Technologie

Partikelinhalation aus biopharmazeutischer Sicht

Dosieraerosole, Pulverinhalatoren und Ultraschallvernebler dienen traditionell zur lokalen Pharmakotherapie des Asthma bronchiale und der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung; sie leiten die Arzneistoffe in die zentralen Abschnitte der Lunge, wo sie ihre Wirkung entfalten [1, 2]. Die Lunge ist jedoch auch für die Applikation systemisch wirkender Arzneimittel interessant. Herausragender Vorteil der pulmonalen Applikation gegenüber der oralen Applikation ist die hohe Bioverfügbarkeit, denn die Resorptionsfläche der Alveolen ist sehr groß (knapp 100 m²) und nach der Resorption tritt kein First-pass-Effekt des Arzneistoffabbaus in der Leber ein [3]. Fortschritte in der Aerosol- und Applikatortechnologie führten dazu, dass im Januar 2006 das erste inhalative Insulin zugelassen wurde.

Um die unterschiedlichen galenischen Ansatzpunkte zu verstehen, die sich hinter der lokalen und der systemischen Verfügbarkeit von pulmonal applizierten Wirkstoffen verbergen, sind Kenntnisse der Anatomie unerlässlich.

Schematisch lässt sich das menschliche Atemwegssystem in zwei große Abschnitte gliedern: in eine luftleitende und eine respiratorische Zone (Abb. 1).

Zu dem luftleitenden Abschnitt gehören die Luftröhre (Trachea), die Bronchien, Bronchiolen und Terminalbronchiolen. Um das Lumen der Lunge beim Ein- und Ausatmen geöffnet zu halten, werden sowohl die Trachea als auch die größeren Bronchien durch Knorpelspangen, die kleineren Bronchien (Bronchiolen) durch Knorpelplättchen versteift. Zusätzliche unter bzw. zwischen dem Knorpel befindliche glatte, über das vegetative Nervensystem gesteuerte Muskelfasern unterstützen dies. So kommt es beim Einatmen durch Muskelerschlaffung zu einer Bronchodilatation (Sympathikuswirkung), während beim Ausatmen eine (durch den Parasympathikus gesteuerte) Kontraktion der glatten Muskulatur eine Verengung der Bronchien zur Folge hat [4–6].

Da das mehrreihige Epithel der luftleitenden Zone von Flimmerhärchen (Zilien, ca. 300 pro Zelle) und einer Schleimschicht (Mukus) bedeckt ist [7, 8], können Wirkstoffpartikel hier nicht in die Blutbahn gelangen; davon abgesehen ist die Gesamtoberfläche dieses Abschnittes gering (ca. 3 m²) [3].

Ein anderes Bild ergibt sich in der respiratorischen Zone, die aus den Alveolargängen (Ductuli alveolares) und den Alveolen (Lungenbläschen, Sacculi alveolares) besteht. Hier geht das mehrreihige Epithelgewebe in ein flaches Alveolarepithel ohne Drüsenzellen und Flimmerhärchen über. Auch knorpelige Versteifungen liegen nicht mehr vor.

Die etwa 300 Millionen dodekaedrisch geformten Alveolen (Durchmesser 0,2–0,3 mm) besitzen eine Gesamtoberfläche von etwa 80 bis 90 m² und sind von einem sehr dichten und dünnwandigen Kapillarnetz umgeben [5, 9]. Dies führt zu einer geringen Diffusionsstrecke ("Blut-Luft-Schranke") zwischen Kapillarblut und Alveolarluft, was den Gasaustausch in der respiratorischen Zone fördert und zusätzlich eine gute Wirkstoffpermeation gewährleistet. Dadurch und bedingt durch den fehlenden hepatischen First-pass-Effekt ist die Bioverfügbarkeit von Arzneistoffpartikeln, die in diesen Abschnitt des Atemwegssystems gelangen, meist sehr hoch [7, 8].

Grundlagen der galenischen Formulierung

Wie tief die Partikel in die Lunge eindringen, hängt neben der Atemtechnik entscheidend von ihrer Größe ab.

