Arzneimittel und Therapie

Multiples Myelom

Benefit durch neue Substanzen

Das multiple Myelom ist die zweithäufigste Form von Blutkrebs und weder mit klassischer Chemotherapie noch mit Hochdosisbehandlung heilbar. Innovative Wirkstoffe und neue Kombinationen erhöhen jedoch die Remissionsraten und möglicherweise auch das Überleben.

Das multiple Myelom fällt in Deutschland unter die zwanzig häufigsten Krebserkrankungen. Es ist ein bösartiger Tumor des B-Zellsystems, der durch eine monoklonale, neoplastische Proliferation einer entarteten Plasmazelle des Knochenmarks entsteht. Da an verschiedenen Stellen im Körper solche Zellanhäufungen vorliegen, spricht man von einem multiplen Myelom. Die entarteten Myelomzellen entgehen der Apoptose und werden unsterblich. Sie proliferieren und breiten sich bis in den extramedullären Raum aus. Das multiple Myelom tritt vor allem in Bereichen des Knochenmarks auf und führt dort zu Knochenläsionen, die sich häufig in unklaren Schmerzen äußern. Die Myelomzellen produzieren pathologische Immunglobuline ohne physiologische Abwehrfunktion (Paraproteine oder M-Proteine) und verdrängen intakte infektabwehrende Zellen, was unter anderem zu einer erhöhten Infektanfälligkeit führt.

Die Erkrankung beginnt schleichend, die ersten unspezifischen Symptome sind Müdigkeit, Rücken- und Knochenschmerzen, Spontanfrakturen und Anämie. Ferner treten Nierenversagen (durch die Belastung der Paraproteine und überhöhte Calcium- und Phosphatkonzentrationen aus dem Knochenabbau) und Blutbildveränderungen auf. Die Erkrankung ist nicht heilbar und die Prognose ungünstig. Das mediane Überleben liegt je nach Krankheitsstadium und Verfassung des Patienten zwischen sechs Monaten und über fünf Jahren. Verschiedene Therapieansätze führen zu passageren Remissionen, denen ein erneuter Krankheitsausbruch folgt.

Hochdosistherapie

Die effektivste Therapie ist die Hochdosistherapie mit Melphalan gefolgt von einer autologen Blutstammzelltransplantation, die als Ersttherapie für Patienten unter 65 (ev. bis 75) Jahren als Standardbehandlung empfohlen wird. Dadurch können die Remissionsrate erhöht und das Überleben verlängert werden. Die mediane Überlebenszeit beträgt nach einer solchen Therapie vier bis fünf Jahre. Zur Steigerung der Remissionsraten werden neue Substanzen wie Thalidomid, Bortezomib (Velcade®) und Lenalidomid (Revlimid®) in die Hochdosis- und in die First-line-Therapie eingeschlossen. Erste Studienergebnisse sind erfolgversprechend.

Therapie im rezidivierenden Stadium

Für ältere Patienten und für Patienten, die einen Rückfall erlitten haben, waren lange Zeit eine zytostatische Therapie mit Melphalan (in niedriger Dosis kombiniert mit Dexamethason) oder eine Polychemotherapie (Vincristin, Doxorubicin und Dexamethason; VAD-Schema) die einzigen Optionen. Mit immunmodulatorischen Substanzen wie Thalidomid oder Lenalidomid sowie dem Proteasom-Inhibitor Bortezomib können die Remissionsraten auch bei rezidivierenden und refraktären Erkrankungen deutlich erhöht werden.

Bortezomib hemmt das Proteasom

Bortezomib (Velcade®) ist der erste zugelassene Proteasom-Inhibitor. Das Proteasom ist eine intrazelluläre Protease, die den Zellzyklus durch den Abbau von Proteinen reguliert. Maligne Zellen weisen eine größere Proteasom-Aktivität auf und sind stärker auf die Funktion dieses Enzymkomplexes angewiesen als normale Zellen und reagieren deshalb wesentlich empfindlicher gegenüber einer Proteasom-Inhibition. Bortezomib ist ein spezifischer und hoch potenter Inhibitor des 26-S-Proteasoms. Er blockiert den Zellzyklus und beeinträchtigt die Interaktion der Myelomzellen mit Zellen des Knochenmarks. Er hemmt die Angiogenese und die Bildung von Zytokinen, die für das Wachstum und Überleben der Myelomzellen von entscheidender Bedeutung sind. Mit Bortezomib werden in der Rezidivtherapie hohe Remissionsraten erzielt, neue Studien zeigen auch einen Überlebensvorteil. Seine Toxizität ist akzeptabel und reversibel, insbesondere kann Bortezomib auch bei einer Niereninsuffizienz – ein häufiges Merkmal des multiplen Myeloms – gegeben werden. Bortezomib ist als Monotherapie zur Behandlung des progressiven multiplen Myeloms bei Patienten zugelassen, die mindestens eine vorangehende Therapie erhalten haben; sein Einsatz in der Primärtherapie und in Kombinationstherapien (unter anderem mit Cyclophosphamid, Doxorubicin und Melphalan) wird zur Zeit untersucht.

