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Anhörung zur Gesundheitsreform: Viel Expertenkritik an geplanten Neuregelungen

BERLIN (ks). Die öffentlichen Anhörungen zur Gesundheitsreform sind am vergangenen Dienstag zu Ende gegangen.

26 Stunden lang befragten die Mitglieder des Gesundheitsausschusses des Bundestages Verbände und Einzelsachverständige zu den geplanten Neuregelungen im GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (WSG). Am 13. November stand die medizinische Versorgung auf der Tagesordnung. Die Große Koalition bekam nur selten ein Lob für ihre Vorhaben zu hören. Kritik hagelte es hingegen von allen Seiten.

Mit der Arznei- und Hilfsmittelversorgung befassten sich die Gesundheitspolitiker der Fraktionen am vergangenen Montagabend. Eine ganze Reihe von Fragen der Abgeordneten rankten sich um die geplanten Rabattverträge zwischen Apothekern und Arzneimittel-Herstellern. Die ABDA zeigte sich –gegenüber den neuen Vertragsmöglichkeiten der Apotheker verhältnismäßig aufgeschlossen: Dr. Sebastian Schmitz, Geschäftsführer Wirtschafts- und Vertragsrecht bei der ABDA, begrüßte es grundsätzlich, Apotheken in die Rabattverträge einzubeziehen. Er betonte jedoch, dass es "nicht sinnvoll" sei, wenn jede einzelne Apotheke Verträge mit Herstellern schließe. Derartige Rabattvereinbarungen seien nur effizient und technisch zu realisieren, wenn sie regional und flächendeckend, d. h. über die Verbände auf Landesebene, abgeschlossen werden.

Industrie: keine Rabattverträge mit Apotheken Bei den Verbänden der Pharmaindustrie ist man kritischer: "Wir sind ohne Wenn und Aber gegen Rabattverträge mit Apotheken" betonte Peter Schmidt von Pro Generika, der sich im Namen sämtlicher Pharmaverbände zu dieser Regelung äußerte. Er verwies darauf, dass hierdurch der erst in diesem Jahr durch das AVWG verankerte Grundsatz des einheitlichen Herstellerabgabepreises durchbrochen werde. Das AVWG habe die Fehlentwicklungen gestoppt, die mit der zuvor gängigen Rabattpraxis im generikafähigen Markt verbunden waren. Nun solle die "verschlossene Büchse der Pandora" jedoch wieder geöffnet werden. Zu befürchten sei ein Abrechnungschaos und ein erheblicher Kontrollaufwand bei den Krankenkassen, so Schmidt. Auch den ABDA-Vorschlag, Verträge auf Landesebene abzuschließen, lehnte er ab. Dies werfe kartellrechtliche Probleme auf, da die Verträge mit Monopolisten geschlossen werden müssten. Sollte der Gesetzgeber dennoch auf derartige Verträge beharren, so sollte der Apotheker lediglich als Bevollmächtigter der Krankenkasse auftreten, schlug Schmidt vor. Prof. Wille bemängelte ebenfalls, dass man Rabatte an Apotheken wieder "hoffähig" machen wolle, nachdem man sie erst dieses Jahr mit dem AVWG verboten habe. "Das lässt an einer konsistenten Strategie zweifeln", so Wille. Für ihn sind Rabatte zwischen Krankenkassen und Herstellern eindeutig vorzuziehen – am besten in Form kassenindividueller Positivlisten. Ärzte und Apotheker sollte man hingegen aus diesem Bereich möglichst heraushalten, damit sich diese auf ihre "genuine Aufgabe der Gesundheitsversorgung" konzentrieren könnten. Ähnlich äußerte sich Prof. Jürgen Wasem, der zudem darauf hinwies, dass eine Vielzahl individueller Verträge zulasten der Transparenz gingen. Auch bei den Spitzenverbänden der Krankenkassen ist man skeptisch was die Rabattverträge und das von den Apotheken eingeforderte Einsparvolumen von 500 Mio. Euro betrifft. Wolfgang Kaesbach vom BKK-Bundesverband betonte, dass sich die Einsparungen aus vielerlei Verträgen ergeben können – so aus Aut-idem-Regelungen, einzelvertraglichen Preisvereinbarungen sowie Rabattverträgen – und nicht rechtssicher zu ermitteln seien. Wenn man das Sparvolumen tatsächlich realisieren wolle, sollte der Gesetzgeber die Anpassung des Apothekenabschlages oder des Höchstzuschlags von derzeit 8,10 Euro selbst vornehmen.

ABDA warnt vor Höchstbeträgen Die geplante Umstellung auf Höchstpreise, die es Apotheken freistellt, auf Zuzahlungen und einen Teil ihrer Marge zu verzichten, bezeichnete Prof. Wille als "begrüßenswert" aus Sicht der Patienten. ABDA-Präsident Heinz-Günter Wolf hielt dem entgegen, dass viele Arzneimittel bereits zuzahlungsbefreit seien. Aufgrund des Sachleistungsprinzips würde der Patient dann nicht merken, wenn der Apotheker auf einen Teil seiner Marge verzichtet.