Sind die Partikel größer als 10 µm, schlagen sie sich bereits im Mund-Rachen-Raum nieder (Impaktion) und werden verschluckt, sodass der erwünschte therapeutische Effekt unterbleibt und unerwünschte Wirkungen auftreten können (z. B. Mundtrockenheit oder Infektion mit Candida albicans) [10]. Auch die ultrafeinen Partikel (< 1 µm) sind nicht wesentlich am therapeutischen Effekt beteiligt, da sie aufgrund ihrer geringen Größe zu etwa 70% wieder ausgeatmet werden [1, 11]. Die verbleibenden 30% erreichen allerdings den Alveolarbereich, wo sie relativ schnell systemisch aufgenommen werden. Diese Tatsache erlangt in der Aerosolforschung immer größere Bedeutung, da neben den nachteiligen Effekten der ultrafeinen Partikel, die im Rahmen der Feinstaubdiskussion (siehe Kasten) in den Fokus rücken, auch positive Aspekte möglich sind. So steigert die pulmonale Applikation von Arzneistoffen möglicherweise deren systemische Verfügbarkeit und kann auch zur Reduktion von Nebenwirkungen beitragen.

Sichergestellt wird die lokal begrenzte Wirkung eines inhalativen Arzneimittels durch ein Partikelgrößenspektrum im Bereich von 1 bis 5 µm, und zwar unabhängig davon, ob die jeweilige Applikationsform flüssig (Dosieraerosole und Ultraschallvernebler, z. B. Respimat® Soft Inhaler) oder pulverförmig ist (Pulverinhalatoren).

Je nachdem, ob durch die pulmonale Applikation eher die zentralen luftleitenden oder die peripheren respiratorischen Abschnitte erreicht werden sollen, muss innerhalb des Partikelspektrums noch einmal genauer differenziert werden:

Für einen lokalen therapeutischen Effekt in den luftleitenden Abschnitten sollte die Partikelgröße im Bereich von 3 bis 5 µm liegen. Dies trifft beispielsweise für die Behandlung des Asthma bronchiale und der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) mit Bronchodilatatoren (β2 -Sympathomimetika, u. a. Salbutamol, und Anticholinergika, u. a. Ipratropiumbromid), Mastzellstabilisatoren und Corticoiden zu, bei denen die quergestreifte Muskulatur der Bronchien der Wirkort ist [1, 2]. Auch das 2004 zur Behandlung von pulmonaler Hypertonie eingeführte inhalative Prostacyclin (Ventavis®) kommt primär in der Lunge zur Wirkung.

Wird dagegen eine systemische Verfügbarkeit des Wirkstoffs angestrebt, gilt eine mittlere Partikelgröße von 1 bis 3 µm als optimal. Nur dann erreicht der Wirkstoff die Alveolen und gelangt in die Blutbahn [13].

Inhalatives Insulin

Im Rahmen der Entwicklung des inhalativen Insulins wurde genau diese Differenzierung berücksichtigt. Das mit verschiedenen Hilfsstoffen stabilisierte Makromolekül wird zu einem mikronisierten Pulver sprühgetrocknet, das eine mittlere Partikelgröße von 2 µm besitzt. Auf diese Weise lässt sich die Absorption von Insulin in den Alveolen und seine damit verbundene systemische Verfügbarkeit optimieren [14, 15].

Pathophysiologische Veränderungen der Lunge könnten jedoch die Resorption des inhalativen Insulins verschlechtern. So kann bei Asthma bronchiale ein Missverhältnis zwischen Perfusion und Ventilation bestehen, wenn der Bronchialdurchmesser und die Drüsensekretion des Bronchialepithels verändert sind [15–17]. Studien, die sich mit dieser Fragestellung und darüber hinaus mit möglichen Interaktionen des Insulins mit Bronchodilatatoren beschäftigen, wurden bislang noch nicht veröffentlicht.

Variation der Partikelgrößen bei Salbutamol

Im Rahmen der Entwicklung und Optimierung inhalativer Präparate zur Behandlung von Atemwegserkrankungen wird nahezu ausschließlich auf die Verbesserung der gewünschten Wirkung geachtet. Eine exakte Einhaltung der Partikelgrößenverteilung ist jedoch ebenfalls wichtig, um mögliche unerwünschte Nebenwirkungen einzugrenzen. Dies zeigt eine Studie, in welcher bei identischer Wirkstoffdosierung von 400 µg Salbutamolsulfat die Partikelgrößenverteilung modifiziert wurde. Die unterschiedlichen Formulierungen (grob – mittel – fein) wurden sowohl in vitro als auch in vivo untersucht und miteinander verglichen [18].

Ein höherer Anteil der Feinpartikel, der in vitro deutlich erkennbare Effekte hatte, führte in vivo nicht zur Steigerung der erwünschten Wirkung (Bronchodilatation). Vielmehr war in vivo eine deutliche Reduktion des K+ -Serumspiegels zu beobachten. Diese unerwünschte Wirkung kam dadurch zustande, dass mehr Wirkstoff in tiefere Lungenabschnitte gelangte und systemisch verfügbar wurde.

