Aus Kammern und Verbänden

LAV Sachsen-Anhalt: Einig in der Kritik an der geplanten Gesundheitsreform

Die Vorträge und Diskussionen während der 11. Wirtschaftstage des Landesapothekerbandes Sachsen-Anhalt am 13. und 14. Oktober bewegten sich inhaltlich im Spannungsfeld zwischen dem unmittelbar zuvor veröffentlichten Referentenentwurf für die Gesundheitsreform und der langfristigen Positionierung der Apotheken. Die über 120 Teilnehmer in Halle-Peißen erlebten heftige Kritik an der geplanten Gesundheitsreform Ų aus unterschiedlichen Gründen und von Referenten mit unterschiedlichem Hintergrund.

Prof. Dr. Gerd Glaeske, Bremen, bezeichnete den jüngsten Entwurf zur Reform als "Trauerspiel". Statt einer großen Richtungsentscheidung sei Mutlosigkeit zu erkennen, es werde zu viel über Finanzierung und zu wenig über Strukturen geredet, außerdem fehle die nötige Nachhaltigkeit und Planbarkeit.

Für die Schwächung der GKV-Finanzen sei die Politik mit verantwortlich, weil der GKV in zehn Jahren durch "Verschiebebahnhöfe" 40 Milliarden Euro entzogen worden seien, sodass die Beträge um vier Prozentpunkte niedriger sein könnten. Zugleich seien sich Ökonomen einig, dass der Gesundheitsfonds zur Lösung der Finanzprobleme das schlechteste In–strument unter den möglichen Alternativen darstelle. Es sei fraglich, ob er im Wahljahr 2009 tatsächlich eingeführt werde.

Vom Sinn höherer Arzneimittelausgaben Zudem wies Glaeske die grundsätzliche Kritik an steigenden Arzneimittelausgaben zurück. Die angeblich zu hohen Arzneimittelausgaben in den USA seien dort das beabsichtigte Ziel, weil neue und vorwiegend ambulante Arzneitherapien für das Gesamtsystem effizient sind. Die GKV als größter Finanzier des Gesundheitssystems erwarte, dass das Geld an Evidenz und Effizienz orientiert ausgegeben werde. Doch gebe es noch immer Über-, Unter- und Fehlversorgung, was auch an regionalen und nationalen Präferenzen für bestimmte Therapien zu erkennen sei.

Der Nutzen in der Patientenversorgung ist von der Bewertung bei der arzneimittelrechtlichen Zulassung zu unterscheiden. So würden zu viele "kommerzielle Innovationen" ohne erkennbaren Zusatznutzen unkritisch verordnet, und zugleich sei Deutschland das einzige europäische Land, in dem die Preise neuer Arzneimittel ohne Preisverhandlungen von der Industrie frei festgelegt werden können. Hier seien durch strukturelle Änderungen jährlich drei Milliarden Euro einzusparen. Für mehr Klarheit solle das IQWiG sorgen, das künftig auch Kosten-Nutzen-Bewertungen durchführen soll. Doch auch die Apotheker seien gefordert, auf unsinnige Arzneimittel in der Selbstmedikation aufmerksam zu machen und sie möglicherweise sogar zu boykottieren.

Apotheker unter Druck Durch die neue Gesundheitsreform, die Position der Monopolkommission, die Ereignisse um die DocMorris-Apotheke in Saarbrücken und den zunehmenden Einfluss des Großhandels würden die Apotheken zunehmend unter Druck geraten. Die Diskussion über die Distributionskosten werde anhalten, denn weniger Apotheken würden nach Ansicht von Glaeske weniger finanzielle Mittel für die Aufrechterhaltung der Struktur benötigen.

Außerdem könne auch in Ketten fachlich gut gearbeitet werden, wie es die privatwirtschaftlichen Krankenhauskonzerne belegen. Glaeske widersprach der ABDA-Position, dass Höchstpreise systemzerstörend wirken, sprach aber zugleich von neuen Chancen für die Apotheken als Helfer für Verträge zwischen Industrie und Krankenkassen, was mit dem ABDA-Vorschlag kassenindividueller Rabatte vereinbar wäre.

