Feuilleton

Glossay

Die Jodzahl, das Gänseschmalz und die Fischöle

Weihnachten ist vorbei. Gott zum Danke! Notabene auch das Jahr, in dem uns Wolfgang Amadeus Brandauer ständig genervt hat. Beide wurden allmählich etwas anstrengend. Einerseits das kalorienreiche, fette Essen und dann die Störungen der morgendlichen Musiksendungen durch das tägliche Verlesen von Briefen eines pubertierenden musikalischen Genies, in denen oft die Rede von dem war, was nach der Verdauung vom guten Essen übrig bleibt. Aber was hat das alles mit der Jodzahl zu tun?

Die Iod-Zahl (Abk.: IZ) – so wird sie nach der heute gültigen Nomenklatur geschrieben – ist eine Maßzahl für den Grad der Ungesättigtheit einer Verbindung, wobei vor allem an die (mehrfach) ungesättigten Fettsäuren in den Fetten und fetten Ölen zu denken ist. Die Ausführung, so wie sie jeder Pharmaziestudierende im Rahmen seines Arzneibuchpraktikums kennen gelernt hat, erfolgt meist nach der Methode von Wijs. Dabei werden die in einem Molekül vorhandenen Doppelbindungen mit elementarem Brom in geeigneter Weise titriert und dann der Verbrauch auf Iod umgerechnet. Man kann damit auch beurteilen, wie "gesund" ein untersuchtes Fett ist, denn es gilt die Faustregel: Je stärker ungesättigt, d. h. je mehr Doppelbindungen, desto gesundheitsfördernder ist das Fett.

Diese Regel gilt natürlich nur mit gewissen Einschränkungen. Vor allem kommt es darauf an, wo, d. h. an welchen Positionen die Doppelbindungen in den Acylresten der Triglyceride sitzen.

Zwei beliebte weihnachtliche Festessen sind der Weihnachtskarpfen und die Weihnachtsgans. Beide sind nicht gerade fettarm. Bei der Zubereitung des Karpfens bleibt etwas von seinem Fett im Sud (Karpfen blau) oder in der Pfanne bzw. Friteuse (Karpfen fränkisch). Beides ist zu vernachlässigen. Beim Braten der Gans fällt allerdings ein hoher prozentualer Teil als Gänseschmalz an, das abgetrennt, abgekühlt und abgeschmeckt aus kulinarischer Sicht einen vorzüglichen Brotaufstrich ergibt, nach Meinung der Gesundheitsapostel aus diätetischen Gründen jedoch besser entsorgt werden sollte.

Doch fragen wir uns einmal, wie das köstliche Gänseschmalz im Vergleich mit den anderen Landtierfetten auf der Basis der mittleren Fettsäurezusammensetzung einzustufen ist.

Da Rindertalg heute bevorzugt in der Backwarenindustrie und zur Margarineherstellung sowie zu technischen Zwecken Verwendung findet und der Hammeltalg wegen seines unangenehmen Geruchs kaum noch zu Speisezwecken gebraucht wird, beschränken wir uns auf den Vergleich von Schweineschmalz mit Gänseschmalz. Der Prozentsatz der "ungesunden" gesättigten Fettsäuren liegt für Schweineschmalz um 40,5%, für Gänseschmalz um 27%. Beim Prozentsatz der "gesunden" ungesättigten Fettsäuren sind die Verhältnisse umgekehrt, für Schweineschmalz 59% und für Gänseschmalz 72,5%. Übrigens, der Name "Schmalz" kommt von "schmelzen", und "Talg" (engl. "tallow") bedeutet ursprünglich "fest", hier im engeren Sinn das fest gewordene Fett; unzutreffend ist die Ableitung von "Taglicht", obwohl man Talg früher auch zur Raumbeleuchtung eingesetzt hat.

Zwischenbilanz: Gänseschmalz ist viel gesünder als Schweineschmalz (das seinerseits gesünder ist als Hammeltag und Rindertalg). Rindertalg und Hammeltalg sind bei Raumtemperatur fest und von spröder Konsistenz. Schweineschmalz ist salbenartig bis körnig, und Gänseschmalz wird erst bei Gefrierschranktemperaturen fest. Kann man auch daraus eine gewisse Gütebeurteilung ableiten, was die alimentäre Bekömmlichkeit betrifft? Fest steht jedenfalls, dass die Schmelztemperatur eines Fettes mit steigender Ungesättigtheit sinkt. Dieser Aspekt gewinnt an Bedeutung, wenn wir an die Fischöle denken, die heute zur Prophylaxe bei Arteriosklerose, Bluthochdruck, Thrombozytenaggregation und zur Senkung der Triglyceridspiegel angepriesen werden. Darüber soll gleich noch nachgedacht werden. Zuvor ein Vergleich von Gänseschmalz mit dem hoch gelobten Olivenöl .