Fordere man dennoch einen Individualwettbewerb, könne dies sogar schädlich sein. So könne der Apotheker auf die Idee kommen, dem Patienten Bargeld auszuzahlen oder ihm einen Gutschein zu geben. Daraus könne der Patient wiederum lernen, dass er sein Taschengeld aufbessern kann, wenn er viele Rezepte einreicht – und das zu Lasten der Versichertengelder. Aber auch wenn die Zuzahlung grundsätzlich noch zu leisten ist, sieht Wolf wenig Sinn in der Regelung. Verzichte der Apotheker aus Marketinggründen auf die Zuzahlung, so entfalle auch ihre Steuerungswirkung auf den Patienten, da er nicht mehr interessiert sei, preiswerte Arzneimittel zu bekommen. Zudem werde sich die Industrie überlegen ob es für sie billiger ist, 30 Prozent unter Festbetrag zu gehen oder dem Apotheker die Zuzahlung zu geben, damit er sie an den Patienten weiterreichen kann. Das Nachsehen werde auch hier die Krankenkasse haben. Letztlich sei zu befürchten, dass die beabsichtigten Neuregelungen auch Auswirkungen auf die Versorgungsqualität der Apotheken haben. Wolf betonte, dass der Gesetzgeber Apotheker mit den vergangenen Reformen bewusst preisneutral gestellt habe. Werde nun "das Rad zurück gestellt" und trete der Apotheker in den Einzelwettbewerb, könnte es zu einer Schwerpunktverschiebung kommen: "Weg von qualitativ hochwertiger Arzneimittelversorgung hin zum reinem Preiswettbewerb".

Industrie hadert mit Kosten-Nutzenbewertung Ein weiterer Streitpunkt war die geplante Kosten-Nutzenbewertung. Während der Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit Dr. Peter Sawicki betonte, dass sein Institut schon jetzt nach internationalen Standards arbeite, vermisst die Industrie eine ebensolche Vorgabe im Gesetz. Die Hauptgeschäftsführerin des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller, Cornelia Yzer, verwies darauf, dass in den Eckpunkte zur Reform noch von "internationale Standards der Kosten-Nutzenbewertung" die Rede war, im Gesetzentwurf aber noch von "internationalen Standards evidenzbasierter Medizin". Danach werde wiederum lediglich auf randomisierte, kontrollierte Studien abgehoben. In die Bewertung müsse jedoch das gesamte wissenschaftlich etablierte Studieninstrumentarium einbezogen werden. Auch die geplanten Erstattungshöchstbeträge, die für neue Arzneimittel auf Grundlage der Kosten-Nutzenbewertung festgelegt werden sollen, missfallen den Herstellern. Sie sehen damit die erst mit dem AVWG gestärkte Innovationsschutzklausel ad absurdum geführt. Die GKV-Spitzenverbände halten die Erstattungshöchstbeträge hingegen für ein sinnvolles Instrument. Allerdings prognostizierte BKK-Chef Wolfgang Schmeinck, dass es mit den Herstellern zu langwierigen Streits kommen werde, wenn es darum gehe, ihre anteiligen Entwicklungskosten zu berücksichtigen, wie es der Gesetzentwurf fordert.

Knackpunkt Verordnungsdaten Auf einhellige Ablehnung traf auch die geplante Regelung, nach der Arzneimittelverordnungsdaten in Zukunft nicht mehr verarbeitet werden dürfen, wenn sie unterhalb der Ebene der Kassenärztlichen Vereinigung liegen. So soll verhindert werden, dass die Pharmaindustrie das Verordnungsverhalten einzelner Ärzte überprüfen und steuern kann. Die Industrieverbände rügten, dass mit der Regelung das "Kinde mit dem Bade ausgeschüttet" werde. So werde den Herstellern beispielsweise jede Möglichkeit genommen, die finanziellen Auswirkungen von Rabattverträgen auf der Grundlage neutraler Verordnungsdaten zu ermitteln. Seitens des Pharmazeutischen Großhandels befürchtet man durch die Regelung eine Ausweitung des Direktgeschäfts von Herstellern – mit der Folge, dass ihnen noch viel umfangreichere Daten zur Verfügung stehen. Auch Prof. Wille warnte davor, "mit Kanonen auf Spatzen schießen".

Wenig durchdachte Regelung zur Auseinzelung Die geplante Regelung zur Auseinzelung von Arzneimitteln stieß bei den Experten ebenfalls auf Kritik. Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller verwies darauf, dass es gegen EU-Recht verstoße, wenn die Packungsbeilage nicht mehr in jedem Fall einer einzeln ausgegebenen Tablette beigefügt werden müsse. ABDA-Präsident Wolf sprach sich ebenfalls gegen eine "Patienteninformation light" aus. Schmeinck gab für die Spitzenverbände zu bedenken, dass der Gesetzgeber die Haftungsprobleme wohl nicht richtig beachtet habe.

Verzögert sich Verabschiedung der Reform? Was die Gesundheitspolitiker der Fraktionen aus den Anhörungen mitgenommen haben, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Auch in den anderen Anhörungsblöcken musste die Große Koalition vor allem Kritik einstecken. Der CSU-Sozialpolitiker Max Straubinger forderte zu Wochenbeginn bereits, den Zeitplan zur Verabschiedung der Reform zu strecken. Gegenüber der "Berliner Zeitung" (Ausgabe vom 13. November) sagte er, dass die Anhörung zahlreiche Fragen aufgeworfen habe und es daher nicht möglich sei, dass der Bundestag das Gesetz wie vom Bundesgesundheitsministerium geplant am 15. Dezember verabschiede. "Die abschließende Abstimmung ist erst im Januar möglich", so Straubinger. Allerdings kann die Reform auch dann noch zum 1. April 2007 in Kraft treten.

Die öffentlichen Anhörungen zur Gesundheitsreform sind am vergangenen Dienstag zu Ende gegangen. 26 Stunden lang befragten die Mitglieder des Gesundheitsausschusses des Bundestages Verbände und Einzelsachverständige zu den geplanten Neuregelungen im GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (WSG). Am 13. November stand die medizinische Versorgung auf der Tagesordnung. Die Große Koalition bekam nur selten ein Lob für ihre Vorhaben zu hören. Kritik hagelte es hingegen von allen Seiten.

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