Botanik

W. SchierMistel und Eichenmistel – Mistelkraut

Wer in der Pflanzenwelt weniger bewandert ist, könnte annehmen, dass es sich bei der Eichenmistel um eine Form der Mistel handelt. Die Eichenmistel (Loran–thus europaeus) stellt jedoch eine eigene botanische Spezies dar und gehört einer anderen Gattung und einer anderen Familie an als die Mistel (Viscum album); gemeinsam ist ihnen die halbparasitische Lebensweise auf Gehölzen. Verfälschungen der Arzneidroge Mistelkraut (Visci herba) mit der Eichenmistel können vorkommen, sind aber ziemlich leicht zu erkennen.

Die Mistel wurde früher teils in eine nach ihr benannte Familie (Viscaceae) gestellt, teils zusammen mit der Eichenmistel zu einer größeren Familie gezählt (Loranthaceae); nach neueren Erkenntnissen ist sie in die Familie der Leinblattgewächse (Santalaceae) einzuordnen [11], während Loranthus bei den Loranthaceae verbleibt. Beide Familien gehören zur Ordnung der Sandelholzartigen (Santalales).

Vorkommen der Arten und Unterarten Viscum album (Mistel, Abb. 1): in Europa bis Nordwestafrika, Asien. Man unterscheidet bei den europäischen Arten drei Unterarten:

  • ssp. album (Laubholz-Mistel): schmarotzt auf Laubbäumen, z. B. auf Populus (Abb. 7) und Malus (sehr selten auf Alnus, Carpinus, Quercus und Fraxinus; auf Fagus völlig fehlend).
  • ssp. abietis (Tannen-Mistel): nur auf Abies.
  • ssp. laxum (syn. austriacum, Kiefern-Mistel, Abb. 2): vor allem auf Pinus, seltener auf Picea, Larix und Cedrus.

Viscum cruciatum: in Italien und Südspanien auf verschiedenen Laubbäumen.

Loranthus europaeus (Eichenmistel oder Europäische Riemenblume, Abb. 3): in Südosteuropa, westlich bis Italien, nördlich bis ins östliche Mitteleuropa, in Kleinasien. Für Deutschland wird nur ein Standort in Sachsen angegeben (teils bei Dohna, teils bei Dohma; Dohna liegt westlich, Dohma südlich von Pirna). Wächst vor allem auf Quercus-Arten (besonders auf der Flaum-Eiche Qu. pubescens, seltener auf der Stiel-Eiche Qu. robur und der Trauben-Eiche Qu. petraea). Durch den kalten Februar 1929 sowie Abholzung und Überalterung gingen die früheren Bestände in Sachsen zugrunde – bis auf den Bestand in Dohma oder Dohna [16].

Geschichtliches Die Mistel wurde bereits von Theophrastos (3. Jh. v. Chr.) erstaunlich genau beschrieben. Auch Plinius d. Ä. (1. Jh. n. Chr.) beschrieb sie in seiner "Naturalis Historia". Bis heute ist nicht geklärt, ob bei den antiken Autoren Viscum oder Loranthus gemeint ist, denn beide Arten kommen im Mittelmeergebiet vor und wurden wahrscheinlich arzneilich verwendet.

Sicher ist, dass auch in Mitteleuropa die Eichenmistel früher als Arzneipflanze gebräuchlich war und ihre Bedeutung erst im 19. Jahrhundert eingebüßt hat. So schrieb Wiggers 1864 in seinem "Handbuch der Pharmacognosie" [15], dass die Eichenmistel in der letzten Zeit mehr und mehr von der Mistel verdrängt werde.

Morphologische Beschreibung Sowohl die Mistel als auch die Eichenmistel schmarotzen auf Bäumen und zapfen deren Leitungsbahnen an. Da sie aber in ihren Sprossen und Blättern Chlorophyll bilden und assimilieren, handelt es sich um Halbschmarotzer. Eine sehr ausführliche Beschreibung der Mistel findet sich im "Lehrbuch der Botanik" von Schmeil [10]. Hier ist das Wesentliche zusammengefasst:

Viscum album: Wuchs: mehr oder weniger kugelige Büsche, bis ca. 1 m im Durchmesser. Die Rinde der jüngeren Zweige ist gelbgrün und kahl ; die Mistelstengel bleiben immer grün, da die Mistel (im Unterschied zur Eichenmistel) keinerlei Kork bildet. Die Blätter sitzen gegenständig, sind 6 bis 10 cm lang, zungenförmig, immergrün und derb. Die zweihäusigen Blüten sind grünlich, gelb oder weißlich und stehen einzeln oder in kleinen Trugdolden in den Blattachseln. Die männlichen Blüten besitzen keine Filamente (Staubfäden), d. h. die Antheren sitzen direkt den Perigonabschnitten auf. Den weiblichen Blüten fehlt – im Gegensatz zu Loranthus – ein Griffel, d. h. die Narbe sitzt direkt dem Fruchtknoten auf.

