Offene Fragen

Das GKV-WSG geht seinen parlamentarischen Weg, doch sind längst nicht alle Fragen geklärt. Bei vielen Regelungen zu Arzneimitteln wird es nach Inkrafttreten erst richtig spannend, auch wenn es die Apotheken nur indirekt betrifft. Künftig soll das IQWiG für jedes erstmals verordnungsfähige und für andere bedeutende Arzneimittel eine Kosten-Nutzen-Bewertung erstellen. Damit wird – von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung als "vierte Hürde" für die Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln etabliert. Doch bleibt offen, wie hoch die Hürde wird. Entsteht eine Positivliste durch die Hintertür? Oder bleibt es bei vereinzelten Verordnungsausschlüssen?

Die Entscheidung bleibt beim Gemeinsamen Bundesausschuss, aber das IQWiG leistet die Vorarbeiten. Dessen Bewertungsmaßstäbe leiden bisher unter einem Widerspruch: Einerseits soll patientenbezogener Nutzen bewertet werden, andererseits hat sich das Institut "harte" Kriterien der evidenzbasierten Medizin auferlegt. Doch können "weiche" patientenorientierte Größen bei realen Versorgungsbedingungen definitionsgemäß nicht doppelblind unter künstlichen Studienbedingungen ermittelt werden. Daher fordern die neuen Regeln, auch die Verbesserung des Gesundheitszustandes und der Lebensqualität als Ergebnisgrößen gelten zu lassen und internationale Standards der Gesundheitsökonomie zu berücksichtigen. Für Patienten und Industrie gleichermaßen wäre dies eine Wendung zum Guten, weil die Lebenswirklichkeit kranker Menschen über die doppelblinde Studienwelt hinausgeht. Was das IQWiG daraus machen wird, bleibt hingegen spannend. Wird die Bedeutung des Gesetzes so zu einer Frage der IQWiG-Satzung?

Doch auch wenn Deutschland wie manche anderen Länder zu einer moderaten vierten Hürde finden sollte, bleibt der Nutzen der Nutzenbewertung fraglich. Anderswo sind die Arzneimittelkosten dadurch nicht gesunken. Umso interessanter wird eine weitere Baustelle: Künftig sollen Erstattungsgrenzen für einen Teil der Arzneimittel ohne Festbetrag mit "angemessener" Berücksichtigung von Entwicklungskosten festgelegt werden. Das lässt viele Fragen offen, aber klar ist der schleichende Abschied vom lange gepflegten Prinzip der freien Preisbildung – und dies dank des großen Medienrummels um die großen Themen der Reform nahezu ohne öffentliche Aufmerksamkeit.

Thomas Müller-Bohn

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