DAZ aktuell

Gesundheitsreform im Bundestag: Haften Apotheker für die 500 Millionen Euro?

BERLIN (hst). Am vergangenen Freitag hat sich erstmalig der Bundesrat mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) befasst und mehr als hundert Änderungen vorgeschlagen, darunter auch zu einigen für die Arzneimittelversorgung der Versicherten durch Apotheken wichtigen Regelungen. Insbesondere soll nach dem Willen des Bundesrates das bislang geltende Festaufschlagssystem bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nicht durch ein Höchstaufschlagssystem ersetzt werden. Auch soll ein teilweiser oder vollständiger Verzicht auf die Zuzahlung nicht ermöglicht werden. Freilich sind die Vorschläge damit noch nicht endgültig beschlossen, sondern müssen noch vom Bundestag in den weiteren Beratungen übernommen werden, um wirksam zu werden. Nachfolgend dokumentiert die DAZ die wesentlichen Beschlüsse.

Erstattungshöchstbetrag Bislang sieht der Gesetzentwurf die Festsetzung von Erstattungshöchstbeträgen für nicht festbetragsfähige Arzneimittel auf Basis einer Kosten-Nutzen-Bewertung oder alternativ im Einvernehmen mit dem pharmazeutischen Unternehmer vor. Der Bundesrat fordert, dass die Krankenkassen den Erstattungshöchstbetrag nur im Einvernehmen mit dem jeweiligen pharmazeutischen Unternehmer festsetzen können. Kommt eine Einigung nicht zustande, soll das Bundesgesundheitsministerium den Erstattungshöchstbetrag einvernehmlich mit dem Bundeswirtschaftsministerium festsetzen. Für Arzneimittel, bei denen die Kosten-Nutzen-Bewertung eine Kosteneffektivität ergeben hat, sollen keine Erstattungshöchstbeträge festgesetzt werden können. Liegt der Preis höher als der Erstattungshöchstbetrag, sollen wie bei Festbeträgen die Versicherten die Mehrkosten tragen.

Insgesamt äußert sich der Bundesrat besorgt, dass sich die vorgesehenen Erstattungshöchstgrenzen, die Kosten-Nutzen-Bewertung und die Verordnung spezialisierter Arzneimittel nur nach vorheriger Einholung einer Zweitmeinung negativ auf den Forschungs- und Produktionsstandort Deutschland auswirken könnten.

Hilfsmittelversorgung Hier setzt sich der Bundesrat für den Erhalt der mittelständischen Strukturen und damit der wohnortnahen Versorgung der Versicherten ein. Die Konzentration der Hilfsmittelversorgung auf wenige Vertragspartner der Krankenkassen soll daher ersatzlos gestrichen werden. Stattdessen werden Festbeträge und ermittelte Preise als Leistungsobergrenzen vorgeschlagen. Mehrkosten sollen auch hier die Versicherten selbst tragen.

Kosten-Nutzen-Bewertung Die Kosten-Nutzen-Bewertung soll nach den Vorstellungen des Bundesrates auf erstmalig verordnungsfähige Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen sowie andere Arzneimittel mit Jahrestherapiekosten von mehr als 20.000 Euro beschränkt werden. Auch soll bei der Bewertung die Verbesserung der Lebensqualität deutlich an Bedeutung gewinnen, vor allem durch weniger Nebenwirkungen, die Verkürzung der Krankheitsdauer oder eine Verlängerung der Lebensdauer. Auch die Angemessenheit und Zumutbarkeit der Kostenübernahme durch die Versichertengemeinschaft sollen stärker in die Bewertung eingehen. Die Beteiligung der betroffenen Kreise soll ausgebaut werden; auch ein Antragsrecht des pharmazeutischen Unternehmers auf Neubewertung bei Vorliegen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse ist vorgesehen.

Wettbewerbsrecht für Krankenkassen Nach den Vorstellungen des Bundesrates soll für Krankenkassen auch das Wettbewerbsrecht gelten, insbesondere das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb und das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Angesichts der zu erwartenden Fusionen der Kassen und der damit verbundenen Bildung von Monopolen und Oligopolen sowie der erweiterten Befugnisse zum Abschluss von Verträgen mit Leistungserbringern hält der Bundesrat dies für unerlässlich, um eine zu starke Selektion auf Seiten der Leistungserbringer zu vermeiden. Der Bundesrat hält dies auch zum Schutz der Krankenkassen vor Monopolen auf Seiten der Leistungserbringer für geboten.

An anderer Stelle der Beschlüsse spricht sich der Bundesrat allerdings dafür aus, das Wettbewerbsrecht bei der Fusion von Krankenkassen nicht anzuwenden, da ansonsten Nachteile für kleine und mittlere Kassen drohen könnten.

