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Vitamin E – die Tocopherole

Der Name Tocopherol ist von den griechischen Wörtern tókos = Geburt, gebären und phérein = tragen, bringen abgeleitet. In den 1920er Jahren wurde ein Nahrungsfaktor(-inhaltsstoff) festgestellt, der offensichtlich für die Aufrechterhaltung der Trächtigkeit von Ratten erforderlich war. Er bekam die Bezeichnung Vitamin E. Bereits 1938 konnte die Struktur aufgeklärt und Vitamin E durch Karrer auch synthetisiert werden. Tocopherole werden heute nicht nur als Lebensmittelzusatzstoffe (E 306 bis E 309) und in Vitaminpräparaten, sondern auch in Kosmetika und medizinischen Präparaten eingesetzt.

Bei den Tocopherolen, die bereits ein Jahrzehnt nach ihrer Entdeckung als Nahrungsfaktor isoliert und strukturell aufgeklärt wurden, handelt es sich um in 2-Stellung mit einem 4,8,12-Trimethyldecyl-Rest substituierte Chroman-6-ole. Chroman (Synonym: Dihydro-1-benzopyran) als Grundgerüst ist ein bicyclischer Sauerstoff-Heterocyclus, der dem Aufbau verschiedener Naturstoffe, u. a. auch Cannabinoide, zugrunde liegt. Chroman besteht somit aus einem Benzolring und einem weiteren Sechsring mit Sauerstoff anstelle eines Kohlenstoffatoms (Pyran) sowie der genannten Seitenkette am Pyranring. Vom Pyran selbst leiten sich ebenfalls zahlreiche Naturstoffe ab – so Flavone, Furocumarine und auch die meisten Kohlenhy-drate (Pyranosen). Die Tocopherole (α-, β-, γ-, δ-Tocopherol) unterscheiden sich durch die Anzahl der Methylgruppen (drei: α-T., bzw. eine oder zwei) am Benzolring – und einer Methylgruppe neben der langen Seitenkette am Pyranring (γ-Tocopherol ohne Methylgruppe am Pyranring). Geht man vom Tocol als [2-Methyl-2-(4’,8’,12’-trime-thyltridecyl)chroman-6-ol] aus, so vereinfachen sich die Bezeichnungen für die vier Tocopherole wie folgt: α-T.: 5,7,8-Trimethyltocol; β-T.: 5,8-Dimethyltocol; γ-T.: 7,8-Dimethyltocol; δ-T.: 8-Methyltocol. Das α-Tocopherol besitzt drei Chiralitätszentren: in Position 2 (am Pyranring) und 4’ sowie 8’ in der Seitenkette, an denen sich die Methylgruppen in R-Konfiguration befinden. Die korrekte Schreibweise nach den IUPAC-Regeln für das α-Tocopherol lautet somit: 2R, 4’R, 8’R-α-Tocopherol (über die unterschiedliche biologische Wirkung s. unter "Funktionen"). Tocopherole bilden schwach gelblich-rötliche, ölige Flüssigkeiten, sind unlöslich in Wasser, gut löslich dagegen in Fetten und Ölen sowie auch in Lösemitteln allgemein, in denen sich auch Fette und Öle lösen. Gegen die Einwirkung von Hitze, Säuren und Alka-lien sind sie relativ stabil. Durch den Luftsauerstoff werden sie nur langsam, jedoch in Gegenwart von Metallionen wie Eisen(+3)-Ionen und unter Lichteinstrahlung rasch oxidiert. [1]