Olivenöl-Fetischisten finden heute in den Supermärkten und Feinkostläden schon an die zwei Dutzend Produkte dieser mediterranen Köstlichkeit, warm gepresst, kalt gepresst, jungfräulich, grün oder gelb, teuer bis sehr teuer. Die Vierge-Sorten werden in Abhängigkeit von ihren sensorischen Eigenschaften und dem Gehalt an freien Fettsäuren eingestuft in Extra vierge, Surfine vierge, Fine vierge und Courante. Mich kümmert das wenig, ich bevorzuge preiswertes Safloröl (Distelöl) oder Sonnenblumenöl, und bei "Courante" muss ich an Johann Sebastian Bachs Französische und Englische Suiten denken.

Vergleichen wir das Gänseschmalz mit dem Olivenöl hinsichtlich des prozentualen Gesamtgehaltes an gesättigten und ungesättigten Fettsäuren, so scheint das Olivenöl mit etwa 80% auf den ersten Blick besser da zu stehen als das Gänseschmalz mit etwa 70%. Doch schauen wir uns die Zusammensetzung der ungesättigten Fettsäuren an, so hat die einfach ungesättigte Ölsäure, die zur Familie der ω-9-Säuren gehört, im Olivenöl einen Anteil von 71%, im Gänseschmalz nur von 55%, während die wertvollen mehrfach ungesättigten Fettsäuren im Gänseschmalz einen höheren Anteil haben als im Olivenöl. Also schneidet Gänseschmalz auch bei diesem Vergleich gut ab.

Bei den mehrfach ungesättigten Fettsäuren spielt das Verhältnis von ω-3- zu ω-6-Säuren, das optimal 1 zu 5 betragen sollte, eine erste Geige. Damit sind wir nicht wieder bei der Musik angekommen, sondern beim Thema Fischöle Gemeint sind die fetten Öle, die in der Muskulatur von Kaltwasserfischen verteilt sind, nicht der Vitamin-A- und Vitamin-D-versaute Lebertran, der den Kindern unserer alten Eltern das Leben schwer machte. Diese zwei fettlöslichen Vitamine sind bekanntlich echt giftig, wenn sie überdosiert werden. Bekannt ist, dass zwei Polarforscher an Vitamin-A- und D-Hypervitaminosen gestorben sind, nachdem sie mehrmals Eisbärenleber – köstlich gebraten nach Großmutterart – gegessen hatten. Also: Fischöle nicht mit Lebertran verwechseln!

Die Fischöle enthalten reichlich essenzielle Fettsäuren Was versteht man darunter? Es sind mehrfach ungesättigte Fettsäuren (Poly Unsaturated Fatty Acids, PUFAs) wie Linolsäure, Linolensäure oder Arachidonsäure, die vom menschlichen Körper nicht oder nicht in ausreichender Menge produziert werden können, aber für den Stoffwechsel (u.a. Prostaglandine, s.u.) und das Wachstum (Zellmembran, s.u.) erforderlich sind. Bringen wir etwas Klarheit in die Begriffe ω-9, ω-6 und ω-3 und fragen uns: Was davon können Pflanzen, was können Tiere und das Menschentier produzieren oder umbauen? Eine Fettsäure hat ein einen Carboxylatkopf und ein Methylschwanzende. Was als Kopf und was als Schwanz bezeichnet wird, ist reine Willkür, doch hat das Folgen für die Nomenklatur: Das Schwanzende wird mit Omega, dem letzten Buchstaben des griechischen Alphabets, bezeichnet. Nach der Position der ersten Doppelbindung, gezählt vom Schwanzende her, werden die ungesättigten Fettsäuren unterteilt in

  • ω-9-Säuren (z. B. Ölsäure),
  • ω-6-Säuren mit dem prominenten Beispiel der Arachidonsäure (AA) und
  • ω-3-Säuren, zu denen die EPA und die DHA zählen (s.u.).

Auf die Gefahr hin, dass dieses Glossay zu einem nüchternen Essay mutiert, sollen hier zum besseren Verständnis ein paar Formeln präsentiert werden (Tab. 1).

Die nativen ungesättigten Fettsäuren weisen zwei Besonderheiten auf: Die Doppelbindungen sind

  • nicht konjugiert (sondern isoliert), und sie sind
  • cis -konfiguriert.

