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Vogelgrippe – die Informationsflut hat Deutschland erreicht (Außenansicht

Als sich in den achtziger Jahren die Zwischenfälle und Katastrophen bei der großtechnischen Nutzung der Kernenergie und Chemie häuften, waren diese von einer Informationspolitik begleitet, die darin bestand, gerade nur so viel zuzugeben und verlauten zu lassen, wie unbedingt notwendig...

Dies hat sich gründlich geändert. Welche Folgen die Vogelgrippe hat und wie gefährlich sie letztlich für den Menschen sein wird, weiß heute niemand. Und obwohl man nichts Genaues weiß, informiert man schon einmal: Das Max-Planck-Institut für Ornithologie informiert, das Friedrich-Loeffler- und das Robert Koch-Institut informieren, die WHO, die für Gesundheit, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zuständigen Länder- und Bundesminister informieren, natürlich auch die entsprechenden EU-Gremien, Ärztekammern, die gesundheitspolitischen Sprecher der Parteien, die untersuchenden Labors, Hygieniker, Virologen und viele mehr. Auch wenn nicht alle das Gleiche (und nicht alle die Wahrheit) sagen, alle nehmen an, dass das, was sie sagen, für uns Bürger zu wissen wichtig sei.

Der eine beruhigt mit dem Hinweis, Vogelgrippe ist eine Tierseuche wie Maul-und-Klauen-Seuche oder Schweinepest, und dass wir eben damit leben müssen, wie mit anderen Tierseuchen oder alltäglichen Gefahren auch, andere wiederum verkünden, dass das Pandemierisiko derzeit so hoch ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr, weswegen die Gesundheitsminister von Bund und Ländern vorsichtshalber beschlossen haben, die Arzneivorräte gegen Vogelgrippe beim Menschen massiv aufzustocken.

Ein ähnliches Bild vermittelt uns das Fernsehen. Hier Soldaten in (öffentlichkeitswirksamen) ABC-Schutzanzügen mit Gasmasken, dort die österreichische Gesundheitsministerin, die zur Beruhigung der Öffentlichkeit mit ihren europäischen Kollegen anlässlich einer Krisensitzung (medienwirksam) Hähnchen isst.

Dies alles macht der Öffentlichkeit eigentlich nur klar, dass die Aktionen der Experten und Politiker mehr ratlos als souverän sind, und dass für den Ernstfall weder genügend Impfstoffe noch ausreichende medizinische Versorgung, weder funktionierende Krisenpläne noch Kommunikationsstrategien vorhanden sind (worauf die EU - wie jetzt bekannt wurde - schon vor längerer Zeit die Bundesrepublik hingewiesen hat).

Doch von Ulla Schmidt wird uns immer wieder gesagt, dass die Experten derzeit nicht vom Auftreten einer Pandemie ausgehen, dass der Fall "unwahrscheinlich" sei. Unwahrscheinlich aber ist nicht unmöglich. In dem Wunsch, die Öffentlichkeit zu beruhigen, begehen Politiker wie Experten meist den Fehler, der Bevölkerung eine mögliche Katastrophe stets als vernachlässigbar kleine Wahrscheinlichkeit darzustellen. Klein mag die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sein, das Schadensausmaß ist sicher nicht klein.

Risikovergleiche sind zur Verdeutlichung einer Gefahrensituation eine nützliche Sache, aber man darf nicht Äpfel (weitgehend freiwillige Risiken) mit Birnen (unfreiwillige Risiken) vergleichen. Das Pandemierisiko mit dem Risiko zu vergleichen, im Straßenverkehr oder durch Blitzschlag umzukommen, ist auch deshalb unsinnig, weil das Risiko, an der Vogelgrippe zu sterben, derzeit statistisch kaum messbar ist. Die bisher weltweit aufgetretenen knapp hundert Todesfälle sollten daher eher den 20.000 Grippetoten (Bundesrepublik, 2004) als den Opfern des Alltags gegenübergestellt werden.

Aus der Sicht der Risikoforschung sind viele in der Bevölkerung herrschenden Ängste (nicht nur die vor einer befürchteten Pandemie) tatsächlich irrational, aber doch nicht, wie der Psychiater und Angstforscher Borwin Bandelow den Medien verrät, weil die Vogelgrippe "Urängste auslöse" und "wie eine biblische Plage" wirke, sondern weil die Menschen zutiefst verunsichert sind und den Voraussagen der Experten und der Politiker (mit Recht) nicht mehr trauen. Deshalb sind auch die teilweise panischen Reaktionen und Handlungen auf eine drohende Vogelgrippe (mit denen auch diesmal wieder beste Geschäfte gemacht werden) durchaus rational zu erklären.

Denn die Leute fragen sich, was wohl als nächstes aus der Büchse der Pandora herauskommen wird. Zu viele Zwischenfälle und Katastrophen, laienhafte Fehleinschätzungen und bewusste Fehlinformationen hat es gegeben, als dass Skepsis nicht auch gerechtfertigt wäre. Und wenn die Leute auch noch anfangen, an die betrügerischen Machenschaften in der Lebensmittelindustrie zu denken, dann darf man nicht erstaunt sein, dass viele sich mit einigem Unbehagen die Frage stellen, wie sich wohl die Verantwortlichen in Landwirtschaft, Industrie und Politik verhalten werden, wenn es tatsächlich zu einer Pandemie kommt.

Informieren werden sie alle. Angst aber wird nicht durch Information überwunden, sondern durch Vertrauen zu den Informanten. Und mit diesem Vertrauen ist es, wie wir alle wissen, nicht mehr weit her.

Prof. Dr. med. Klaus Heilmann

Prof. Dr. med. Klaus Heilmann beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Risikoforschung, Krisenmanagement und Technikkommunikation. In der DAZ-Rubrik "Außenansicht" befasst sich Heilmann mit Themen der Pharmazie und Medizin aus Sicht eines Nicht-Pharmazeuten vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen.

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