Nach Einschätzung von Glaeske müssten alle Beteiligten des Gesundheitswesens ihre Qualität mit geeigneten Indikatoren sichtbar machen. Er bekannte sich zur Notwendigkeit der Apotheken, sie müssten aber ihre "überprüfbare Alltagsperformance" verbessern und "erkennbaren Mehrwert" zeigen. Da die Beratung durch Ärzte für viele Patienten nicht ausreiche, müssten Apotheker die notwendigen Informationen vermitteln. Auch bei den Interaktionen bestehe noch Handlungsbedarf, zumal diese sogar zwischen Arzneimitteln auf demselben Rezept auftreten können. Nach seinen Erfahrungen bei Pseudo-Customer-Tests seien die Apotheken aber hinsichtlich des "Wohlfühl–charakters" erfolgreicher als bei der Informationsvermittlung. Die Apotheke sei ein "Wohlfühlort", erwecke aber nicht den Eindruck, dass dort ein "Hoch–risikoprozess" gesteuert werde. Im Gegensatz zu den exzellenten indikationsbezogenen Beratungen werde bei klaren Präparatewünschen nicht immer beraten, obwohl auch hier die Indikation zu hinterfragen sei.

Mathias Arnold, Vorsitzender des Landesapothekerverbandes Sachsen-Anhalt, stimmte insoweit zu, als die Apotheken nur eine Chance hätten, wenn sie hohe Qualität bieten und dies auch zeigen. Dagegen wurde den Aussagen zu den angeblichen Vorteilen von Apothekenketten in der Diskussion widersprochen. Auch die beiden weiteren Vorträge am nächsten Tag der Veranstaltung vermittelten teilweise gegensätzliche Positio–nen.

Strategische Apothekenpositionierung So forderte Dr. Andreas Kaapke, Köln, nicht immer nach den Kosten, sondern zuerst nach einem gesundheitspolitischen Leitbild zu fragen. Wenn die Leistung erhalten oder sogar erhöht werden solle, könnten die Kosten nicht sinken. Im Gegensatz zu früheren Reformen gebe es nun auch keinen Bereich mehr, in dem Apotheken ein–sparen oder Einkaufsvergünstigungen realisieren könnten.

Zugleich beschrieb Kaapke den demographischen Wandel als große Chance für die Apotheken. Die an Zahl und Bedeutung zunehmende ältere Bevölkerung habe ihren Platz schon immer in der Apotheke gehabt. Da aber kaum ein anderer Markt so stark wachse wie der Gesundheitsmarkt, wecke er enorme Begehrlichkeiten, die zu politischem und wirtschaftlichem Druck führen.

Da jedes Handelsunternehmen durch Tod, Wegzug und veränderte Gewohnheiten innerhalb von fünf bis zehn Jahren etwa ein Drittel seiner Kunden verliere, müssten Apotheker die –Zufriedenheit und Struktur ihrer Kunden professionell analysieren. Kaapke forderte die Apotheker auf, ihre Apotheken kritisch mit den Augen der Kunden zu betrachten. Außerdem sollten Stärken und Schwächen der Apotheke bei den Kunden ab–gefragt werden, wobei die Bedeutung einer Leistung und die Zufriedenheit mit dieser Leistung stets zu unterscheiden seien.

Der einzige dauerhaft erfolgreiche Weg zur Kundenbindung sei der psychologische Ansatz, der über die menschliche Beziehung zur Wertschätzung führt. Die Apotheke stehe für ein Markenversprechen und staatlich gesicherte Kompetenz. Diese Marke könne es nicht zu Ramsch–preisen geben – sonst würden die Apotheken zerstören, was über Jahrhunderte aufgebaut worden sei – dies sei die dümmste aller Positionierungen. Zudem sei der Markt für Arzneimittel kaum preiselastisch, bei niedrigem Preis werde kaum mehr abgesetzt, weil Arzneimittel bedarfsbezogen gekauft werden. Die Kunden kennen auch die meisten Arzneimittelpreise nicht und können schon deshalb nicht auf besondere Angebote reagieren.

Die Apotheke könne aber mit sinkenden Margen nicht die nötige Qualität bieten. Der zunehmende Wettbewerb werde die Apotheken zu weiterer Profilierung und Qualifizierung zwingen. Eine gute Marktposition sei nicht über den Preis und wenig über die Bequemlichkeit für die Kunden, sondern primär über die Leistung zu erreichen.

Die wichtigste langfristige Entscheidung für eine Apotheke sei die Wahl des Standortes, dessen Wert jedoch veränderlich ist. Computergestützte Analyseverfahren können die Bewertung unterstützen. Daneben müsse das Einzugsgebiet der Apotheke definiert werden, das mit außergewöhnlichen Spezialisierungen erheblich vergrößert werden könne. Letztlich müsse jeder Apotheker spontan beantworten können, warum die Kunden gerade in seine Apotheke gehen sollten.