Fazit

Bei der Entwicklung und Spezifizierung von inhalativen Zubereitungen ist künftig noch genauer auf das optimale Partikelgrößenspektrum der Formulierung zu achten. Bedingt durch die aktuellen Fortschritte in der Aerosoltechnologie wird es möglich sein, einerseits die Nebenwirkungen von Arzneistoffen zur lokalen Anwendung weiter zu reduzieren und andererseits die Resorption von Arzneistoffen zur systemischen Anwendung zu optimieren. Das inhalative Insulin dürfte nur der Anfang einer Reihe von Präparaten sein.

Literatur

[1] Steckel, H.: PZ Prisma 10 (3), 145–157 (2002).

[2] Schlenger, R.: Inhalatoren und Aerosoltherapie. Dtsch. Apoth. Ztg. 144 , 2625–2632 (2005).

[3] Corkery, K.: Respir. Care 45 , 831–835 (2000).

[4] Thews, G., Mutschler, E., Vaupel, P.: Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie des Menschen, 5. Auflage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1999, S. 265–270.

[5] www.onmeda.de/lexika/anatomie/lunge_anatomie.html.

[6] Hering, K.G, Rodenwaldt, J.: Pneumologe 2 , 393–406 (2005).

[7] Beck, T.: Durchblutung und Feinbau der Lunge. Pharm. Ztg. 145 (35) (2000).

[8] Netter, F., Endres, P.: Farbatlanten der Medizin, Band 4: Atmungsorgane. Thieme Verlag, Stuttgart 2002.

[9] Mutschler E.: Arzneimittelwirkungen, 8. Auflage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2001, S. 597–617.

[10] Langguth, P., Fricker, G., Wunderli-Allenspach, H.: Biopharmazie. Wiley-VCH, Weinheim 2004.

[11] Stöger, T, Schulz, H: GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit, Jahresbericht 2004, S. 43–48.

[12] Jacobs, C.: Neue Nanosuspensionsformulierungen für verschiedene Applikationsformen. Diss. FU Berlin, 2004.

[13] Heyder, J., et al.: J. Aerosol Sci. 17 , 811–825 (1986).

[14] Schlenger, R.: Erstes inhalatives Insulin. Dtsch. Apoth. Ztg. 146 , 2126–2130 (2006).

[17] Henry, R.R, et al.: Diabetes Care 26 , 764–769 (2003).

[18] Weda, M., et al.: Int. J. Pharm. 287 , 79–87 (2004).

[19] Blank, I.: Feinstäube machen krank. Dtsch. Apoth. Ztg. 145 , 2060–2061 (2005).

Korrespondierender Autor:

Prof. Dr. Peter Langguth

Institut für Pharmazie – Abteilung Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie

Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Staudingerweg 5, 55099 Mainz

langguth@uni-mainz.de
Toxizität von Feinstaub
Bei der Feinstaub-Toxizität wird zwischen Kurzzeit- und Langzeiteffekten unterschieden. Während eine erhöhte Partikelkonzentration der Luft kurzfristig zu Entzündungen der Atemwege, erhöhter Infektanfälligkeit oder zu Blutdrucksteigerung führen kann, zählen chronische Atemwegserkrankungen, Lungenkrebs oder Lungenödeme zu den potenziellen Langzeiteffekten [19].
Bereits 1987 wurde von der US-amerikanischen Umweltschutzbehörde EPA (Environmental Protection Agency) eine Richtlinie mit der Definition für Feinstaub (partikelförmige Materie, PM) eingeführt und 1997 ergänzt. Derzeit werden unterschieden:
  • Inhalierbarer Feinstaub mit einem Durchmesser von maximal 10 µm (PM10), der bereits im Nasen-Rachen-Raum gefiltert wird;
  • Lungengängiger Feinstaub mit einem Durchmesser von maximal 2,5 µm (PM2,5), der bis in die Bronchien gelangt, dort vom Schleim gebunden und von den Zilien wieder hinaustransportiert wird;
  • Ultrafeinstaub mit einem Durchmesser von maximal 0,1 µm (PM0,1), der über die Alveolen in die Blutbahn gelangt.
Ultrafeinstaub besitzt, in Bezug zur Masse, eine relativ große Oberfläche und kann daher mehr toxische Substanzen anlagern als die gleiche Masse größerer Partikel. Ferner können diese Nanopartikel ins Gewebe vordringen und dort ihre toxische Fracht ablagern. Sie sind damit toxischer als größere Feinstaubpartikel. Nach der Ablagerung in den Alveolen können Nanopartikel die Lunge jahrelang belasten, bevor sie durch spezielle Transportprozesse, z. B. Phagozytose, wieder entfernt werden.

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