Pharmazeutische Betreuung

L. Engelen, C. SchäferArzneitherapie bei Niereninsu

Ein vielfach wenig beachtetes Problem des Alterns ist die nachlassende Leistung der Niere. Typisch ist eine Reduktion der glomerulären Filtrationsrate und der tubulären Sekretion. Darüber hinaus vermindert sich die Durchblutung der Niere auf Grund des verringerten Herzzeitvolumens. Diese Veränderungen wirken sich auf die Elimination vieler Arzneistoffe aus, sodass eine Dosisanpassung oder ein Medikationswechsel erforderlich sein kann, um ein toxisches Risiko zu vermeiden.

Ein Thema in der Pharmazeutischen Betreuung geriatrischer Patienten

Arzneimittelrisiken im Alter Für die Beurteilung von Arzneimittelrisiken im Alter sind von Bedeutung:

  • die Anzahl der durchschnittlich eingenommenen Arzneimittel – man geht davon aus, dass ältere Patienten mindestens drei bis fünf Medikamente als Dauertherapeutika anwenden,
  • die im Alter zunehmende Empfindlichkeit gegenüber Nebenwirkungen von Arzneistoffen.

Die meisten Arzneimittel, die im Alter besonders häufig verordnet werden, zeichnen sich zudem durch eine Vielzahl an möglichen Nebenwirkungen aus, wie das Symptom "Verwirrung" zeigt (Tab. 1). Vor dem Hintergrund der häufigen Demenzerkrankun–gen im Alter ist "Verwirrung" ein überdenkenswertes Symptom.

Besonders häufig werden ältere Patienten mit Schmerzmitteln, nichtsteroidalen Antirheumatika, Herz-Kreislauf-Mitteln und Antiasthmatika, darüber hinaus mit Antiepileptika und Psychopharmaka behandelt. Die Abbauprodukte vieler dieser Arzneistoffe werden überwiegend renal, also über die Niere, und nur zu einem kleineren Teil fäkal, also über den Stuhl, ausgeschieden.

Zu den Arzneistoffen, die überwiegend renal eliminiert werden, zählen: Digoxin, Lithium- und –Kaliumsalze, Aminoglykosidantibiotika, Penicilline und Atenolol, Sotalol, Hydrochlorothiazid, Metformin oder Amantadin [2]. Gemeinsam ist ihnen, dass sie häufig stark hydrophil sind und aus dem Primär–harn nicht ins Blut rückresorbiert werden können (s. u.). Die renale Elimination eines Arzneistoffs bzw. seiner Metaboliten hängt von unterschiedlichen Faktoren und Eigenschaften ab; dazu zählen Molekülmasse, Löslichkeit, Basizität/Azidität und das Vorhandensein von Transportern (Tab. 2).

Aktive Transporter des Pgp-Systems Aktive Transportvorgänge in der Zelle, die gelegentlich als Phase-III-Reaktion des Arzneistoffmetabolismus beschrieben werden, befinden sich im Gastrointestinaltrakt, in der Leber, in den Nierentubuli (s. u.) und an allen Blut-Gewebe-Schranken (z. B. Blut-Hirn-Schranke); sie verursachen beispielsweise auch Resistenzen.

Zur Energiegewinnung der aktiven Transportprozesse, die durchweg Energie verbrauchend sind, dienen entweder Ionengradienten oder die Hydrolyse von ATP.

Wie auch bei den Enzymsystemen der Phasen I und II können verschiedene Arzneistoffe um den gleichen Transporter konkurrieren. Über diesen Mechanismus werden die Interaktionen zwischen Digoxin und Verapamil, Clarithromycin oder Ciclosporin erklärt: Alle genannten Stoffe haben eine hohe Affinität zum P-Glykoprotein (Pgp), der zentralen Substanz des Pgp-Transportsystems. Das Pgp ist an allen Exkretionsprozessen – intestinal, biliär und renal – beteiligt. Er wird deshalb auch als Efflux-Transporter bezeichnet.

Das Pgp gehört zu den ABC-Transportproteinen, die meist an zwei Stellen dem ATP das Andocken und die Hydrolyse erlauben (ABC = ATP-binding cassette) und zwei weitere sub–stratspezifische Bindungsstellen aufweisen. Meistens schleusen ABC-Transportproteine ihre Substrate aus der Zelle in den extrazellulären Raum. Sie können aber auch für die tubuläre Sekretion von Bedeutung sein.