Kritik und Lösungen von der ABDA Nach diesen Empfehlungen zu den Handlungsmöglichkeiten für jeden einzelnen Apotheker stellte ABDA-Hauptgeschäftsführer Dr. Hans-Jürgen Seitz den berufspolitischen Handlungsbedarf dar. Er zeigte Widersprüche zwischen den früher formulierten Zielen der Gesundheitsreform und dem nun vorliegenden Referentenentwurf auf. Anstatt langfristig mehr Geld ins System zu lassen, intelligenten Wettbewerb zu fördern und das Gesundheitswesen als Wachstumsmotor mit vielen Arbeitsplätzen zu würdigen, würden der GKV erneut acht Milliarden Euro durch politische Maßnahmen entzogen. Der Gesetzentwurf lasse eine politische Strategie erkennen, Arzneimittel zu bagatellisieren und als normale Handelsware erscheinen zu lassen. Wenn der Apotheker zunehmend als Kaufmann positioniert werde, stelle sich die Frage nach der geeigneten Struktur für diese Tätigkeit. Daher sei auch das Rückfordern der Rabattbegrenzung als Schritt in eine kaufmännische Position für die Apotheken höchst gefährlich.

Angesichts der Widersprüche im Gesetzentwurf sei jetzt die politische Arbeit gefragt. Die für den 16. Oktober vorgesehene parlamentarische Anhörung nur vier Tage nach Veröffentlichung des Entwurfes und in nur ein–einhalb Stunden für alle Leistungserbringer zusammen sei aber nicht als ernsthaftes Bemühen zu verstehen und werde daher von den meisten Verbänden abgelehnt.

Da der Referentenentwurf bei den apothekenrelevanten Regelungen gegenüber früheren in–offiziellen Fassungen keine wesentlichen Änderungen aufweise, seien auch die Positionen der ABDA hierzu, die der ABDA-Geschäftsführer Dr. Frank –Diener am 27. September in Rostock-Warnemünde vorgestellt hatte (s. Bericht in DAZ 40), unverändert. Wesentliche Regelungen wie die Höchstpreise und die Haftung der Apotheker für die geforderten Einsparungen von 500 Millionen Euro seien weiterhin unklar.

Die ABDA setze sich für eine als systemverbessernd betrachtete Konzeption der Höchstpreise ein, die feste Apothekenhonorare mit krankenkassenspezifischen Preisen kombiniert. Dabei würden die Apotheken als preisneutrale Sachwalter für die Umsetzung der Verträge sorgen.

Gegen das Auseinzeln spreche sowohl die Gefährdung der Arzneimittelsicherheit als auch die zu erwartende Verteuerung der Versorgung. Der Arzneimittelwiedereinsatz habe "symbolpolitische Bedeutung", sei aber für das System gefährlich. Insgesamt bilde das Gesetz die massivste Bedrohung für die Apotheken seit sehr langer Zeit: Man könne nicht aus dem Apotheker einen Kaufmann machen, und alles andere bleibe, wie es sei. Qualitätssteigerungen seien nicht mit Dumping und Rosinen–pickerei vereinbar. Die ABDA werde daher die Öffentlichkeitsarbeit gegen das Gesetz verstärken. Dazu dienen auch die geplanten Demonstrationen der Apotheken–mitarbeiter, die im November in Leipzig, München, Köln und Hamburg stattfinden sollen.

Arnold forderte die Verbandsmitglieder auf, Politikern persönlich auf lokaler Ebene deutlich zu machen, wie sehr sie sich um den Bestand ihrer Apotheke, die Patienten und ihr Personal sorgen. Nach der Wende sei übereinstimmend mit dem Willen der Politiker in moderne Apotheken investiert worden – dann könnten nicht jetzt Dis–counterfilialen gefordert werden.

Arnold: Politiker wollen Apotheken "aushungern" Am Rande der Wirtschaftstage fand am 13. Oktober die Mitgliederversammlung des Landesapothekerverbandes Sachsen-Anhalt statt. Zum Ende der Amtsperiode des Vorstandes erinnerte Arnold an die verschiedenen Reform–gesetze dieser Zeit und die Entwicklung des Hausapothekenmodells. Der LAV Sachsen-Anhalt gehört zu den Gründungsmitgliedern der Hausapotheken-Arbeitsgemeinschaft Nord und hat sich früh in Verhandlungen mit Krankenkassen über dieses Thema engagiert.