Metabolismus

Die Resorption von Vitamin E erfolgt im Darm zusammen mit den Lipiden. Veresterte Tocopherole (an der OH-Gruppe des Tocols – s. α-Tocopherol als 5,7,8-Trimethyltocol), wie in Medikamenten zur Stabilitätserhöhung häufig eingesetzt, werden durch Lipasen oder auch Mukosa-Esterasen zuvor hydrolysiert. Die Resorptionsquoten werden im Allgemeinen mit etwa 30% im Durchschnitt angegeben [2], sie sind jedoch dosisabhängig. Bei einer Gabe von 12 mg erreicht die Absorptionsrate 54%, bei 200 mg jedoch nur 12%. Durch Lecithin wird die Resorption verbessert, durch langkettige, mehrfach ungesättigte Fettsäuren dagegen gehemmt. [3] Am besten werden das α-Tocopherol und dessen Ester resorbiert. Als freie Tocopherole werden sie in die Micellen überführt, die bei der Verdauung der Nahrungsfette gebildet werden. Mit diesen zusammen werden sie dann in die Epithelien des proximalen Dünndarms transportiert. In den Dünndarmepithelzellen erfolgt dann ein Einschluss der Tocopherole in die Chylomikronen, die tröpfchenförmigen Fettpartikel, die dort im endoplasmatischen Retikulum gebildet werden. Nach diesen Vorgängen der Resorption erfolgt relativ rasch ein Transport in die Leber. Durch die Lipoproteinlipase kann ein Teil der Chylomikronen abgebaut werden, wodurch bereits auch ein Teil der Tocopherole in die peripheren Gewebe gelangt. Der Hauptanteil der Tocopherole gelangt jedoch in die Parenchymzellen der Leber. Im Zytoplasma existiert ein α-Tocopherol-Bindeprotein (TBP). TBP besitzt eine hydrophobe Tasche, welche die freie Hydroxygruppe und die drei Methylgruppen des α-Tocopherols erkennen und dieses somit bevorzugt einbauen kann. Über dieses Protein erfolgt schließlich die Inkorporation in das VLDL ("very low density lipoprotein"). In dieser Form und den daraus gebildeten LDL ("low-density-") und HDL ("high-density-") (mit 65 bzw. 8% des α-Tocopherols) wird Vitamin E in die Gewebe transportiert, und dort übernehmen dann spezielle tocopherol-associated-proteins, TAPs, den intrazellulären Transport zu den lipophilen Zellstrukturen. Insgesamt besteht ein dynamisches Gleichgewicht durch den raschen Austausch zwischen allen Lipoproteinfraktionen. [2,3] Das bevorzugt in VLDL eingebaute α-Tocopherol verbleibt im Körper, alle anderen Formen werden sehr schnell über die Galle ausgeschieden. Die wichtigste metabolische Reaktion im Organismus ist die Oxidation zum Tocopherylchinon, welches auch di- und trimerisiert werden kann. Über Galle und Darm erfolgt dann mit den Fäzes eine Eliminierung.

Funktionen und Bedarf

Die Funktionen der Tocopherole als Bestandteil aller biologischen Membranen lassen sich allgemein mit einem Schutz der Membranlipide, der Lipoproteine und Depotfette vor dem Abbau durch die Vorgänge der Lipidperoxidation beschreiben. Sie wirken somit als Antioxidanzien. Die biologische Aktivität des R,R,R-α-Tocopherols ist am höchsten, die aller anderen Tocopherole liegt unter 50%. Vergleicht man die biologische Wirksamkeit, so weisen gleiche Mengen an β-Tocopherol 50%, an γ-Tocopherol 10% und an δ-Tocopherol nur 3% an biologischer Aktivität auf. 1 mg Tocopherol-äquivalent (TÄ) entspricht 1 mg RRR-α-Tocopherol bzw. 1,49 Internationalen Einheiten (IE).

