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In all der großen Großzügigkeit, die Große Koalitionen auszeichnet, soll den Apotheken über das geplante GKV-WSG durch die Einführung von "Höchstpreisen" die Möglichkeit gewährt werden, auf ihre eigene Marge und zusätzlich auch noch auf die vorgelagerte Großhandelsmarge zu verzichten. Also auf alles, was seit den Beschränkungen der Einkaufsrabatte durch das AVWG als Apothekenmarge überhaupt maximal möglich ist?

Nein, nicht ganz. Die Apotheke darf "nur" auf 99,99% verzichten. Sonst – so die Begründung für die nachträgliche Einschränkung – könnte es ja zu unzulässigem Preisdumping kommen. Zusätzlich darf die Apotheke zur Entlastung des Patienten (bis auf einen Cent) aber auch dessen gesetzliche Zuzahlung übernehmen. Kurz: Sie darf (und soll, bitte schön!) möglichst ohne Rohertrag, also "umsonst", weiter das Gleiche leisten wie bisher. Das ist großartig, das ist nobel, das ist Wettbewerb!

Wirklich?

Solche Spielregeln sind geeignet, die bislang nahezu perfekt funktionierende Arzneimittelversorgung zu ruinieren. "Umsonst" ist bekanntlich nicht einmal der Tod. Dies zu erkennen, bedarf es nicht der polemisch-ironischen Zuspitzung. Auch die Große Koalition plagen offensichtlich Zweifel. Sonst könnte sie die Arzneimittelversorgung ganz dem freien Spiel der Kräfte des Wettbewerbs überlassen. Auf staatlich fixierte "Höchstpreise" – eine Todsünde gegen den Wettbewerb; wann endlich opponiert der Wirtschaftsminister? – müsste sie verzichten. Aber nur marktradikale Zyniker können die Einsicht verdrängen, dass es beim Gesundheitswesen und in der Arzneimittelversorgung um ein öffentliches Gut geht, bei dem man eben nicht in aller Ruhe ganz dem Markt überlassen kann, wo, wie schnell, wie, zu welchem Preis und ob überhaupt Leistungen erbracht werden.

Wettbewerb setzt gleich lange Spieße zwischen Leistungserbringern und denen, die sie auswählen, voraus. Die Ortskrankenkassen haben gerade eben deutlich gemacht, wie sie die neuen gesetzlichen Möglichkeiten nutzen wollen. Sie wollen sich gegenüber den Anbietern auf Seiten der Pharmaindustrie zu einem milliardenschweren, bundesweiten Nachfragekartell zusammenschließen, das nahezu beliebige Preise erpressen kann. Merken die Großkoalitionäre jetzt, was sie dabei sind anzurichten?

Auf Apothekenseite sind die Beispiele nicht weniger krass. Nicht mehr die Ärzte dürfen dezentral entscheiden, in welcher Apotheke sie ihren Praxisbedarf ordern. Die Entscheidung trifft in Zukunft ein Kassenmonopolist. Dieser darf seine – im Übrigen äußerst korruptionsanfällige – Auswahl auf wenige gefügige (Versand-?)Apotheken konzentrieren. Natürlich wird frohgemut erwartet, dass bei akutem Bedarf weiter schnell die Apotheke vor Ort einspringt. Den Zahn sollten wir ziehen. Die Bevorzugung einzelner Apotheken entzieht dem Kontrahierungszwang die legitime und – am Ende auch – legale Basis.

Diese Konsequenz geht über die Belieferung von Praxisbedarf hinaus. Den Lobbyisten der großen Versandapotheken ist es offensichtlich gelungen, die gesundheitspolitischen Fachleute in der Koalition zu bezirzen. Eigentlich müssten diese längst erkannt haben: Die Apotheken vor Ort erbringen eine Vielzahl von Leistungen, die aufwändig, kostenintensiv, unter Wert vergütet, aber wünschenswert und meist auch unverzichtbar sind – Leistungen, die Versandapotheken nicht anbieten (müssen), weil sie dort ohnehin nicht nachgefragt werden.

Das gilt zum Beispiel für die Akutversorgung. Die Verschreibung über ein dringend benötigtes Antibiotikum, nachmittags zwischen vier oder fünf Uhr vorgelegt – wer versorgt den Patienten? Wer fertigt die fast nie kostendeckenden Rezepturen von Hautärzten? Wer steht allen Patienten in seinem Umfeld nicht nur im routinemäßigen Tagesbetrieb, sondern auch im Not- und Sonntagsdienst zur Verfügung? Wer liefert noch am gleichen Tag ans Krankenbett, was ein schwer Kranker zu Hause oder im Altenheim dringend benötigt? Wer bringt sich ein, ohne dass diese Leistungen kostendeckend wären, wenn es um das Screening zur Früherkennung von Krankheiten geht?

Der Aufwand für all diese Leistungen fällt in Versandapotheken nicht an. Die Inanspruchnahme pharmazeutischer Leistungen, so auch von Beratungsleistungen, ist dort – bezogen auf Absatz und Umsatz – lächerlich gering. Man braucht deshalb wenig Apotheker.

Die gehätschelten Absahner können so – bislang – still triumphieren. Die durch Minderleistung erzielten Kostenvorteile können sie nutzen, um durch Zugeständnisse bei Preisen und Zuzahlungen – gesponsert durch Empfehlungen von Krankenkassen – Umsätze auf sich zu ziehen. Die Höchstpreisregelung stärkt so nicht, sie karikiert den Wettbewerb. Sie zu streichen, muss die Konsequenz sein.

Ähnlich dem Risikostrukturausgleich unter den Krankenkassen ist von der Politik allerdings ein Leistungsstrukturausgleich zwischen Versand- und Vor-Ort-Apotheken zu fordern. Versandapotheken stehen ja z. B. nicht einmal für alle eigenen Kunden in ihrem weiten Belieferungsgebiet für den aufwändigen Not- und Sonntagsdienst zur Verfügung. Der Leistungsstrukturausgleich könnte zum Beispiel über eine nur von Arzneiversendern abzuführende Ergänzungsabgabe auf den Rabatt (§ 130 SGV V) erfolgen, den Apotheken den gesetzlichen Krankenkassen zu gewähren haben. Diese Ergänzungsabgabe (quasi ein Ablass für nicht erbrachte Leistungen) wird auf die Vor-Ort-Apotheken verteilt. Mein Vorschlag: Einige Millionen davon werden investiert, um gemeinsam mit den Krankenkassen Projekte der Arzneimittel-Versorgungsforschung voranzutreiben. Die unanständigen Vorteile, mit denen der Gesetzgeber die in- wie ausländischen Arzneiversender beglückt hat, gehören abgeschafft.

Dr. Klaus G. Brauer

Triumph der Absahner?

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