Recht aktuell

Die neue EU-Chemikalien-Verordnung

Nach langjährigen Verhandlungen wurde im Dezember vergangenen Jahres eines der ambitioniertesten und umfangreichsten Projekte in der EU-Geschichte zum Abschluss gebracht: die vollständige Neuordnung des europäischen Chemikalienrechts. Das Ergebnis der Debatte, die von allen beteiligten Interessensgruppen mit harten Bandagen geführt wurde, ist die Verordnung (EG) Nr. 1907/2006, bekannt unter der Bezeichnung REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals).

Grund für die Neuregelung waren zahlreiche Unzulänglichkeiten der bisher bestehenden Gesetzeslage. Alten, seit Jahrzehnten in Gebrauch befindlichen Chemikalien wurde de facto ein Marktvorteil gegenüber neuen und zum Teil sichereren Alternativen eingeräumt, da letztere einem umfangreichen Anmeldeverfahren unterworfen waren, das für Chemikalien, die vor 1981 auf den Markt gebracht wurden, nicht galt. So liegen auch heute für die meisten Altstoffe keine oder nur unvollständige Informationen zu ihrer Gefährlichkeit für die menschliche Gesundheit und die Umwelt vor.

Industrie und Politik sahen sich zusehends mit der wachsenden Forderung konfrontiert, die Risiken, die durch die Verwendung und Verbreitung von Chemikalien ausgehen, einschätzen zu können. Diesem Wunsch soll nun im Rahmen der neuen Verordnung, die am 1. Juni 2007 in Kraft tritt, nachgekommen werden. Darin wird vorgeschrieben, dass sämtliche Chemikalien, die hergestellt, vermarktet und verwendet werden, bei der neuen Europäischen Chemikalienagentur in Helsinki registriert werden müssen. Je nach Jahresproduktionsmenge müssen hierfür verschiedene Informationen vorliegen. Diese reichen von einfachen physikalisch-chemischen Daten über Tests zur akuten (Öko-)Toxizität bis hin zu aufwendigen und kostspieligen Studien zur Kanzerogenität oder Reproduktionstoxizität. Ab einer Jahresproduktion von über 10 Tonnen muss darüber hinaus ein Stoffsicherheitsbericht erstellt werden, der detaillierte Informationen zu Beurteilung und Management des Risikos eines Stoffes enthält. Für Altstoffe gelten Übergangsfristen, die abhängig von der Menge oder besonderen Gefährlichkeit zwischen 3 ½ und 11 Jahren liegen. Zu den Ausnahmen von der Registrierpflicht gehören unter anderem Stoffe, die direkt in Arzneimitteln Verwendung finden.

Chemikalien für die Arzneistoffproduktion

Trotz dieser auf den ersten Blick beruhigenden Nachricht für die pharmazeutische Industrie ist es auch für diese Branche unerlässlich, sich mit REACH auseinanderzusetzen. Zum einen gibt es verschiedene Fälle, in denen auch ein Unternehmen der Pharmabranche direkt Verpflichtungen unter REACH zu erfüllen hat. Andererseits können indirekte Effekte schlecht vorbereitete Firmen schnell in eine schwierige Lage versetzen. Stoffe beispielsweise, die nicht unverändert als Bestandteil eines Arzneimittels verwendet werden, müssen registriert sein. Stammt ein Rohstoff für die eigene Wirkstoffsynthese nicht von einem Lieferanten innerhalb der EU und muss folglich von diesem registriert worden sein, dann handelt das betreffende Unternehmen als Importeur im Sinne von REACH. Damit muss es eine Registrierung für diesen Stoff vornehmen. Unter bestimmten Umständen gelten die verwendeten Stoffe allerdings als Zwischenprodukte, für die nur ein deutlich reduzierter Datensatz für die Registrierung eingereicht werden muss. Stoffe, die für den Betrieb von Anlagen gebraucht werden, müssen ebenfalls registriert werden.

Wird der Stoff von einem Lieferanten innerhalb der EU bezogen, bestehen für den Abnehmer lediglich die Verpflichtungen eines "nachgeschalteten Anwenders" (engl.: downstream user). Damit ist er angewiesen, darauf zu achten, dass die Registrierung der verwendeten Substanz die eigene Verwendung berücksichtigt, sie also als sog. identifizierte Verwendung beschreibt. Falls der Lieferant eine Aufnahme in das Dossier als identifizierte Verwendung verweigert, muss der betroffene Abnehmer den Lieferanten wechseln oder einen eigenen Stoffsicherheitsbericht erstellen.

Auch Arzneimittelhersteller unmittelbar betroffen

Aber auch Unternehmen, die nicht selbst Wirkstoffe synthetisieren, sollten sich mit den Auswirkungen von REACH beschäftigen. Indirekt kann auch ein Arzneimittelhersteller betroffen sein, der keine eigene Wirkstoffsynthese betreibt und demnach kein Hersteller im Sinne von REACH ist. So ist es im Einzelfall denkbar, dass eine Schlüsselkomponente seitens des Herstellers vom Markt genommen wird, da die REACH Anforderungen die Wirtschaftlichkeit in Frage stellen. Über die konkrete Anzahl an chemischen Stoffen, die auf diese Weise vom Markt verschwinden werden, gibt es nur Schätzungen. Fakt ist, dass einige Chemikalien nicht mehr verfügbar sein werden. Zumindest für einen Teil, nämlich besonders besorgniserregende Substanzen, wie krebserregende oder ausgesprochen umweltpersistente Stoffe, ist dies auch erklärtes Ziel von REACH. Abnehmer von Chemikalien gleich welcher Branche, sollten sich also rechtzeitig mit ihren Lieferanten in Verbindung setzen, um abzuklären, welchen Einfluss REACH auf die gemeinsamen Geschäftsinteressen haben wird.

Dr. Nils Sunder-Plassmann, PharmaLex GmbH, Joseph-Meyer-Str. 13 – 15, 68167 Mannheim, E-Mail nils.sunder-Plassmann@pharmalex.com, www.Pharmalex.com

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.