Interpharm Hamburg

Arzneitherapie bei Frauen

Spezielle Therapien für den weiblichen Organismus gesucht

Warum und wie Männer und Frauen unterschiedlich "ticken" war nicht nur Thema des Festvortrages auf der Interpharm. Im Mittelpunkt des Referats von Prof. Dr. Petra Thürmann, Wuppertal, standen geschlechtsspezifische Besonderheiten der Arzneitherapie.

Arzneimittel können bei Frauen anders wirken als bei Männern. Diese Unterschiede müssen bei der Erforschung neuer Wirkstoffe und Therapiestrategien berücksichtigt werden. Dass diese Erkenntnis noch völlig unzureichend umgesetzt wird, zeigt sich zum Beispiel in den klinischen Prüfungen: als Testpersonen in Phase I-Studien kommen in der Regel junge männliche Probanden infrage.

Die Gründe für den bisher weitgehenden Ausschluss des weiblichen Geschlechts aus der Arzneimittelforschung – ausgenommen bei Wirkstoffen für ausschließlich weibliche Erkrankungen – sind vielfältig, erläuterte die Referentin. Zu den Haupt-Hindernissen zählen die potenzielle Möglichkeit einer Schwangerschaft während einer Studie und Wechselwirkungen mit oralen Kontrazeptiva. Erfreulicherweise ist jedoch eine Trendwende in Sicht: in Fachinformationen verschreibungspflichtiger Arzneistoffe sind jetzt häufiger auch geschlechtsspezifische Angaben enthalten, die amerikanische Zulassungsbehörde FDA fordert bei Neuzulassungen derartige Angaben sogar ausdrücklich.

Unterschiede beim Arzneistoffmetabolismus

In den vergangenen Jahren haben zahlreiche Studien geschlechtsspezifische Unterschiede bezüglich des Arzneistoffmetabolismus, der Wirksamkeit und Sicherheit zutage befördert. Beim Arzneistoffmetabolismus sind die relevantesten Unterschiede auf der Ebene des Cytochrom-P450-Systems zu finden. So ist beispielsweise das Isoenzym CYP3A4 in der weiblichen Leber drei- bis viermal stärker exprimiert als in der männlichen. Als Folge davon werden CYP3A4-Substrate wie Methylprednisolon, Nifedipin oder Verapamil bei Frauen zu etwa 15 bis 30 Prozent stärker abgebaut.

Bei CYP2D6-Substraten wie beispielsweise dem in Deutschland am häufigsten verordneten Betablocker Metoprolol sind dagegen genau entgegengesetzte Effekte zu beobachten. Frauen exprimieren dieses Enzym bis zu einem Fünftel weniger als Männer, daher weisen sie nach Gabe des Wirkstoffes höhere maximale Plasmakonzentrationen (Cmax) und eine höhere AUC auf. Dies erklärt, weshalb bei Frauen durch Metoprolol Blutdruck und Herzfrequenz stärker gesenkt werden können als bei Männern und die Nebenwirkungen stärker ausgeprägt sind.

Männer brauchen mehr Morphin

Große geschlechtsspezifische Unterschiede wurden auch beim Opiatbedarf gefunden. In einer Studie mit 1833 postoperativen Patienten beispielsweise benötigten Männer bei Patienten-kontrollierter Schmerzbehandlung ca. 40 Prozent mehr Morphin als Frauen. Um eine 50%ige Schmerzlinderung zu erfahren, musste die Konzentration am Opiatrezeptor bei Männern um 50 Prozent höher sein als bei Frauen. Dieser Unterschied war nicht in der Pharmakokinetik begründet. Darüber hinaus gab es auch eklatante Unterschiede bezüglich der Nebenwirkungen: Frauen erlitten bei 30 Prozent niedrigeren Dosierungen Atemstörungen.

Thürmann betonte, dass die Forderung nach stärkerer Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Unterschiede in der Arzneitherapie auch deshalb berechtigt ist, weil Frauen generell mehr Arzneimittel konsumieren als Männer. cb

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