Verordnung mit Zweitmeinung Das Verfahren zur Einholung einer Zweitmeinung bei der Verordnung von Arzneimitteln mit Wirkstoffen, bei denen aufgrund ihrer besonderen Wirkungsweise zur Verbesserung der Qualität ihrer Anwendung und der Patientensicherheit sowie des Therapieerfolgs besondere Fachkenntnisse erforderlich sind, die über das Übliche hinausgehen, soll nach den Vorschlägen des Bundesrates auf solche Arzneimittel beschränkt werden, die Jahrestherapiekosten von mehr als 20.000 Euro erwarten lassen. Ferner sollen Verordnungen dieser Arzneimittel auch dann wirksam werden, wenn die Zweitmeinung nicht innerhalb von zehn Tagen eingeholt werden kann. Eine Ausnahme gilt lediglich dann, wenn die Einholung der Zweitmeinung an der Mitwirkung der Patienten scheitert.

Apothekenbeteiligung an Arzneivereinbarungen Die Landesapothekerverbände sollen in die Arzneimittelvereinbarungen nach § 84 Absatz 1 SGB V einbezogen werden können. Der Bundesrat erhofft sich durch die Arzneimittelauswahl durch die Apotheken eine bessere Erreichung von Wirtschaftlichkeitszielen. Regelungen, welche Auswirkungen die Nichterreichung der Wirtschaftlichkeitsziele für die Apotheken hätte, finden sich in den Vorschlägen nicht.

Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung Hier schlägt der Bundesrat die Streichung der Regelungen vor, die die Umstellung auf Höchstzuschläge für verschreibungspflichtige Arzneimittel betreffen. Auch die entsprechenden Änderungen im Arzneimittelgesetz und in der Arzneimittelpreisverordnung sollen nach dem Willen des Bundesrates ersatzlos entfallen. Gestrichen werden soll auch die Regelung im Gesetzentwurf, dass Apotheken teilweise auf die Zuzahlung der Versicherten verzichten können. Der Bundesrat sieht in einer derartigen Regelung das Risiko von Fehlsteuerungen zugunsten höherpreisiger Arzneimittel. Gestrichen werden soll nach den Beschlüssen des Bundesrates auch die Möglichkeit, dass die Krankenkassen die Versorgung von Arztpraxen mit Arzneimitteln, die ausschließlich in der Praxis angewandt werden, mit einzelnen Apotheken vereinbaren können.

Ferner soll die Regelung entfallen, dass vertraglich vereinbarte Preise unterschritten werden können. Der Bundesrat hält eine derartige Regelung mit einem Vertragssystem, das die Arzneimittelversorgung auf Landes- und Bundesebene flächendeckend und wirtschaftlich sicherstellen soll, für unvereinbar. Insbesondere sollen sich Kassen nicht allein aufgrund ihrer Größe Vorteile im Wettbewerb verschaffen können.

Apothekenrabatt Dass der Einsparbeitrag der Apotheken heftig umstritten und für Unbeteiligte in seiner Komplexizität und seinen Auswirkungen kaum nachvollziehbar ist, schlägt sich auch in den Bundesratsbeschlüssen nieder. Der Apothekenabschlag für verschreibungspflichtige Arzneimittel soll von derzeit 2,00 Euro auf 2,30 Euro angehoben werden. Dies würde die

Apotheken zukünftig jährlich mit rund 165 Mio. Euro belasten. Werden in den ersten zwölf Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes keine Einsparungen in Höhe von 500 Millionen Euro in der Arzneimittelversorgung erzielt, ist der Abschlag der Apotheken einmalig für 2009 ohne Wirkung für die Folgejahre entsprechend zu erhöhen. Dies bedeutet im Klartext, dass die Apotheken wohl nach wie vor damit rechnen müssen, mit bis zu 500 Mio. Euro in 2009 zusätzlich belastet zu werden, wenn die vorgesehenen Einsparungen im Arzneimittelbereich nicht erreicht werden.

Konkretisiert hat der Bundesrat die Regelungen, die bei der Ermittlung der Einsparungen zu berücksichtigen sind. Genannt werden:

  • Arzneimittelvereinbarungen der Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen nach § 84 Absatz 1 SGB V, nach Vorstellung des Bundesrates mit Einbindung der Apotheken zur Verbesserung der Umsetzung,
  • Vereinbarungen zur Abgabe preisgünstiger Arzneimittel nach § 129 SGB, – Vereinbarungen zu Einsparungen im Rahmen der Integrierten Versorgung nach § 140b SGB V,
  • Einsparungen bei den Arzneimittelausgaben infolge von Preissenkungen der Hersteller zur Anpassung an die Zuzahlungsbefreiungen nach § 31 SGB V,
  • Rabattvereinbarungen zwischen Krankenkassen und Herstellern oder Apothekerverbänden und Herstellern nach § 130a Absatz 8 SGB V.

In der Begründung verweist der Bundesrat zu Recht darauf, dass die einmalige Einsparung von 500 Mio. Euro nicht allein aus der Vergütung der Apotheken erzielt werden kann, sondern nur aus der Arzneimittelversorgung insgesamt, weil die Erzielung der Einsparungen wesentlich von der Verhandlungsbereitschaft Dritter abhängt. Daher müssten auch Einsparungen aus bestehenden Regelungen in die Berechnungen einbezogen werden. Es findet sich jedoch keine Regelung, die die anderen Leistungserbringer ebenfalls in Haftung nimmt.

