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In Hamburg tobt der Preiskampf unter Apothekern. Vorreiter sind ewa 35 "Gesund-ist-bunt-Apotheken" der Gruppe Parmapharm, die schon im September zu einer Preisoffensive gerufen haben und jetzt mit einer neuen Aktion, bei der viele homöopathische Arzneimittel um bis zu 50 Prozent reduziert sein sollen, nachlegen wollen. Zwischen 20 und 80 Prozent mehr Kunden sind nach einem Bericht des Hamburger Abendblatts in den letzten Tagen in die Apotheken gekommen, um sich mit Arzneimitteln zu Schnäppchenpreisen einzudecken. O-Ton eines Apothekers: "Bei einigen Medikamenten gingen so viele Packungen über den Ladentisch wie sonst in einem Jahr." Etwa 100 rezeptfreie Arzneimittel wurden dem Bericht zufolge um bis zu 50 Prozent reduziert.

Na also, geht doch – wird sich unsere Gesundheitsministerin denken und zufrieden auf die Hamburger Preiskämpfe und Schnäppchenangebote gucken: ihr AVWG machte es möglich. Toll, das also ist das viel gepriesene Mehr an Wettbewerb im Apothekenwesen? Ich hoffe nur, dass die Ministerin und all die anderen Wettbewerbsprotagonisten auch das gelesen haben und das zu Ohren bekommen, was als Begleiterscheinung der Preisschlachten abläuft: Viele Kunden decken sich aufgrund der Rabatte mit Arzneimittelvorräten ein, kaufen mehr als üblich – für Beratung bleibt da keine Zeit mehr. Kann man das noch mit dem Apothekergewissen, mit dem Anspruch, einen Heilberuf auszuüben, verantworten, wenn z. B. Schmerzmittel wie Paracetamol oder ähnliche Substanzen in Großmengen verramscht werden? Bedenklich auch, welche Botschaft dadurch bei den Kunden ankommt: Arzneimittel sind Produkte wie andere Waren auch, wie Brötchen vom Discount-Bäcker, Waschmittel von Aldi oder die Leberwurst von Lidl – und der Apotheker mittendrin als billiger Jakob.

Was sind die Motive bei denen, die den Preiskampf mitmachen? Fühlen sie sich gezwungen durch die Zugehörigkeit zur Parmapharm-Gruppe? Wollen sie die Präsenzapotheke stärken? Wollen sie bewusst DocMorris und den anderen Versand-apotheken Paroli bieten und der Bevölkerung zeigen: Schaut her, ihr müsst gar nicht ins Internet, auch bei uns gibt's Billigarzneimittel mit Rabatt? Herrscht gar Endzeitstimmung vor nach dem Motto: Warum in Ethik untergehen – retten wir, was zu retten geht? Oder ist es ganz einfach der harte Kampf um Kunden und ums Überleben? Man kann sich viele Fragen dazu stellen, die Antworten werden unterschiedlich ausfallen.

Und es bleibt auch die Frage, ob sich die Billigpreis-Aktionen betriebswirtschaftlich überhaupt rechnen. Jeder Betriebswirt kann vorrechnen, wie viele Packungen mehr man verkaufen muss, wenn man den Preis um zehn, um zwanzig und noch mehr Prozent senkt, um einen Ertrag zu erzielen. Und dann kann zusätzlich der Kinoeffekt hinzukommen: Wenn einer aufsteht, um besser zu sehen – da wird man nicht lange warten müssen, bis der ganz Saal steht, und alle sehen wieder genauso gut oder schlecht wie vorher mit dem Unterschied, dass man jetzt stehen muss.

Wer wissen will, wohin die Preisfalle letztlich führt, kann dies schon heute mit einem Blick nach Polen oder Litauen tun. Dort werden bereits Arzneimittel zum Teil unter Einkaufspreis abgegeben, mit Gewinnspielen, bei denen Autos zu gewinnen sind, werden Kunden in die Apotheken gelockt. Was hat das noch mit einem Heilberuf zu tun?

Dabei soll es auch bessere Aktionen als die Hamburger Preiskämpfe geben, bei denen die Apotheke Preissignale ausschickt, ohne gleich in die Ramschecke gestellt zu werden, und vor allem die Beratung nicht auf der Strecke bleibt. Wie könnte so ein Kompromiss zwischen dem Schnäppchen-Zeitgeist und der heilberuflichen Apotheke aussehen? Wie wäre es, wenn man nur wenige Artikel quasi als Indikatorartikel moderat im Preis senkt und nur für kurze Zeit?

Das signalisiert der Bevölkerung und den Medien durchaus, dass sich die Apotheke preislich bewegt, hätte aber den Vorteil, dass die Beratung nach wie vor durchführbar ist und nicht auf der Strecke bleibt. Und warum kann man Arzneimittel mit einem Restrisiko an Missbrauchspotenzial nicht ganz von solchen Aktionen ausklammern?

Letztlich steuern wir in kurzer Zeit auf die Frage zu, welche Rolle die Apotheke in Deutschland überhaupt noch spielen will: billiger Discount-Drugstore oder Gesundheitszentrum zum Bezug von Arzneimitteln mit Beratung und Information durch heilberuflich ausgebildete Fachleute? Ich hoffe, dass die Preisschlachten nur ein Ausrutscher sind, sie werden uns alle und die Pharmazie nicht weiterbringen.

Peter Ditzel

Der billige Jakob

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