Zwischen einer Doppelbindung und der nächsten ist jeweils eine CH2 -Gruppe eingeschoben. Man spricht von einem Divinylmethan-Rhythmus bzw. von Isolenfettsäuren. Der menschliche und der tierische Organismus sind nicht in der Lage, eine ungesättigte Fettsäure vom Methylende her bis zur ersten Doppelbindung zu dehydrieren, d. h. in diesem Bereich eine weitere Doppelbindung einzuführen, um von der ω-9-Reihe zur ω-6-Reihe oder von der ω-6-Reihe zur ω-3-Reihe zu gelangen. Bestimmte, im Phytoplankton angesiedelte Meeresalgen können dies! Tiere sind dagegen fähig,

  • mit Hilfe des Enzyms Desaturase weitere Doppelbindungen zwischen einer bereits vorhandenen Doppelbindung und dem Carboxylatkopf einzuführen und
  • die Kohlenstoffkette durch Einwirkung einer Elongase um zwei C-Atome zu verlängern.

Auf diese Weise kann z. B. aus Linolsäure über γ-Linolensäure und Eicosatriensäure die AA gebildet werden.

Bei der ω-3-Familie und der ω-6-Familie handelt es sich um metabolisch zu trennende und funktionell unterschiedliche Substrate:

  • Mitglieder der ω-6-Familie dienen als Edukte für die Biosynthese von Prostanoiden und Leukotrienen.
  • Die Vertreter der ω-3-Familie sind wichtige Komponenten von Phospholipiden in der Zellmembran: Je höher ihr Anteil in den Phospholipiden ist, desto flexibler und belastbarer ist die Membran. Zudem senken ω-3-Fettsäuren beim Menschen, wenn sie in ausreichender Dosis über einen längeren Zeitraum gegeben werden, die Triglycerid- und LDL-Spiegel im Blut.

Samen oder Blätter einiger höherer Pflanzen enthalten essenzielle Fettsäuren der ω-6-Familie, besonders die γ-Linolensäure. Die Einnahme des Samenöls der ruderal auf Schutthalden und an Bahndämmen wachsenden Nachtkerze (Oenothera biennis) oder der Schwarzen Johannisbeere (Ribes nigrum) sowie der Verzehr der wieder entdeckten Salatpflanze Portulak (Portulaca oleracea) und des Boretschs (Borago officinalis) sollen kleine Wunder bewirken können.

Die Öle von Kaltwasserfischen, wie Makrele, Hering, Lachs und Thunfisch, zeichnen sich durch den Gehalt von Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) aus, die zur Familie der ω-3-Fettsäuren gehören. Und warum hat der liebe Gott sie gerade in die Öle der Kaltwasserfische so reichlich eingebaut? Damit die im Körper verteilten Öle bei tiefen Temperaturen nicht erstarren und die Fische somit beweglich bleiben!

Kaltwasserfische sind allerdings Tiere, und Tiere können doch keine ω-3-Säuren produzieren! Woher also der hohe Gehalt an EPA und DHA? Über die Nahrungskette! Große Fische fressen sprichwörtlich nicht nur kleine Fische sondern auch marine Kleintiere, die sich ihrerseits von Mikroalgen des Planktons ernähren. Und diese produzieren hauptsächlich die mit 22 C-Atomen längste und mit sechs Doppelbindungen am stärksten ungesättigte Fettsäure DHA. Seit kurzem kann man sie aus einem speziellen Stamm der Mikroalge Ulkenia gewinnen, der umweltschonend in Fermentern gezüchtet wird.

  • Je höher die Jodzahl desto bekömmlicher das Fett.
  • Gänseschmalz verschmähen ist eine Sünde.
  • Kaltwasserfische essen ist gesundheitsfördernd. Doch müsste man das täglich und pfundweise tun.
  • Vegetarier und Fischmahlzeiten verweigernde Schwaben können täglich ein bis zwei Kapseln Algenöl mit 100 mg DHA einzuwerfen.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. rer. nat. Dr. h.c. Hermann J. Roth, Friedrich-Naumann-Str. 33, 76187 Karlsruhe, www.h-roth-kunst.de
Tab. 1: Die wichtigsten ungesättigten Fettsäuren in der menschlichen Nahrung, gegliedert nach der Anzahl der C-Atome und der Doppelbindungen sowie der Position der ersten Doppelbindung ab Schwanzende ( ω)
Bezeichnung
Strukturformel
Kürzel [Familie]
Ölsäure
18:1 (9)
[ω-9]
Linolsäure (LA)
18:2 (9,12)
[ω-6]
γ-Linolensäure (GLA)
18:3 (6,9,12)
[ω-6]
Arachidonsäure (AA)
20:4 (5,8,11,14)
[ω-6]
α-Linolensäure (ALA)
18:3 (9,12,15)
[ω-3]
Eicosapentaensäure (EPA)
20:5 (5,8,11,14,17)
[ω-3]
Docosapentaensäure (DPA)
22:5 (7,10,13,16,19)
[ω-3]
Docosahexaensäure (DHA)
22:6 (4,7,10,13,16,19)
[ω-3]

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