So wie die Cytochrom-P450-Enzyme (kurz: CYP) in unterschiedliche Familien und ihre Mitglieder unterteilt sind (z. B. Familie CYP 3A und Familienmitglied CYP 3A4), sind auch die ABC-Transportproteine (kurz: ABC) hierarchisch ge–gliedert und benannt: Ein Buchstabe steht für eine bestimmte Familie und eine nachfolgende Ziffer für ein Familienmitglied (z. B. ABCA, ABCA1; Tab. 3). ABCB1 ist mit Pgp identisch.

Arzneistoffe, die über das Pgp-System ausgeschieden werden, sind u. a.: Chinidin, Cimetidin, Colchicin, Digitoxin, Digoxin, Diltiazem, Domperidon, Erythromycin, Hydrocortison, Levofloxacin, Losartan, Lovastatin, Perphenazin, Phenytoin, Terfenadin und Verapamil.

Darunter befinden sich einige Substanzen, die möglichst bei älteren Menschen nicht oder nur sehr vorsichtig eingesetzt werden soll [4]. Wie beim CYP-System können Inhibitoren (und Induktoren) die Effizienz des Pgp-Systems beeinflussen.

Nachlassende Nieren–funktion im Alter und durch Krankheit Im Alter verringern sich die Zahl der Glomeruli und das Herzzeitvolumen. Das hat Auswirkungen auf die renale Elimination von Arzneistoffen. Aber auch Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck, Prostatavergrößerung, chronische Nierenbeckenentzündungen oder Steinleiden können zu einer Verringerung der Nierenleistung beitragen. Die Veränderung der Nierenfunktion lässt sich mittels der Elimination einiger Leitsubstanzen abschätzen. Der bekannteste Parameter ist die Kreatinin-Clearance, also die Elimination von Kreatinin aus dem Blut durch die Nieren (Tab. 4).

Kreatinin ist ein natürliches Abbauprodukt des Muskelstoffwechsels, dessen Konzentration im Serum (Normwerte 50 –110 µmol/l = 0,57–1,24 mg/dl) bei Niereninsuffizienz stark erhöht ist. Die Kreatinin-Clearance sinkt mit zunehmendem Alter, weil sich die Muskelmasse reduziert. Zudem beeinflussen Geschlecht und Körpergewicht die Muskelmasse und die Kreatinin-Clearance (ClCr), was bei der Berechnung der Kreatinin-Clearance nach Cockgroft und Gault berücksichtigt ist:

Männer: ClCr [ml/min] = (150 – Alter [Jahre]) ◊ Körpergewicht [kg] / Serum-Kreatinin [µmol/l]

Frauen: Berechnung wie bei Männern abzüglich 15%.

Beispiel: Mann, 60 Jahre alt, 80 kg schwer, Serum-Kreatinin 200 µmol/l:

ClCr = 90 ◊ 80 / 200 = 720 / 200 = 36 [ml/min]

Bei einer fortgeschrittenen Niereninsuffizienz werden zusätzlich die Körperoberfläche und ethnische Unterschiede berücksichtigt.

Ab 70 Jahren hat fast jeder eine Niereninsuffizienz Von einer Niereninsuffizienz wird gesprochen, wenn die Kreatinin-Clearance unter 50 ml/min liegt. In diesen Fällen ist die Dosis der Medikation entsprechend zu verringern. Die Ermittlung der Kreatinin-Clearance und die Anpassung der Dosis sind Aufgaben des behandelnden Arztes; im Rahmen der Pharmazeutischen Betreuung kann der Apotheker den Arzt auf ein solches Problem hinweisen.

Als Faustregel für die Apothekenpraxis gilt, dass Menschen über 70 Jahre im Regelfall eine eingeschränkte Nierenleistung haben, die bei über 80-Jährigen so weit fortgeschritten ist, dass eine Anpassung notwendig ist. Nicht nur bei der Abgabe ärztlich verordneter Arzneimittel, sondern auch von OTC-Präparaten für die Selbstmedikation sollte der Apotheker dies berücksichtigen.

Wichtig zu wissen ist ferner, dass einige Arznei- und Hilfsstoffe einen Einfluss auf die Messgenauigkeit des Kreatininwertes im Blut ausüben. Dazu zählen zum Beispiel Ascorbinsäure, ASS, einige Cephalosporine, Cimetidin, Co-trimoxazol, Fructose, Glucose, Indometacin und Naproxen.

Renale Eliminationsraten Etwa 14% aller derzeit genutzten Arzneistoffe werden hauptsächlich renal eliminiert. Um den Anteil der extrarenalen Elimination von Arzneistoffen (bei normaler Nierenfunktion) anzugeben, hat man den Qo-Wert eingeführt (Q = individuelle Eliminationskapazität; o = outlet; Qo = 1 = 100% extrarenal; Qo = 0,1 = 10% extrarenal).

