Arzneimittel und Therapie

Depressionen: Schneller aus dem Stimmungstief

Die zur Zeit zur Verfügung stehenden Antidepressiva haben einen gravierenden Nachteil. Bis sie wirken, vergehen oft mehrere Tage bis Wochen. Dann kann es für Suizid-gefährdete Patienten schon zu spät sein. Mit Hochdruck werden daher neue Therapieansätze verfolgt. Erste positive Ergebnisse machen Hoffnung. So soll beispielsweise eine Injektion von Ketamin schwer depressive Patienten innerhalb weniger Stunden aus ihrem Stimmungstief holen.

Neben Hypothesen, nach denen Depressionen Folge von Störungen im Bereich biogener Amine wie Serotonin und Noradrenalin sind, gewinnen weitere Theorien für die Depressionsbehandlung an Bedeutung. So lässt sich bei Depressionen eine Überaktivität des Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Systems (HHN-System) feststellen, dessen Regulierung in engem Zusammenhang mit dem GABA/Glutamat–Gleichgewicht steht. Substanzen, die GABA-agonistische Eigenschaften haben, hemmen die Überaktivität des HHN-Systems, ebenso Antagonisten des N-methyl-D-aspartat(NMDA)-Rezeptors und damit Glutamat-Antagonisten. Eine Überaktivität des HHN-Systems führt zu depressiven Störungen, die vor allem von Angst und kognitiven Defiziten geprägt sind.

Ketamin wirkt innerhalb von Stunden! Ketamin ist ein NMDA-Ant–agonist, der über eine Verschiebung des GABA/Glutamat-Gleichgewichts zu einer Normalisierung der HHN-Überaktiviät bei Depressionen beitragen könnte. Einen eindrucksvollen Beleg für diese Hypothese hat eine kleine randomisierte, kontrollierte Studie mit unter Major-Depression leidenden Patienten geliefert. Nach Gabe einer einzigen intravenösen Injektion von Ketamin in einer Dosierung von 0,5 mg/ kg Körpergewicht besserten sich die Symptome innerhalb von zwei Stunden signifikant. Einen Tag später ließ sich bei 79% der 17 mit Ketamin behandelten Patienten eine Besserung feststellen, 29% der Patienten waren sogar beschwerdefrei. Bei 39% hielt die Wirkung der einmaligen Injektion eine Woche an.

Ketamin ist eine mit Phencyclidin (PCP, angel dust) verwandte Substanz, die 1962 erstmals synthetisiert wurde und als Anästhetikum genutzt wird (z. B. Ketanest®). Wie Phencyclidin löst auch Ketamin Halluzinationen und so genannte außerkörperliche Erfahrungen aus, allerdings sind die psychotischen Wirkungen bei Ketamin weniger stark ausgeprägt als unter Phencyclidin.

Ketamin ist die erste Substanz, mit der es gelungen ist, schwerst–depressive Patienten innerhalb von Stunden aus ihrem Stimmungstief zu holen. Bevor Ketamin allerdings Eingang in die Therapie depressiver Erkrankungen finden wird, müssen die viel versprechenden Ergebnisse dieser kleinen Studie in einer größeren Untersuchung bestätigt werden.

Abtreibungspille mit antidepressiven Eigenschaften Einen schnelleren Wirkungseintritt als herkömmliche Antidepressiva verspricht auch das als Abtreibungspille bekannt gewordene Mifepriston (Mifegyne®). Neben den abortiv wirkenden Progesteron-antagonistischen Eigenschaften ist Mifepriston ein potenter Glucocorticoid-Rezeptor-Antagonist. Es ist bekannt, dass bei Depressionen die Cortisolwerte in Urin, Plasma und Zerebrospinalflüssigkeit erhöht sein können. Mifepriston soll über eine Blockade der Cortisolwirkungen vor allem im Hippocampus die Auswirkungen von Stress auf Nervenzellen reduzieren. Bei gestressten Ratten bildeten sich unter Mifepriston innerhalb von vier Tagen neue Nervenzellen im Hippocampus aus. Klinische Studien deuten darauf hin, dass Mifepriston bei schweren psychotischen Störungen innerhalb weniger Tage die Symptome bessern kann.

Genetisch bedingte Veränderungen im Visier! Hoffnungen auf schneller wirksame Antidepressiva ruhen auch auf der Entwicklung von Substanzen, die genetisch bedingte Veränderungen bei erblichen Depressionsformen korrigieren sollen. Im Zentrum der Forschung stehen Veränderungen des Gens P2RX7, die sich sowohl bei Patienten aus Familien mit unipolaren als auch mit bipolaren Depressionen nachweisen lassen. Diese Veränderungen beeinflussen das Aussehen eines ATP-abhängigen Calciumkanals, der in Membranen von Nerven- und Microglia-Zellen in verschiedenen Hirnregionen exprimiert wird. Veränderungen führen sehr wahrscheinlich zu Funktionsstörungen in der Signalübertragung im Gehirn, beeinflussen aber auch die Verarbeitung von Stressreaktionen. Da die veränderten Membranstrukturen von Molekülen direkt erreichbar sind, könnten depressive Patienten mit den neu zu entwickelnden Substanzen schneller als mit herkömmlichen Antidepressiva aus ihrem Stimmungstief geholt werden. du

Hohes Suizidrisiko

Depressionen werden Schätzungen der WHO zufolge im Jahr 2020 nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen den zweiten Platz in der Liste der häufigsten Erkrankungen belegen. Besonders anfällig sind Menschen mit chronischen Erkrankungen: Etwa 45% aller Asthmatiker, 40% aller Herzinfarktpatienten und 27% aller Diabetiker leiden unter Depressionen.

Depressive Patienten sind in hohem Maße selbstmordgefährdet. Die Hälfte von ihnen unternimmt zumindest einen Selbstmordversuch.

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