Demnach bleibt es nach der vorgeschlagenen Formulierung bislang bei der Haftung der Apotheken in Höhe von bis zu 500 Mio. Euro einmalig im Jahr 2009.

Herstellerrabatte Der Bundesrat hat einen Prüfauftrag erteilt, ob die nach § 130a Absatz 8 abzuschließenden Rabattverträge mit den Zwangsrabatten der Hersteller ("Generikarabatt" von 10% bei wirkstoffgleichen Arzneimitteln und 6% bei festbetragsfreien Arzneimitteln) im Konflikt stehen. Ferner lässt der Bundesrat prüfen, ob die Kumulation der Herstellerrabatte bei Arzneimitteln mit patentfreien Wirkstoffen ohne Festbetrag auf 16% gerechtfertigt ist. Der Bundesrat sieht hier eine überproportionale Belastung mittelständischer Unternehmen.

Rabattverträge der Apotheken mit Herstellern Der Bundesrat schlägt vor, dass nicht einzelne Apotheken, sondern die Landesapothekerverbände flächendeckende Rabattverträge mit Herstellern schließen sollen. Die Verpflichtung der Apotheken, Rabatte abzüglich 15% des Rabattbetrages, höchstens 15 Euro, an die Krankenkassen weiterzuleiten, bleibt bestehen.

Integrierte Versorgung Die Organisationen, die direkt an Integrationsverträgen beteiligt werden können, soll um Dienstleistungsgesellschaften, die eine Integrierte Versorgung der Versicherten durch berechtigte Leistungserbringer anbieten, und Kassenärztliche Vereinigungen erweitert werden. Nach vorläufiger Einschätzung könnten diese Dienstleistungsgesellschaften auch Apothekenleistungen in ihr Leistungsangebot einbinden.

Verordnungsdaten Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Verordnungsdaten nur noch für den Bereich einer Kassenärztlichen Vereinigung oder eine größere Region an die Arzneimittelhersteller und andere interessierte Kreise weitergegeben werden dürfen. Hierdurch sollen die Pharmaberater auf ihre ursprüngliche Aufgabe der Information des Arztes zurückgeführt werden. Diese Regelung geht nach Meinung des Bundesrates über die im Sommer vereinbarten Eckpunkte hinaus. Der Bundesrat hält die Vorgabe, dass entsprechend dem Datenschutzgesetz einzelne Ärzte oder Apotheken anhand der Daten nicht identifizierbar sein dürfen, für ausreichend.

Auseinzelung aus Bulkware Der Bundesrat spricht sich gegen die Auseinzelung aus Bulkware (Großpackungen) aus. Das Vorhaben, das Inverkehrbringen von so genannter Bulk- oder Schüttware in größerem Ausmaß wieder zu ermöglichen, stelle, so der Bundesrat, einen problematischen Rückschritt für die Patientensicherheit dar. Die "Verordnung über therapiegerechte Packungsgrößen", durch die heute wissenschaftlich fundierten Therapiezyklen Rechnung getragen werde, würde aus – nicht belegten – Kostendämpfungszielen unterlaufen.

Weiterverwendung von Betäubungsmitteln Der Bundesrat lehnt die im Gesetzentwurf vorgesehene erneute Verwendung nicht mehr benötigter Betäubungsmitteln durch den Arzt für andere Patienten ab. Zur Begründung heißt es, dass durch eine solche Regelung der Kern des Betäubungsmittelgesetzes, nämlich die lückenlose Verfolgbarkeit des Verbleibs von Betäubungsmitteln, in Frage gestellt werde.

Gesundheitsfonds im Mittelpunkt Die zahlreichen weiteren Änderungsvorschläge des Bundesrates beziehen sich auf nahezu alle Bereiche des Gesetzentwurfes. Umstritten sind dabei vor allem die grundsätzlichen Veränderungen des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung, unter anderem die Ausgestaltung des Gesundheitsfonds, die Entschuldung der Krankenkassen, die Festlegung eines Sanierungsbeitrags für den stationären Bereich, die Regelungen für belegärztliche Leistungen, die Neukonstruktion des Gemeinsamen Bundesausschusses und die Insolvenzfähigkeit der Krankenkassen. Die Länder haben zum einen rechtliche Bedenken, zum anderen aber auch Sorgen um die praktischen Auswirkungen der Reform. Viele Regelungen werden als zu bürokratisch kritisiert.

Für viel Verwirrung sorgte in den letzten Tagen eine Studie, wonach durch den Gesundheitsfonds auf die unionsgeführten Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen Zusatzbelastungen in Milliardenhöhe zukommen sollen. Um die Methodik dieser Studie ist ein heftiger Streit entbrannt. Sollten die Ergebnisse jedoch nicht zweifelsfrei widerlegt werden können, könnten die Ergebnisse das Aus der Reform oder zumindest eine deutliche Verzögerung zur Folge haben.

Am vergangenen Freitag hat sich erstmalig der Bundesrat mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) befasst und mehr als hundert Änderungen vorgeschlagen, darunter auch zu einigen Regelungen, die für die Arzneimittelversorgung der Versicherten durch Apotheken wichtig sind. Gibt es Anzeichen zur Hoffnung?

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