Celesio/DocMorris – wie lange schaut Haniel noch zu?

Die Apotheken-Zeitschriften sind derzeit voll mit Berichten und Kommentaren über die "Ehe" zwischen Celesio/Gehe und DocMorris. Dabei gerät Celesio/Gehe zusehends unter Druck – nachfolgend ein Meinungsbeitrag.
Dass DocMorris direkt mit den Kunden des Schwesterunternehmens Gehe konkurriert, könnte sich als strategische Fehlentscheidung erweisen

Während Celesio-Chef Dr. Oesterle zunächst nur Umsatzverluste im "hohen einstelligen %-Bereich" vermutete (das klang nach maximal 8 %), berichten Apotheker, dass Außendienstler von Gehe inzwischen Einbußen von 20 % einräumen, während Markt-teilnehmer sogar davon ausgehen, dass die Einbußen inzwischen zumindest regional bei rund 30 % angekommen sein dürften.

Die Aktie von Celesio gerät parallel unter Druck. Die Goldgräberstimmung, die sich auf den um mehr als 7 % nach oben schießenden Aktienkurs am Tag der "Hochzeitsanzeige" im Lager Haniel/Celesio/Gehe breit machte, ist Ernüchterung gewichen. Schon wird gemunkelt, dass Haniel das Ganze inzwischen deutlich kritischer begleite.

Das eigentliche Problem bei Celesio/Gehe dürfte darin bestehen, dass vor dem "Aufgebot" wohl nicht geprüft wurde, ob sich da das richtige Pärchen traut, insbesondere, ob man zu zweit da weitermachen konnte, wo Däinghaus angefangen hatte. Denkt man in diese Richtung weiter, stellt man rasch fest, dass dieses Paar doch zu unterschiedlich ist und deshalb der "Freundeskreis" der Apotheker nun sukzessive flöten geht, ja gehen musste.

Als Däinghaus den deutschen Markt "angriff", brauchte er auf niemanden Rücksicht zu nehmen. Entsprechend aggressiv war sein Marktauftritt. Das ganze Konzept von DocMorris ist angelegt auf aggressiven Verdrängungs-wettbewerb. Jeder Apotheker weiß das.

Beim Gang nach Saarbrücken durfte Däinghaus auf Hecken-Schützenhilfe zählen. Der Betrieb dieser Apotheke dürfte für Däinghaus völlig untergeordnet in der strategischen Planung gewesen sein. Die mit diesem Paukenschlag für ihn verbundene Werbung für seinen Versandhandel hingegen war unbezahlbar. Däinghaus ist ein Marketing-Genie – das muss ihm der Neid einfach lassen. Zu diesem Marketing gehört, über eine Marken-Kooperation DocMorris-Apotheken in Deutschland in sein Netz einzubeziehen. Dass sein Versandhandel in Holland von den deutschen DocMorris-Apotheken profitiert, räumt Däinghaus freimütig ein.

Däinghaus als moderner Tom Sawyer?

Dabei folgte DocMorris – salopp formuliert – dem "Tom-Sawyer-Prinzip":

In Mark Twains berühmtem Roman "Huckleberry Finns Abenteuer" fordert Tante Polly Tom Sawyer auf, ihren Gartenzaun zu streichen. Der faule Tom setzt sich mit einem großen Eimer Farbe vor den Zaun und grübelt. Bald taucht der erste Junge auf mit der Bitte, eine Zaunlatte streichen zu dürfen. Tom kommt auf die glorreiche Idee, sich das von dem Jungen bezahlen zu lassen. Schließlich setzt er sich neben den Zaun und verkauft das Streichen-Dürfen mit dem Fazit, dass am Ende des Tages der gesamte Zaun gestrichen ist und Tom die Taschen voll hat.

Nichts anderes hat Däinghaus gerade hingelegt: Hätte Däinghaus noch vor Kurzem einen Apotheker aufgefordert, das Apotheken-A und den Namen der Apotheke abzumontieren und durch ein DocMorris-Schild zu ersetzen, im Inneren der Apotheke für DocMorris zu werben und auch noch im HV-Bereich mit den Preisen herunterzugehen, wäre er für verrückt erklärt worden. Da hätte niemand mit-gemacht.