Blütezeit ist März bis April. Die Früchte sind erbsengroße weiße oder gelbliche Scheinbeeren (Blütenachse ist an der Fruchtbildung beteiligt) mit schleimig-klebrigem Fruchtfleisch. Sie reifen im September bis Oktober und bleiben lange haften.

Loranthus europaeus: Der Wuchs ist ebenfalls buschig, der Durchmesser beträgt aber bis 120 cm. Die mit einer Korkhülle umkleideten Zweige sind dunkelbraun. Die Blätter sind ebenfalls gegenständig, aber kurz gestielt, sommergrün, lanzettlich bis eiförmig länglich, in der Form stark variierend, zuweilen spatelig. Die Blüten stehen in endständigen lockeren Ähren. Die Blütezeit ist Mai bis Juni. Die Früchte sind gelbliche Scheinfrüchte und knapp erbsengroß.

Anatomische Merkmale Mistel und Eichenmistel sind, wenn sie als Ganz- oder Schnittdroge vorliegen, leicht voneinander zu unterscheiden. Eine Verwechslung könnte in solchen Fällen lediglich aufgrund der ähnlichen deutschen Namen unterlaufen. Anders sieht es allerdings aus, wenn die Droge in Pulverform vorliegt. Hier empfiehlt sich zur sicheren Identifizierung eine mikroskopische Untersuchung. Im Parenchym der Rinde und der Blätter von Viscum album sind zahlreiche Calciumoxalat-Drusen zu erkennen (gemessene Durchmesser: 17–42 µm), mit oft charakteristisch dunklem, unscharf begrenztem Zentrum (Abb. 5). Loranthus hat dagegen hat keine Drusen, jedoch kommen in Kristallkammerzellen (Steinzellbegleiter) Einzelkristalle von Oxalat vor. Für gepulverte Viscum-Droge sind frei liegende Calciumoxalat-Drusen charakteristisch.

Bei Viscum album sind die Schließzellen, die die parazytischen Spaltöffnungen umgeben, und Teile der benachbarten Nebenzellen deutlich eingesenkt und deshalb gut zu erkennen. Bei Loranthus hingegen sind die Spaltöffnungen nur gering eingesenkt und fallen deshalb nicht auf (Abb. 6).

Besonders charakteristisch sind bei Viscum die papillösen Epidermiszellen am Blatt und besonders am Stengel (Abb. 5). Derartige Papillenstrukturen lassen sich bei Loranthus nicht finden; allenfalls sind vereinzelte Epidermiszellen etwas vorgewölbt. Speziell in solchen Bereichen fällt dann zwar auf, dass auch die Kutikula bei der Eichenmistel relativ dick ist (bis 8 µm), jedoch bei weitem nicht die Stärke wie bei Viscum erreicht (15–17 µm, vgl. Abb. 5).

Ein weiteres charakteristisches Pulvermerkmal erkennt man im mikroskopischen Bild, wenn man kleine Blattstückchen in Aufsicht betrachtet. Bei Viscum lassen sich zahlreiche gelbe, in den Epidermiszellen lokalisierte Lipidtropfen beobachten. Diese fehlen bei Loranthus. Dort treten allerdings in den Mesophyllzellen zahlreiche grüne Tröpfchen von unterschiedlicher Größe (max. 12,5 µm Durchmesser) auf, die aber in der Blattaufsicht nicht auffallen.

Im Pulver der Mistel darf kein Kork nachweisbar sein, da Viscum keinen Kork bildet. Hingegen sind die Stengel von Loranthus mit einem Korkabschlussgewebe überzogen.  

Danksagung:

Der Autor dankt ganz besonders Herrn Privatdozent Dr. Wulf Schultze, Lehrstuhl Pharmazeutische Biologie und Mikrobiologie der Universität Hamburg, für die mühsame Anfertigung der mikroskopischen Aufnahmen, außerdem Frau Böhm von der Stadtbibliothek Bad Sachsa für die Beschaffung der Literatur.

Anmerkung: Die mikroskopischen Bilder wurden mit einem Mikroskop angefertigt, das mit einer Einrichtung zum Differentiellen Interferenzkontrast nach Nomarski ausgerüstet war.

Die Mistel braucht man einem Apotheker nicht vorzustellen – aber kennen Sie auch die Eichenmistel? Sie ist in Deutschland äußerst selten, wächst wie die Mistel als Halbparasit auf Bäumen, hat jedoch sommergrüne Blätter und würde mit der Mistel kaum verwechselt, wäre da nicht der ähnliche Name. Insofern ist bei Mistelkraut mit Verfälschungen zu rechnen. Die Identitätskontrolle der gepulverten Droge sollte mit einem hochwertigen Mikroskop erfolgen. Anhand mikroskopischer Fotografien zeigen wir Ihnen einige charakteristische Merkmale beider Drogen, die es erlauben, eine Verfälschung zu erkennen.

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