Arzneimittel und Therapie

Hintergrund: Spezifische Immuntherapie mit Allergentabletten

Neue Entwicklungen zur Therapie allergischer Atemwegserkrankungen betreffen die Applikation von Allergenpräparaten zur sublingualen Immuntherapie (SLIT). Bisher standen ausschließlich Produkte in flüssiger Form zur Verfügung.

Zwei neue Allergentabletten Eine neue Variante stellen allergenhaltige Tabletten zur SLIT dar, die zwei Allergenhersteller (ALK-Abelló, Dänemark; Stallergenes, Frankreich) unabhängig voneinander zur Therapie der Gräserpollenallergie entwickelt haben. Das Präparat Grasax® (GX) aus Dänemark hat kürzlich die europäische Zulassung erhalten und kann seit Mitte November 2006 in Deutschland rezeptiert werden. Das Produkt Oralair® (OR) aus Frankreich befindet sich noch im europäischen Zulassungsverfahren und soll 2007 Marktreife erlangen.

Umfangreiche klinische Dokumentation Im Gegensatz zu OR, das als Tablette zur Erhaltungstherapie nach einer Steigerung mit Flüssigallergenen angewandt werden soll, wird GX - eine Gittertablette mit wenigen Sekunden Auflösezeit - von Beginn mit voller Dosierung sublingual appliziert. Beide Produkte verfügen über eine umfangreiche klinische Dokumentation, die weit über den bisher üblichen Umfang von Studien zur (sublingualen) Immuntherapie hinausgeht. Bisher wurden Untersuchungen zur Dosisfindung, Wirksamkeit und Sicherheit mit vielen Hundert erwachsenen Patienten (OR) bzw. insgesamt mehr als 1700 Betroffenen (GX) durchgeführt, die teilweise bereits publiziert worden sind. Ähnliche Resultate in zwei multizentrischen Studien mit OR bzw. GX bei Erwachsenen, nämlich über 30% Reduktion der saisonalen Symptome und des Medikamentenverbrauchs gegenüber Placebo, sprechen für die Wirksamkeit des Konzeptes, zumal die Studien mit unterschiedlichen Extrakten, Designs und Patienten durchgeführt wurden. Die unerwünschten Wirkungen waren in beiden Studien bis auf wenige Ausnahmen überwiegend leichter Art, im Sinne eines oralen Allergiesyndroms auf die Mundhöhle bzw. den Rachen beschränkt und meistens passager. Schwere oder bedrohliche systemische Reaktionen wurden in beiden Studien nicht beobachtet. Eine Fortsetzung der Studie (GX) für zwei Jahre mit einem Teil der Patienten und anschließendem Beobachtungszeitraum gleicher Länge wird möglicherweise offene Fragen zum Langzeiteffekt beantworten helfen, da sich der Verlauf der allergischen Atemwegserkrankung nach Beendigung der auf drei Jahre angelegten Behandlung bisher nicht vorhersagen lässt. Zusätzliche Studien mit OR und GX sind bei Kindern geplant. Außerdem soll der präventive Effekt auf die Asthmaentwicklung und die Zahl der Neusensibilisierungen in kontrollierten Untersuchungen noch gezeigt werden.

SLIT bei Kindern: unterschiedliche Empfehlungen Derzeit wird in Deutschland die SLIT bei Erwachsenen mit Pollenallergie befürwortet, wenn eine SCIT nicht in Frage kommt. Bei Hausstaubmilbenallergie oder beim allergischen Asthma bronchiale stellt sie aufgrund der bisher schwächeren Datenlage keinen Ersatz für eine SCIT dar. Aus dem gleichen Grund sollten Kinder nicht routinemäßig mit einer SLIT behandelt werden. Kürzlich veröffentlichte europäische Empfehlungen zur Immuntherapie sind großzügiger in der Indikationsstellung zur SLIT: Bereits bei Kindern ab sechs Jahren wird die sublinguale Applikation zur Behandlung allergischer Atemwegserkrankungen befürwortet.

Woher rühren die Abweichungen zwischen den deutschen und den europäischen Empfehlungen? Aus der Sicht der Autoren spiegeln die uneinheitlichen Positionen den Spielraum bei der Interpretation bisher publizierter Studiendaten wider. Gegenwärtig gibt es keine überzeugende Erklärung, warum die SLIT bei Erwachsenen im Vergleich zu Kindern eine bessere Wirksamkeit haben sollte. Wahrscheinlich lassen sich diese und andere ausstehende Fragen zur SLIT in einigen Jahren besser beantworten, wenn zusätzliche Daten aus neuen Studien vorliegen.

Eine interessante Option Aufgrund der relativ guten Verträglichkeit (keine schwerwiegenden unerwünschten Reaktionen wie bei der SCIT), der einfachen Handhabung und der umfangreichen klinischen Dokumentation erscheint der Ansatz der neuen Präparate im Tablettenformat als interessante Option für die zukünftige Therapie mit Allergenen. In der Entwicklung sind Allergentabletten für andere, häufige Indikationen wie die Birkenpollen- oder Hausstaubmilben-Allergie. Möglicherweise werden auf diese Weise mehr betroffene Allergiker von einer spezifischen Immuntherapie profitieren können, die als subkutane Behandlung bisher nur bei einer Minderheit von Patienten eingesetzt worden ist.

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