Die antioxidative Wirkung lässt sich wie folgt beschreiben: Freie (sehr reaktionsfähige) Radikale entstehen im Organismus durch Licht, Wärme sowie aus vielen chemischen Substanzen und auch bei biologischen (biochemischen) Vorgängen. Mehrfach ungesättigte Fettsäuren werden von freien Radikalen angegriffen; es entstehen sehr reaktive Lipidradikale, die durch das Hinzutreten von Sauerstoff in wiederum hochreaktive Lipidper-oxidradikale umgewandelt werden. Mit einer weiteren Fettsäure kann dann ein zytotoxisches Lipidperoxid entstehen und eine autokatalytische Kettenreaktion einsetzen. Wird diese nicht unterbrochen, so kommt es zu einer Zerstörung der Membranfunktionen. Diese Kettenreaktion, mit einer Übertragung eines Wasserstoffatoms verbunden, kommt zum Stillstand, wenn das Wasserstoffatom vom Vitamin E auf das Radikal übertragen wird, wobei dann ein stabiles Lipidhydroperoxid und ein sehr träges, wenig reaktionsfähiges Vitamin-E-Radikal entstehen. Dadurch wird die Kettenreaktion abgebrochen. Ist in der Membran, wo sich das Vitamin-E-Radikal befindet, Ascorbinsäure vorhanden, so kann es wieder zum Vitamin E zurückverwandelt (reduziert) werden. Damit gewährleistet Vitamin E den Schutz mehrfach ungesättigter Fettsäuren in den Zellmembranen und auch in anderen Zellstrukturen wie den LDL-Partikeln. [4] Darüber hinaus sind aber auch weitere Wirkungen des Vitamins E wahrscheinlich. Zunächst ist mit der Wirkung als Antioxidans auch der Schutz der Lipidmembranen (Aufrechterhaltung der Membranstruktur und damit Beeinflussung der Membranfluidität) verbunden. Als Katalysator für die Atmung oder als Regulator spezifischer Enzyme und Coenzymkonzentrationen kann Vitamin E auch in den Mitochondrien wirken und damit eine Rolle in der Atmungskette (beim Elektronentransport) spielen.

Eine weitere Hypothese geht davon aus, dass Tocopherole eine Funktion beim Transfer der genetischen Information von den Chromosomen zur Zelle aufweisen. [5]

Die Oxidation der Membranlipide gilt auch als ein pathologischer Schlüsselfaktor für die Schädigung von Herz-, Skelettmuskel- und anderen Zellen. Die Hemmung wichtiger Teilschritte von Entzündungsprozessen, so die Hemmung der Proteinkinase C sowie die Hemmung der Proliferation (allg. Vermehrung von Gewebe) glatter Muskelzellen, spielen offensichtlich ebenso eine wichtige Rolle. In dieses Wirkungsspektrum gehören auch die Hemmung der Thrombocytenaggregation und die Modulation von Immunfunktionen – und zwar durch das α-Tocopherol. [3]

Der Bedarf an Vitamin E orientiert sich an der Polyenfettsäure-Zufuhr. Empfohlen wird für den Schutz von 1g Linolsäure 0,4 mg Tocopherol-Äquivalente (s. o.), für Monoensäuren wie Ölsäure 0,06 TÄ/g und jeweils 0,2 mg TÄ/g für Fettsäuren mit weiteren Doppelbindungen (wie der Trienfettsäure Linolensäure). Andererseits wird ein Mindestbedarf von 4 mg RRR-α-Tocopherol für Erwachsene angegeben. Unter Berücksichtigung verzehrüblicher Mengen an Polyenfettsäuren ergeben sich dann Mengen zwischen 5 und 14 mg für Kinder und 11 bis 15 mg für Erwachsene. [3] Ein Bedarf von 12 mg TÄ errechnet sich aus der Aufnahme von ca. 24 g Dienäquivalenten: 18 g Linolsäure und 3 g Linolensäure. [2]

Vorkommen und Verwendung

Die Biosynthese der Tocopherole erfolgt ausschließlich in Pflanzen und zwar in den Samen höherer Pflanzen und ist unabhängig von der Lichtzufuhr. Die α-Tocopherol-Gehalte einiger ausgewählter tierischer Lebensmittel und von Pflanzen-ölen sind in der Tabelle zusammengestellt. Durch die Raffination geht ein Teil der Tocopherole verloren. In Weizenkeim-, Raps- und Sonnenblumenöl liegt ein günstiges Verhältnis zwischen den Vitamin E-Gehalten und den ungesättigten Fettsäuren vor. Im Unterschied zum Soja- und Maiskeimöl stellt in den genannten und auch im Olivenöl das α-Tocopherol den Hauptanteil am Vitamin E-Gehalt. Soja- und Maiskeimöl enthalten überwiegend γ-Tocopherol. Walnüsse und Fisch sowie Distel(Saflor)öl enthalten weniger Vitamin E als für den Gehalt an ungesättigten Fettsäuren erforderlich wäre. Die Gehalte in Butter schwanken jahreszeitlich sehr stark, so dass zur Deckung des Tagesbedarfs Mengen zwischen 100 bis 500 g angegeben werden. [2] Verluste an Vitamin E treten bei der Lebensmittelzubereitung vor allem beim Braten, z. B. von Nieren, auf. Bei anderen Zubereitungsarten sind sie verhältnismäßig gering. [5]