Qo-Wert des Arzneistoffs und individuelle Nieren–funktion des Patienten beeinflussen die jeweilige Eliminationsrate (Abb. 1).

Liegt der Qo-Wert eines niereninsuffizienten Patienten unter 0,5, ist in der Regel eine Dosisreduktion durchzuführen. Erhält der Patient mehrere Arzneistoffe mit Qo-Werten unter 0,5, kann eine weitergehende Anpassung notwendig sein. Experten empfehlen dann, bereits Arzneistoffe und aktive Metaboliten mit einem Qo-Wert bis 0,7 kritisch zu überprüfen; bei Qo-Werten über 0,8 wird in der Regel keine Anpassung vorgenommen.

Für viele Arzneistoffe und ihre Metaboliten sind die extrarenalen Eliminationswerte bekannt. Hilfreich für die Praxis ist die Internetseite www.dosing.de. Dort stehen Informationen zu einzelnen Arzneistoffen und ihren Metaboliten; nach Eingabe des Arzneistoffs und der individuellen Daten eines nieren–insuffizienten Patienten wird die jeweilige Dosisanpassung berechnet.

Bei einigen Arzneistoffen sind die Qo-Werte nicht entscheidend für eine eventuelle Dosisreduktion (Tab. 5).

Berechnung der Dosisanpassung Für die Anpassung der Dosen oraler Arzneimittel berechnet man zunächst aufgrund des Anteils der extrarenalen Elimination dieses Arzneistoffs (Qo) und der individuellen Kreatinin-Clearance (ClCr) die individuelle Eliminationskapazität Q:

Q = Qo + (ClCr [ml/min] / 100) ◊ (1 – Qo)

Beispiel: Ein Arzneistoff wird zu 30% extrarenal ausgeschieden, und die Kreatinin-Clearance beträgt 40 ml/min:

Q = 0,3 + 0,4 ◊ 0,7 = 0,3 + 0,28 = 0,58

Durch die Multiplikation des Ergebnisses mit 100 erhält man die individuelle Eliminationskapazität in Prozent, die zugleich angibt, wie viel Prozent der normalen Erwachsenendosis der Patient erhalten sollte (im Beispiel: 58%). Allerdings lässt sich dieses Verfahren nicht auf alle Patienten und Arzneistoffe anwenden. Übergewicht oder schwankende Nierenleistungen sind mit diesem System nur unzureichend abzubilden.

Dosisanpassung bei bestimmten Antibiotika Ein besonderes Problem stellt die Dosisanpassung bei einer Reihe von Antibiotika dar. Die pharmakologisch wirksame Konzentra–tion problematischer Antibiotika (s.u.) kann vor allem dadurch erhalten werden, dass sie in einem geringeren zeitlichen Abstand eingenommen werden. Dazu gibt es spezielle Dosierungsschemata, die den Fachinformationen der jeweiligen Präparate oder der Datenbank www.dosing.de entnommen werden können.

Die größten mit einer Nierendysfunktion verbundenen toxischen Risiken innerhalb der Antibiotika bergen die Aminoglykosidantibiotika und die Glykopeptide. Die Penicilline, Carbapeneme und Cephalosporine werden hingegen von niereninsuffizienten Patienten meist gut vertragen.

Nicht über die Niere werden die Makrolide, Doxycyclin, Rifampicin und Isoniazid ausgeschieden.

Weitere Alternativen Nicht immer ist die Dosis–anpassung eines Medikaments ohne weiteres möglich. In solchen Fällen sollten verschiedene Optionen in Erwägung gezogen werden:

  • Wahl eines anderen, die Niere nicht oder weniger belastenden Arzneistoffs.
  • Wahl einer anderen galenischen Form des Arzneistoffs. So wird die Niere durch die transdermale Anwendung von Fentanyl weniger in Anspruch genommen als durch die orale Zufuhr von Fentanyl.
  • Änderung des Dosierungsschemas; eine häufigere Einnahme geringerer Arzneistoffmengen belastet die Niere weniger.

Mit zunehmendem Alter lässt die Leistung der Niere nach. Dementsprechend muss die Dosierung von Arzneimitteln, die überwiegend renal ausgeschieden werden, angepasst werden, weil sie sonst im Körper kumulieren würden. Da nur etwa 14% aller Arzneistoffe überwiegend renal ausgeschieden werden, ist das Problem überschaubar. Allerdings ist es bei ältere Patienten umso gravierender, da diese oft mit mehreren Medikamenten zugleich behandelt werden; eine Multimedikation kann eine Dosisanpassung aber auch bei solchen Arzneistoffen erforderlich machen, die nur zu 30 oder 20% renal eliminiert werden. Lesen Sie, wie man die jeweils nötige Dosisanpassung berechnet.

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