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Gelingt es auf den letzten Metern, die schlimmsten Widersprüche und Ungereimtheiten im "Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz" (AVWG) zu beseitigen? Für Mitte Februar ist die Verabschiedung im Bundestag geplant, am 10. März soll die letzte Hürde im Bundesrat genommen werden. Die Zeit ist knapp – zu knapp, um hoffen zu dürfen, dass die parlamentarischen Instanzen und die, die im Regierungsapparat Verantwortung tragen, seriös die direkten und indirekten Folgen der Vorhaben erläutern und prüfen könnten?

Immerhin, wenn letzte Meldungen nicht täuschen, es bewegt sich etwas. Konsterniert mussten wir zunächst zur Kenntnis nehmen, dass im Gesetzentwurf handelsübliche Einkaufsvorteile wie Bar- und Naturalrabatte offensichtlich mit handelsüblichen Skonti – die als Äquivalent für zügiges Bezahlen gewährt werden – in einen Topf geworfen werden. Jetzt soll – was in der Tat einzufordern war – klargestellt werden, dass handelsübliche Skonti unabhängig von etwaigen Rabattbeschränkungen gewährt werden dürfen.

Ebenso konsterniert mussten wir registrieren, das die Verfasser des AVWG einen Unterschied zwischen Einkaufsvergünstigungen in Form von Naturalrabatten (gehören in jedem Fall in die Schmuddelecke) oder Barrabatten (sollen mit Einschränkungen erlaubt sein) machen – obwohl doch beide Formen leicht ineinander umzurechnen und dadurch ökonomisch völlig gleichwertig sind. Um ein Beispiel zu nennen: 10 Prozent Naturalrabatt (z. B. 10+1) entspricht 9,09 Prozent Barrabatt. Dass gleichwohl an dem Unterschied in der "moralischen" Bewertung von Natural- und Barrabatten festgehalten werden soll, irritiert; es provoziert – unnötig? – Zweifel am Sachverstand derer, die sich die Gesetzesformulierungen ausgedacht haben.

Zweifel machen sich auch breit, ob die drastische Absenkung der Festbeträge "in das untere Preisdrittel" zu den politisch erwünschten Effekten führt. Dass die Hersteller auch diesmal bereitwillig auf breiter Front ihre Preise senken werden, ist keinesfalls sicher. Ihre Angst, damit auf eine unbeherrschbare Preisspirale nach unten zu geraten, ist groß und berechtigt. Bleiben die Preise vieler Arzneimittel aber über den abgesenkten Festbeträgen, führt das dazu, dass viele Patienten die Mehrkosten (Preisdifferenz zum Festbetrag) tragen müssen. Das wird – Politiker haben dafür eine Witterung – Ärger geben. Einziger Ausweg: Hersteller, die ihre Preise nicht auf das abgesenkte Festbetragsniveau herunterdrücken, müssten sich (nach § 31 Abs. 2 SGB V) bereit erklären, den Krankenkassen über Rabattverträge gegenzufinanzieren, wenn diese für ihre Versicherten die Mehrkosten übernehmen. Ob sich allerdings die bürokratischen Monster, die mit dem schier unüberschaubaren Geflecht von Regelungen von der Leine gelassen werden, überhaupt beherrschen lassen, ist sehr fraglich.

Verständlich ist deshalb, dass sich Koalitionspolitiker beider Lager fragen, ob es nicht Alternativen dazu gäbe. Die Idee, jenen Patienten die Selbstbeteiligung gänzlich zu erlassen, die sich mit besonders niedrigpreisigen Arzneimitteln begnügen, schürt freilich eine "Geiz-ist-geil"-Mentalität und Erwartungshaltung, die insbesondere für das Gesundheitswesen ein Irrweg ist. Eine prozentuale Zuzahlungskomponente, die (anders als derzeit) auch unter einem Arzneipreis von 50 Euro (5 Euro Selbstbeteiligung) noch Anreize für den Patienten erhält, am Preis interessiert zu sein, wäre sicher sinnvoller.

Hellhörig macht, dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung unter der Drohung der vorgesehenen Malusregelung (die den Arzt individuell und unmittelbar bedroht, während der Bonus nur kollektiv und abstrakt der Kassenärztlichen Vereinigung gewährt werden soll) sich nun vorstellen kann, bei wirkstoffidentischen Arzneimitteln dem Apotheker die Auswahl – und damit aber auch die Preisverantwortung – zu überlassen. Der Arzt haftet dann in diesem Bereich nur noch für die richtige Indikationsstellung und die Menge seiner Verordnungen. Es ist zu hoffen, dass im AVWG Öffnungsklauseln geschaffen werden, die solche Regelungen zwischen den beiden Heilberufen möglich machen.

Allerdings: Der Teufel liegt auch hier – wie so oft – im Detail. Tragfähige Lösungen sind denkbar (siehe DAZ 2005, Nr. 39, S. 50; DAZ 2006, Nr. 1, S. 3). Die gegenwärtige Aut-idem-Regelung gehört nicht dazu. Wichtig ist, dass der Wettbewerb zwischen den Generikaanbietern nicht stranguliert wird. Wir brauchen bei den Auswahlentscheidungen in jedem Einzelfall genügend Spielraum und müssen ihn nutzen, um unserer pharmazeutischen Verantwortung gerecht werden zu können (siehe dazu die DPhG-Leitlinie zur Guten Substitutionspraxis in DAZ 2002, Nr. 10). Ohne diesen Spielraum kann die Übernahme zusätzlicher Verantwortung leicht zur Gefahr werden. Unsachgemäße Auswahl wird man uns ebenso vorwerfen wie schlechte Beratung. Dann hilft uns wenig, dass unser Zugewinn an Funktion durchaus mit ökonomischen Zielsetzungen vereinbar ist – auch mit denen von Ärzten, Kassen und Patienten.

Klaus G. Brauer

Auf den letzten Metern

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