Hinsichtlich der neuen Gesundheitsreform kritisierte Arnold, dass die Politik nicht die Wirkungen des gerade erst in Kraft getretenen AVWG abwarte. Als Folge dieses Gesetzes seien die Generikapreise massiv gesunken und lägen sogar unter dem Niveau von Italien und Spanien, wenn die hohe deutsche Mehrwertsteuer herausgerechnet wird. Zudem sorge gerade das AVWG mit seiner Rabattbeschränkung dafür, dass die Apotheken die Belastungen durch die neue Reform nicht mehr auf der Einkaufsseite kompensieren können. Da auch andere Rationalisierungsmöglichkeiten ausgeschöpft seien, werde die Belastung der Apotheken vollständig auf die Gewinne durchschlagen. Je nach Interpretation des Gesetzentwurfes werde jede Apotheke mit durchschnittlich 20.000 bis 60.000 Euro jährlich belastet. So werde der Berufsstand durch "Aushungern" ab–geschafft, was für die Politik einfacher durchzusetzen sei als eine offen erklärte Abschaffung der Apotheke in ihrer gewohnten Struktur. Durch andere Reformmaßnahmen seien aber auch Patienten, Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen erheblich betroffen.

Es sollte daher auf allen Ebenen mit Politikern diskutiert und deutlich gemacht werden, dass die Strukturwirkungen der Reform im Vergleich zu den Finanzierungseffekten stark unterschätzt werden. Anderenfalls würden viele Abgeordnete die erheblichen Strukturveränderungen beschließen und dabei annehmen, dass sie über einen Gesundheitsfonds für 2009 abstimmen. Die Politik sollte sich von einigen "Lebenslügen" verabschieden. So sei der Zusammenhang zwischen Krankenkassenbeiträgen und Arbeitsplätzen nicht belegt, die "reine" Marktwirtschaft könne im Gesundheitswesen nicht funktionieren, weil dies kein "normaler" Markt sei, und oligopolistische Strukturen würden nicht zu dauerhaften Kostensenkungen bei gleichzeitiger Qualitätsverbesserung führen, wie viele Beispiele zeigen. Trotz aller Probleme müssten sich die Apotheker aber weiter um Qualität bemühen und dürften in der Patienten–betreuung nicht nachlassen.

Neues für Hausapotheken Als neues Projekt für die Hausapotheken wies Arnold auf das "Verzeichnis der Dienst- und Gesundheitsleistungen der Hausapotheken" (DiGel) hin, das bisher erst in einer vorläufigen Fassung existiert. Damit werden apothekenübliche Dienstleistungen wie Blutzuckermessung und Reiseimpfberatung detailliert beschrieben. Bei Verhandlungen mit der AOK Sachsen-Anhalt habe dies bereits mühsame Detailgespräche erübrigt. Preise für definierte Dienstleistungen wurden aber noch nicht verhandelt. Außerdem werde an einem modifiziertem Hausapothekenscheckheft, einem e-learning-Konzept und einem Verfahren, Informationsmaterial der Haus–apotheken in Kleinmengen auszudrucken, gearbeitet. Der bisherige Vorstand wurde einstimmig entlastet.

Arnold als Vorsitzender bestätigt Weil der seit der Verbandsgründung amtierende Vorsitzende Knut Vocke am 25. Januar 2005 plötzlich verstorben war, hatte Arnold als damaliger Stellvertreter daraufhin den Vorsitz übernommen. Nachdem die Verbandsmitglieder im Sommer 2006 einen neuen erweiterten Vorstand gewählt hatten, stand nun die Wahl des neuen Vorstandes an.

Die Mitglieder des erweiterten Vorstandes bestätigten Mathias Arnold als Vorsitzenden. Erster Stellvertreter ist wieder Gerd Fiedler, zum neuen zweiten Stellvertreter wurde Dr. Jens Prantz gewählt. Weitere Vorstandsmitglieder sind Dr. Uta Ader und Konstanze Friedrich. Nach eigenen Angaben hat der LAV Sachsen-Anhalt damit den jüngsten Vorstand aller Apothekerverbände.

Der bisherige zweite Stellvertreter OPhR Konrad Riedel kandidierte nach drei Amtsperioden nicht mehr für den Vorstand. –Arnold dankte Riedel für seine große Unterstützung, insbesondere in der schwierigen Zeit nach dem Tod Vockes, und lobte Riedels verblüffende Personenkenntnis in allen Bereichen des Gesundheitswesens in Sachsen-Anhalt. 

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