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Ketten kommen – wirklich?

Davon zeigte er sich überzeugt, der smarte Wirtschaftswissenschaftler Bert Rürup, Mitglied im Sachverständigenausschuss zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, in seinem Vortrag auf dem Apotheker Forum, veranstaltet vom Pharmagroßhändler Anzag in Frankfurt: Mit einer nächsten Gesundheitsreform kommen auch die Apothekenketten. Das ist für ihn so sicher wie das Amen in der Kirche. Für ihn gibt es überhaupt keinen Grund, warum der Mehrbesitz von Apotheken mit der Zahl drei aufhören muss. Immerhin räumte er ein, dass er gute Argumente gegen Ketten sehe, fügte jedoch im gleichen Atemzug hinzu, dass es keine Argumente gegen ein Verbot von Ketten gebe und schaute dabei in Richtung Eu-ropa. Aus europäischem Blickwinkel sei das Verbot des Fremd- und Vielbesitzes nicht mehr haltbar, so Rürup. Die Apotheker sollten sich jetzt vielmehr darum bemühen, bei der Ausgestaltung der Zulassung von Ketten mitzumischen, bei den Spielregeln mitzureden. Schlimmer wäre es, wenn Ketten über gerichtliche Auseinandersetzungen zuge-lassen würden, wenn sie quasi dem Apothekenwesen aufgezwungen würden, ohne dass detailliert geregelt sei, unter welchen Bedingungen sie sich etablieren dürften.

Mag der Herr Professor der Wirtschaftswissenschaften beim letzten Punkt richtig liegen: Es ist allemal besser, wenn man Spielregeln selbst mit ausgestaltet. Ob aber seine Prognose stimmt, dass die Zulassung von Apothekenketten schon in der nächsten Legislaturperiode zur Abstimmung ansteht, mag ich so nicht glauben. Mit Ausnahme der Grünen haben sich Politiker aller Parteien erst im vergangenen Jahr unisono gegen Apothekenketten ausgesprochen. Sie sehen in der inhabergeführten Individualapotheke die beste Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Warum sollte die Politik so rasch ihre Meinung ändern? Warum sollte diese Ansicht plötzlich nicht mehr gelten? Will der Wirtschaftswissenschaftler Rürup gar Apothekenketten herbeireden? Oder will er bewusst mit solchen Statements provozieren? Ich denke, wenn die deutsche Gesundheitspolitik sich zur Individual-apotheke bekennt, sollte auch Europa keine Chance haben, daran zu rütteln. Auch unser Nachbarland Österreich widersetzt sich hier europäischer Einflussnahme und geht davon aus, dass die Zuständigkeit für die Ausgestaltung des Gesundheitswesens Länder- und nicht Europasache ist. Ein Fauxpas wie seinerzeit beim Versandhandel sollte nicht ein zweites Mal passieren: Es wäre nicht notwendig gewesen, dass unsere Bundesregierung im vorauseilenden Gehorsam die Zulassung des Versandhandels auf verschreibungspflichtige Arzneimittel ausdehnt, Europa hatte das nicht gefordert. Patienten und Apotheken wäre viel erspart geblieben, wenn verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht verschickt werden dürften.

Ein Zug allerdings ist abgefahren und lässt sich nicht mehr aufhalten: Der Wettbewerb wird härter. Apotheken müssen mehr denn je versuchen, sich im Markt zu behaupten. Kooperationsmodelle der Großhandlungen, Franchisekonzepte wie Avie oder DocMorris-Partnerapotheken, Discount-Apotheken, die über Billig-Preisstrategien Kunden gewinnen wollen, ausgelöst durch die Freigabe der OTC-Preise, haben die Landschaft und Apothekenstrukturen bereits verändert. Der Umsatz mit den Krankenkassen ist nicht mehr die Hauptgewinnquelle für eine Apotheke. Eine Apotheke muss jetzt ihren Platz finden – oder sie findet ihn nicht mehr. Nach meiner Einschätzung ist es jetzt höchste Zeit, dass sie sich über ein besonderes Konzept positioniert, das sie einzigartig macht. Die Frage, warum soll ein Kunde in meine Apotheke gehen und nicht in die meines Mitbewerbers, ist aktueller denn je. Diese Frage sollte sich jede aktive Apotheke stellen und beantworten. Nur die Preise runtersetzen, ist zu wenig.

Wer eine Apotheke mit einer überzeugenden Strategie betreibt, braucht den Wettbewerb und selbst Rürups herbeigeredete Ketten nicht zu fürchten. Er kann mit der Soulsängerin Gloria Gaynor – wie auf dem Apothekerball am vergangenen Wochenende in Frankfurt geschehen – in die Songs einstimmen: "I am what I am" und "I will survive".

Peter Ditzel

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