Eine Vitamin E-Supplementierung wird als Prävention der Atherosklerose (Arteriosklerose), von Tumorerkrankungen, zur Förderung der Immunofunktionen, zur diätetischen Behandlung von Diabetes mellitus und bei rheumatischen Erkrankungen empfohlen. [6]

In der Diät-Verordnung [7] wird Vitamin E in Anlage 2 in folgenden Formen aufgeführt: D-α-Tocopherol, DL-α-Tocopherol [als Racemat], D-α-Tocopherylacetat, DL-α-Tocopherylacetat und D-α-Tocopherylsäuresuccinat (für Säuglingsflaschennahrung bis zu 50 Milligramm des verzehrfertigen Erzeugnisses). Als Zusatzstoffe steht E 306 für stark tocopherolhaltige Extrakte, E 307 bis 309 für α-, γ- bzw. δ-Tocopherol. Die Tocopherole dienen als Antioxidanzien sowohl zur Stabilisierung tierischer und pflanzlicher Fette als auch von z. B. Kaugummis und etherischen Ölen. Diese Wirkung bzw. Funktion haben sie auch in pharmazeutischen (öl- und fetthaltigen) und kosmetischen Präparaten.

Literatur

[1] Römpp Lexikon Naturstoffe, Thieme, Stuttgart 1997

[2] Biesalski, Hans Konrad u. Peter Grimm: Taschenatlas der Ernährung, Thieme, Stuttgart, 3. Aufl.

[3] Ternes, W. et al. (Hrsg.): Lexikon der Lebensmittel und der Lebensmittelchemie, Wiss. Verlagsges., Stuttgart, 4. Aufl.

[4] Schwedt, Georg: Taschenatlas der Lebensmittelchemie, Wiley-VCH, Weinheim, 2. Aufl.

[5] Elmadfa, Ibrahim u. Claus Leitzmann: Ernährung des Menschen, Ulmer, 4. Aufl. Stuttgart 2004

[6] Hahn, Andreas: Nahrungsergänzungsmittel, Wiss. Verlagsges., Stuttgart 2006

[7] Meyer, Alfred Hagen (Hrsg.): Lebensmittelrecht. EG-Lebensmittel-Basisverordnung. Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch mit den wichtigsten Diätvorschriften, dtv, München 2. Aufl.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. Georg Schwedt (assoz. Prof. am Institut für Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften (IEL), Universität Bonn, Landsberger Str. 29, D-53119 Bonn
Tabelle: α-Tocopherol-Gehalte in ausgewählten tierischen Lebensmitteln sowie pflanzlichen Ölen – nach [3]
Lebensmittel
α-Tocopherol-Gehalt in mg je 100 g essbarem Anteil
Rindermuskel/-leberfett
23
Kalbsleberfett
5,9
Hammelmuskelfett
12,5
Schweinemuskelfett
18,5
Schweineleberfett
11
Hühnerleberfett
11,2
Hering (17,8 % Fett)
5,6
Heringsrogen (3 % Fett)
177
Heilbutt (2 % Fett)
42,5
Makrele (12 % Fett)
10,5
Rotbarsch (3,6 % Fett)
35
Forelle (2,8 % Fett)
60
Lachs (13,6 % Fett)
16
Maiskeimöl (raffiniert)
13,4
Olivenöl
9,3
Palmöl
15,0
Reiskeimöl
32,4
Distelöl (Safloröl)
47,7
Rapsöl
7,0
Sonnenblumenöl
60,8
Weizenkeimöl
114
Sojabohnenöl
11,6
Erdnüsse
9,21
Haselnüsse
24,2
Mandeln
23,8
Pinienkerne
12,5
Sonnenblumenkerne
37,2

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