Lenalidomid wirkt immunmodulatorisch

Lenalidomid (Revlimid®) ist ein Thalidomid-Analogon und wird zu den immunmodulatorischen Substanzen (IMiDs) gezählt. Den IMiDs werden mehrere Wirkmechanismen zugeschrieben, unter anderem entzündungshemmende, antiangiogene und antiproliferative Effekte. Ferner besitzen sie eine pro-erythropoietische Aktivität und stimulieren die T-Zellen. Zwischen den einzelnen IMiDs bestehen Unterschiede. Lenalidomid hemmt vor allem die Proliferation von Myelomzellen, unterbindet die Angiogenese und besitzt immunmodulierende und antiinflammatorische Eigenschaften. Im Gegensatz zu Thalidomid wirkt es im Tierversuch mit Ratten und Kaninchen nicht selektiv fruchtschädigend. Unter der Therapie mit Lenalidomid können Blutbildveränderungen (Neutropenie, Anämie, Thrombozytopenie) und gastrointestinale Beschwerden auftreten. Der Benefit von Lenalidomid bei rezidivierendem oder therapierefraktärem multiplen Myelom konnte bereits gezeigt werden. Zurzeit wird Lenalidomid bei einem neu diagnostizierten Myelom als First-line-Therapie und in Kombination mit weiteren Substanzen untersucht.

Lenalidomid ist von der FDA in Kombination mit Dexamethason für vorbehandelte Myelom-Patienten zugelassen. Die Zulassung für Europa wird derzeit von der EMEA geprüft.

Quelle

Dr. Ralf Angermund, Neuss, Prof. Dr. Hartmut Goldschmidt, Heidelberg, Prof. Dr. Mohammad Resa Nowrousian, Essen, Dr. Martin Kropff, Münster; Pressekonferenz: "Velcade® auf dem Weg zur Leitsubstanz beim multiplen Myelom?", Leipzig, 5. November 2006, veranstaltet von der Ortho Biotech, Geschäftsbereich der Janssen-Cilag GmbH, Neuss.

Prof. Dr. Hermann Einsele, Würzburg, Satellitensymposium "Neue Paradigmen in der Behandlung der Myelodysplastischen Syndrome und des multiplen Myeloms", Leipzig, 5. November 2006, veranstaltet von Celgene, Warren, (New Jersey).

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr
  • SUMMIT-Studie: Phase-II-Studie mit 202 stark vorbehandelten Patienten. 35% der Patienten erzielten eine Remission nach einer Therapie mit Bortezomib. Die mediane Zeit bis zur Progression war im Vergleich zur Vortherapie mehr als verdoppelt (7 Monate vs. 3 Monate); die mediane Überlebenszeit lag bei 17,5 Monaten.
  • CREST-Studie: In dieser Phase-II-Studie wurde ein verstärktes Ansprechen von Bortezomib in der Kombination mit Dexamethason gezeigt (Ansprechraten unter Bortezomib 38%, unter Bortezomib und Dexamethason 50%).
  • APEX-Studie: Phase-III-Studie, Vergleich von Bortezomib mit hoch dosiertem Dexamethason bei 669 Patienten mit progressivem multiplem Myelom. Die mit Bortezomib behandelten Patienten wiesen nach einem Jahr ein um 41% reduziertes Mortalitätsrisiko auf. Die Probanden der Bortezomib-Gruppe überlebten median 29,8 Monate, die Patienten der Dexamethason-Gruppe 23,7 Monate; p = 0,0272. Die Ansprechrate lag bei 43% (vs. 18% unter Dexamethason).
  • VISTA-Studie: Diese Phase-III-Studie vergleicht Bortezomib und Melphalan/Prednisolon mit dem Standard Melphalan/Prednisolon als Initialtherapie bei älteren Patienten. Erste Ergebnisse werden 2007/2008 erwartet.
  • MM-009-Studie: Placebokontrollierte randomisierte Phase-III-Studie mit 341 vorbehandelten Patienten. Vergleich von Lenalidomid und Dexamethason vs. Dexamethason alleine bei rezidivierendem, therapierefraktärem multiplen Myelom. Die Kombination führte zu Ansprechraten von 59,4% verglichen mit 21,1% unter Dexamethason. Die Zeit bis zum Progress unter der Kombinationstherapie war signifikant verlängert (15 Monate unter der Kombinationstherapie vs. 5,1 unter der Monotherapie mit Dexamethason; p < 0,001). Das Gesamtüberleben betrug 29,6 vs. 20,2 Monate; p = 0,013).
  • MM-010-Studie: Placebokontrollierte randomisierte Phase-III-Studie mit 351 vorbehandelten Patienten. Wiederum ein Vergleich der Kombination von Lenalidomid und Dexamethason mit Dexamethason alleine bei rezidivierendem, therapierefraktärem multiplen Myelom. Die Kombination führte zu Ansprechraten von 59,1% verglichen mit 23,9% unter Dexamethason. Die Zeit bis zum Progress war unter der Kombinationstherapie signifikant verlängert (11,3 Monate unter der Kombinationstherapie vs. 4,7 Monate unter der Monotherapie mit Dexamethason; p = 0,001). Die Überlebensdaten in der MM-010-Studie sind noch nicht bekannt.

Das könnte Sie auch interessieren

Ixazomib erweitert das Behandlungsspektrum beim multiplen Myelom

Erster oraler Proteasom-Inhibitor

Proteasom-Inhibitor zur oralen Therapie des multiplen Myeloms in den USA zugelassen

Ixazomib kann CHMP nicht überzeugen

Erster Histon-Deacetylase-Inhibitor wird zusammen mit Bortezomib und Dexamethason eingesetzt

Panobinostat ergänzt Therapie bei multiplem Myelom

Das Multiple Myelom und seine Folgen

Plasmazellen außer Kontrolle

Elotuzumab und Daratumumab verzögern den Krankheitsprogress

Zwei Antikörper gegen das multiple Myelom

Verschreibungen auf T-Rezepten – zwischen Tragik und Therapiehoffnung

Die Sache mit dem „T“

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.