Däinghaus hat es aber wie Tom Sawyer angestellt: Er hat die eigentlich unzumutbare Aufforderung auch noch mit einem orbitanten Entgelt versehen. Was etwas kostet, insbesondere wenn es viel kostet, erweckt den Eindruck, wertvoll zu sein. So gingen viele Apotheker Däinghaus auf die Leimrute. Dabei zeigt der mit ihm zu schließende Vertrag, dass es für Däinghaus völlig egal ist, ob die mit ihm kooperierende Apotheke unter dem Kooperationsvertrag wirtschaftlich leidet oder nicht. DocMorris macht schlicht und einfach Kasse – unabhängig vom wirtschaftlichen Erfolg der DocMorris-Apotheke. Das ist schon vom Ansatz her eine ungünstige Ausgangslage für seine Kooperationspartner. Daneben frühstückt der Monatsbeitrag mehr ab, als eine Doc-Morris-Apotheke nach statistischen Durchschnittszahlen als Werbeetat besitzt. Die Folgen sind fatal.

Geänderte Bedingungen für Celesio/Gehe

Die Situation hat sich nun aber sehr grundsätzlich geändert durch die Übernahme von DocMorris durch Celesio. Den ebenso aggressiven wie rücksichtslosen Marktauftritt konnte sich DocMorris leisten – Celesio/Gehe können es nicht. Gehe beliefert bundesweit nach eigenen Angaben rund 8500 Apotheken. "Gewinnt" Celesio eine Apotheke als DocMorris-Apotheke neu hinzu, ist die Reaktion der umliegenden Apotheken, die bislang von Gehe beliefert wurden, fast zwangsläufig: Sie kündigen Gehe nicht nur die Freundschaft, sondern auch den Belieferungsvertrag.

Immer mehr fragen sich die Gehe-Kunden, ob es sinnvoll ist, sich von jemandem beliefern zu lassen, der ausdrücklich ankündigt, bei Wegfall des Fremdbesitzverbotes Standorte nicht nur zu kaufen, sondern Neugründungen durchzuziehen. Und da ist die Formel denkbar einfach: Die Neugründung einer Apotheke auf mittlerem Niveau kostet durchschnittlich zwischen 250.000 und 300.000 Euro zuzüglich der Kosten der EDV. Das muss man im Markt durchschnittlich anlegen für den Kauf einer üblichen Apotheke der Umsatzgrößenklasse 1,5 Mio. Euro zzgl. Warenlager.

Beliefert Gehe erkennbar also eine Apotheke aus der Umsatzklasse 3 Mio. Euro, macht es Sinn, eine Neugründung dagegen zu setzen, weil die Neugründung an Kosten ungefähr soviel auslöst wie der Kauf der halben Apotheke. Dabei hat die Neugründung den Vorteil, dass die Inneneinrichtung auf dem neuesten Stand ist. Die Neugründung hat deshalb automatisch eine Chance, dem alteingesessenen Konkurrenten, der früher Gehe-Kunde war, mehr als 50 % abzunehmen. Das muss im Markt dazu führen, dass gerade die umsatzstarken Apotheken eine weitere Belieferung durch Gehe ablehnen, weil sie sich ansonsten die Konkurrenz selbst auf den Hals holen. Welcher Apotheker würde einem Konkurrenten seine Umsatzgröße verraten?

Und damit stellt sich automatisch die nächste kalkulatorische Frage:

Was ist wertvoller: Die Belieferung von ca. 8500 Apotheken oder das Vereinnahmen der Eintrittsgebühren (5000 Euro) und Monatspauschalen (1500 Euro) der DocMorris-Apotheken zzgl. der Belieferung von 8500 abzüglich "x" (x = Anzahl der Gehe dadurch verloren gehenden) Apotheken? Gehe weiß, wie viel mit 8500 Apotheken dort verdient wird und kann deshalb in dieser Gleichung, die nur eine Unbekannte hat, den Durchschnittsprofit mit einer Apotheke einsetzen, um die Gleichung mit Leben zu füllen.

Und noch etwas kommt hinzu, was die schon prekäre Lage für Gehe nicht verbessert: Wen sprach DocMorris an? Es waren entweder Apotheken, für die DocMorris der letzte Strohhalm war, oder "Innovative", die sich von dem DocMorris-Prinzip wirt-schaftlich etwas versprachen. Dabei hatte dieser Kreis der potenziellen Kooperationspartner nicht zwingend Angst vor DocMorris. Zu sehr hielten sich im Markt die Gerüchte, dass DocMorris unterkapitalisiert war, weshalb man ihm den Aufbau eines flächendeckenden Kettennetzes in Deutschland finanziell nicht zutraute, so sehr er darauf auch schielte. Wer zu 90 % über Joint-Venture-Capital fremdfinanziert ist, kann schon so gefährlich nicht sein, dachte man allenthalben. Das Eintreten in eine Doc-Morris-Kooperation war deshalb keine Liaison mit einem starken Feind von morgen.

