Interpharm Hamburg

Suchterkrankungen und Apotheke

Medikamentensucht ist eine stille Sucht

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Sabine Bätzing, MdB, begrüßte die Entscheidung, das Thema Suchterkrankungen auf der Interpharm zu behandeln. Es zeige deutlich, dass die Apotheker ihre Bedeutung bei der Prävention und Beratung bei Medikamentenproblemen erkennen und annehmen.

Die Medikamentenabhängigkeit ist eine stille, unauffällige Sucht. Dabei steigt nicht nur die Abhängigkeit, sondern bereits der missbräuchliche Konsum von Arzneimitteln weltweit an, führte Bätzing aus. Vielen Abhängigen ist dabei nicht bewusst, dass der Missbrauch von Arzneimitteln gefährlicher sein kann als der Missbrauch anderer Rauschmittel. Bätzing sieht hier offenkundig nach wie vor ein erhebliches Aufklärungsdefizit. Zudem wird in vielen Ländern der Markt mit gefälschten Arzneimitteln überschwemmt. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 50% der in Afrika verwendeten Medikamente gefälscht sind. Dieses Problem existiert auch in Deutschland – zwar in wesentlich geringerem Umfang –, aber es wird mit einem anhaltenden Wachstum gerechnet. Dabei handelt es sich hierzulande sowohl um den Etikettenschwindel bei abgelaufenen Medikamenten als auch um den Handel und Verkauf von wirkungslosen oder sogar lebensgefährlich gefälschten Arzneimitteln. Vor allem, so Bätzing, muss in diesem Kontext im Auge behalten werden, welche Gefahren von den Internetapotheken ausgehen können. Der Vertrieb über diese Wege hat sich rasant ausgebreitet und begünstigt den Missbrauch von rezeptpflichtigen Mitteln.

Die Problematik der Medikamentenabhängigkeit ist leider nicht auf Stars wie Robbie Williams – der sich gerade sehr aktuell und medienwirksam wegen seiner Medikamentensucht in einer Klinik in Arizona behandeln ließ – und auch nicht auf die USA beschränkt. Auf beiden Seiten des Atlantiks besitzen ungefähr 5% aller verordneten Arzneimittel ein eigenes Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial. Dabei handelt es sich vor allem um Medikamente aus dem Bereich der Schlaf- und Beruhigungsmittel. Etwa ein Viertel dieser Medikamente werden nicht für eine akute Versorgung verwendet, sondern dienen langfristig der Suchterhaltung oder der Linderung von Entzugserscheinungen. Auch wenn die Wirkstoffmengen dieser Arzneimittel seit 1993 um etwa 25% gesunken sind, so reicht diese Menge doch aus, um allein in Deutschland etwa eine Million Abhängige zu versorgen. Rechnet man die Abhängigen von anderen Arzneimitteln dazu, so kann man in Deutschland von 1,4 Millionen Medikamentensüchtigen ausgehen, manche sprechen sogar von 1,9 Millionen. Zum Vergleich: Die Zahl der Alkoholabhängigen in Deutschland wird auf 1,5 Millionen geschätzt. Übertroffen wird diese Zahl nur noch von 15 Millionen Nicotinabhängigen. Vor allem Frauen und ältere Menschen gehören zur Gruppe der Medikamentenabhängigen.

Übergreifende Zusammenarbeit ist notwendig

Bätzing engagiert sich stark im Bereich Medikamentenabhängigkeit und -missbrauch. Im Zuge dessen wurde eine Studie zu den Möglichkeiten und Defiziten in der Erreichbarkeit ausgewählter Zielgruppen veröffentlicht. Diese sollte beleuchten, mit welchen Maßnahmen und Materialien der Medikamentenmissbrauch reduziert werden kann. Deutlich wurde dabei, dass es dringend notwendig ist, effektive Maßnahmen zur Prävention und Behandlung von Medikamentenabhängigkeit auf den Weg zu bringen und vor allem dabei mit allen in Frage kommenden Versorgungsbereichen zusammenzuarbeiten.

… fragen Sie Ihren Arzt und Apotheker!

Die Bundesärztekammer hat einen umfassenden Leitfaden "Medikamente – schädlicher Gebrauch und Abhängigkeit" erarbeitet. Dieser Leitfaden sollte möglichst effektiv von den Ärzten und mit den Ärzten kooperierenden Berufsgruppen angenommen und umgesetzt werden, forderte Bätzing. Zu den entsprechenden Gesprächen werden auch Vertreter der Apotheker auf Bundesebene eingeladen werden. Bätzing betonte ausdrücklich, wie sehr sie das Engagement der Apotheker in diesem Zusammenhang begrüßt. Durch Konzepte wie das Hausapothekenmodell oder die in der Erprobung befindliche Gesundheitskarte üben Apotheker eine wichtige Kontrollfunktion aus. Das gilt für versehentliche Doppelverordnungen durch gleichzeitig aufgesuchte Ärzte genauso wie für mögliche Wechselwirkungen mehrerer eingenommener Medikamente. Vor allem aber für die Beratung im Bereich der Selbstmedikation. Denn dieser Bereich macht etwa 45% aller Arzneimittel aus. Von der Erstberatung über Folgegespräche zur Wirkung der empfohlenen Arzneimittel haben hier die Apotheker eine große Verantwortung!

Bedauerlicherweise haben die bisherigen Erfahrungen gezeigt, dass es gerade beim sensiblen Thema Medikamentenabhängigkeit nicht einfach ist, die verschiedenen Professionen für gemeinsame Aktivitäten zu gewin-nen. Das scheint auch für die Kooperation von Ärzten und Apothekern zu gelten. Vielleicht liegt das an dem Slogan "Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker"? Bätzing wünschte sich eher die Formulierung "… fragen Sie Ihren Arzt und Apotheker", die dagegen ein Miteinander nahe legt. Denn das ist unabdingbar, um wirklich effektive Maßnahmen zur Eindämmung des Medikamentenmissbrauchs auf den Weg bringen zu können.

Offensichtlichen Missbrauch ansprechen

Leider, so Bätzing, haben Untersuchungen deutlich gemacht, dass beim Apothekenpersonal Unsicherheiten und Bedenken bestehen, einen offensichtlichen Missbrauch anzusprechen. Die Fortbildungen zu den Hintergründen von Medikamentenmissbrauch und -abhängigkeit und zu den Möglichkeiten der Beratung und Gesprächsführung, begrüßt sie daher sehr. Ihr Wunsch an die Apothekerschaft: das Thema Suchterkrankungen und Apotheke solle dauerhaft auf der Tagesordnung bleiben und alle relevanten Akteuren sollten gemeinsam versuchen, wirkungsvolle Lösungen hinsichtlich des Medikamentenmissbrauchs und der Medikamentenabhängigkeit zu finden.

ck

"Ohne jeden Zweifel leisten die Apothekerinnen und Apotheker allein in den beiden Bereichen Substitution und Raucherentwöhnung eine wichtige und wertvolle Aufgabe in der Sucht- und Drogenhilfe. "

Sabine Bätzing

"Wir müssen bei den Arzneimittelfälschungen vor allem im Auge behalten, welche Gefahren von den Internetapotheken ausgehen können. "

Sabine Bätzing

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