ist dabei, zu entweichen. Es wird nicht leicht werden, ihn in der Flasche zu halten. Zu mächtig ist er – steht er doch für Begriffe wie Geld, Gier und dem immerwährenden Streben nach Mehr. Alles Dinge, die unsere Gesellschaft weithin infiziert haben, ja sie wesentlich zusammenhalten und gleichzeitig doch immer weiter auseinander treiben.

Eine ganz wesentliche Rolle werden in den nächsten Monaten die Kolleginnen und Kollegen selbst spielen. Ist die Unabhängigkeit heutiger Ausprägung (die ja auch von etlichen Abhängigkeiten und Zwängen begleitet ist) ein weiterhin erstrebenswertes Gut oder eben doch nicht? Regieren Angst, Gier oder Vernunft? Kommt eine angstgetriebene, sich selbst tragende Eigendynamik bei DocMorris und Co. in Gang? Wie verhalten sich andere (Noch-)Beobachter, die schon längst auf der Lauer liegen?

Die Abstimmung wird ein Stück weit mit den Füßen stattfinden. Eindeutig vorherzusehen ist das Ergebnis nicht. Zumal die viel zu oft übersehenen, aber alles entscheidenden Mitspieler schlussendlich das letzte Wort haben werden: die (Ihre!) Apothekenkunden!

Anschrift des Verfassers:

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, Philosophenweg 81, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de
Konzern-Homepage: www.celesio.com
Apotheken in Großbritannien: www.lloydspharmacy.co.uk und www.johnbellcroyden.co.uk
Apotheken in Irland: www.unicarepharmacy.ie
Apotheken in Italien: www.admentaitalia.it
Apotheken in Niederlande: www.lloydsapotheek.nl
Aktienkurs von Celesio Erst steil bergauf ... (Quelle: comdirect-Bank vom 24. 5. 2007)
Freude Das kommt gut an bei Kapitalanlegern: Die Gewinne steigen stets stärker als die Umsätze, die sich ihrerseits kontinuierlich positiv entwickeln.
Apotheken im Fokus Trotz weit geringerer Umsätze sind die Celesio-Apotheken im Gewinn fast gleichauf mit dem riesigen Großhandelsapparat – kein Wunder, dass der Fokus im Sinne der Wachstumsstrategie vor allem auf ihnen liegt ...

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