"Kommen Sie zu uns, sonst..."

Ganz anders ist die Situation bei Gehe. Dort ist eine satte Kriegskasse durch den Verbund mit Celesio und Haniel gegeben. Die potenzielle Gefahr, beim Fallen des Fremdbesitzverbotes von dort direkt mit einer Konkurrenz-Neugründung überzogen zu werden, ist um ein Vielfaches höher als bei DocMorris alter Prägung. Das wird die Marktdurchdringung mit DocMorris-Apotheken in Deutschland natürlich verlangsamen. Die von dort angestrebte Kooperationsgröße von 500 Teilnehmern dürfte eher in den Sternen stehen. Selbst sie würde in der obigen Gleichung Celesio aber nicht in den positiven Bereich tragen können.

Unabhängig davon: Däinghaus fährt unter dem Celesio-Logo seine alte Strategie weiter. So schloss er seinen Vortrag auf der Euroforum Konferenz Apotheke am 22. Mai 2007 mit dem Satz: "Kommen Sie zu uns, sonst werden wir Ihr Nachbar!" Zuhörer mussten (und sollten?) dies als Drohung, ja Erpressung verstehen. Kann sich Celesio dieses Image leisten? Nein: Dem Markt bleibt als Alternative nämlich das Abstrafen durch Aufkündigen des Belieferungsvertrages. Diesem Risiko war DocMorris nicht ausgesetzt. Hat Celesio das unterschätzt?

Fazit

Celesio hat sich durch die Ehe mit DocMorris keinen Gefallen getan.

Absehbare wirtschaftliche Konsequenzen wurden eindeutig unterschätzt. Die Antwort, ob die Summe der alten Lieferverträge wertvoller ist als die Etablierung der DocMorris-Apotheken mit deutlich verringerten Lieferverträgen an andere Apotheken, werden primär die 8500 Apotheken geben. Sie werden mit den Füßen abstimmen. Und da wird das moderne Shareholder-Value zum Fluch für Celesio.

Die Kapital-Anleger, letztlich also Haniel und die Aktionäre, werden nicht zusehen, wenn der Kurs der Celesio-Aktie abstürzt. Tendenzen dazu hat die Aktie bereits heute. Nach dem euphorischen Hochkurs (55,02 Euro) am Tag der "Hochzeitsanzeige" (26. April 2007) stürzte die Aktie um fast 14 % auf 47,51 Euro (12. Juni 2007) ab. Sal. Oppenheim hat am 6. Juni 2007 die Aktie aus der "Buy"-Empfehlung herausgenommen und den "fairen Wert" der Aktie bei nur noch 44 Euro angesiedelt. Dahin ist der Kurs jetzt erkennbar auf dem Weg.

Daneben hat der unbedachte Einstieg von Celesio die unabhängigen Apotheker frühzeitig mobilisiert. Die Dynamik, die aktuell beispielsweise bei der Kooperation der "Partner-Apotheken" zu beobachten ist, geht auf nichts anderes zurück als eben diesen Schreckschuss von Celesio. Die "Partner-Apotheken", die sich ausgehend von Hamburg nach dem dortigen Modell regional zusammenschließen, werden vermutlich relativ rasch bundesweit 1000 Apotheken kooperativ verknüpfen. Alle diese Apotheken sind für Gehe automatisch verloren. Darüber hinaus aber werden Kooperationen mehr und mehr eine Marktmacht bilden, die einer Gehe-Kette in nichts nachsteht.

Der Wettbewerbsvorteil, der über die Gehe-Kette durch optimale Einkaufskonditionen bei der Industrie zukünftig gegen die "kleinen Apotheken" generiert werden soll, wird nicht mehr eintreten können, weil die Marktmacht anderer Kooperationen gegenüber der Industrie beim Einkauf die gleiche Höhe erreichen wird.

Für den unabhängigen Apotheker ist das sehr beruhigend. Die Prognose darf gewagt werden, dass Celesio wahlweise aus eigener Überlegung oder durch den Druck seitens Haniel und der Aktionäre spätestens zum Sommer 2008 das DocMorris-Konzept in der aktuellen Fassung aufgibt. Sinnvoll wär’s!.

Dr. Bernhard Bellinger (Rechtsanwalt / Steuerberater / Vereidigter Buchprüfer / Fachanwalt für Steuerrecht) Königsallee 1, 40212 Düsseldorf, E-Mail: bellinger@bellinger.de

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