Arzneimittel und Therapie

Inhalatives Insulin: "Kein Durchbruch, aber ein zusätzliches Werkzeug"

Seit Jahrzehnten wird nach Alternativen zur Insulininjektion gesucht. Mitte Mai wurde nun das erste inhalative Insulin unter dem Handelsnamen Exubera® in Deutschland eingeführt. Doch der Nutzen ist umstritten. Wir haben mit Prof. Dr. Harald Klein, dem Vorsitzenden des Ausschusses Pharmakotherapie des Diabetes der Deutschen Diabetes-Gesellschaft gesprochen und ihn um eine Bewertung gebeten.

Harte Kritik an der Einführung von Exubera® äußert das arzneitelegramm. Es hält die Anwendung außerhalb kontrollierter Studien wegen negativer Kosten-Nutzen-Relation und ungeklärtem Schädigungspotenzial nicht für vertretbar. Eine ähnliche Meinung vertritt das Institut für Qualitätssicherung und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Aus den publizierten Daten soll sich bislang nicht ableiten lassen, dass Exubera® eine sichere Alternative zu subkutan injiziertem Insulin ist. Dagegen verweist die Herstellerfirma Pfizer auf Ergebnisse zweier großer Phase-III-Studien, vorgestellt auf den 66. Annual Scientific Sessions der American Diabetes Association, die die Langzeitwirksamkeit und Sicherheit von Exubera® erneut belegt haben sollen.

d:

Lange wurde nach Alternativen zur subkutanen Insulininjektion gesucht. Jetzt steht ein Insulinpräparat zur Inhalation zur Verfügung. Ist das der Durchbruch?

Klein:

Zunächst einmal handelt es sich um einen neuen, aus technologischer Sicht phantastischen Zugangsweg für Insulin. Aus therapeutischer Sicht kann jedoch derzeit nicht von einem Durchbruch gesprochen werden. All das, was die Inhalation des Insulins zu bewirken vermag, ließ sich auch schon vorher mit Injektionen erreichen. Dabei ist eine subkutane Injektion des Insulins schon aus Gründen der Dosierungsgenauigkeit der Inhalation überlegen.

d:

Wer könnte von dem inhalativen Insulin profitieren?

Klein:

Inhalatives Insulin kommt sicher nicht in Frage, wenn der Diabetes schwer einstellbar ist. In solchen Fällen kann nicht auf zu injizierendes Insulin verzichtet werden. Es gibt aber das Problem, dass Typ-2-Diabetiker viel zu häufig zu spät von Tabletten auf Insulin umgestellt werden und somit Folgeschäden aufgrund unzureichender Blutzuckereinstellung entstehen. Obwohl es heute komfortable Insulin-Pens gibt, spielt dabei psychologisch eine gewisse Angst der Patienten vor der "Spritze" eine Rolle sowie die Befürchtung, dass mit Beginn der Insulintherapie ein irreversibles schweres Endstadium der Erkrankung erreicht wird. Diese psychologischen Hürden können möglicherweise mit der Verordnung von inhalativem Insulin besser genommen werden, in keinem Fall sollte eine solche Verordnung aber Ersatz für die Überzeugungsarbeit des Arztes sein.

Die Erfahrung mit Studienpatienten zeigt zudem, dass einige Patienten von dem inhalativen Insulin begeistert sind. Dabei ist dies nicht unbedingt komfortabler als die Injektion mit einem Pen, da das Inhalationsgerät noch relativ groß ist. Zudem werden bei einem Insulinbedarf über 8 I.E. mehrfache Inhalationen notwendig. Aber auch der Wunsch und die Akzeptanz bei den Patienten ist natürlich ein wichtiges Argument.

d:

Wann macht der Einsatz von inhalativem Insulin bei Typ-1-Diabetikern Sinn?

Klein:

Zugelassen ist Exubera® bei erwachsenen Patienten mit Typ-1-Diabetes nach sorgfältiger Risikoabwägung zusätzlich zu lang wirkendem subkutan injiziertem Insulin. Als recht schnell und kurz wirksames Insulin ist es nicht in der Lage, den basalen Insulinbedarf zu decken, man braucht also in jedem Fall beim Typ-1-Diabetes ein zu injizierendes Verzögerungsinsulin. Die Insulingaben zu den Mahlzeiten könnten prinzipiell inhaliert werden, gerade beim Typ-1-Diabetes besteht dabei jedoch eine höhere Anforderung an die Genauigkeit der Dosierung, so dass bis auf besondere Ausnahmen dem subkutanen Zugangsweg der Vorzug zu geben ist. Wichtig ist zudem, dass von einem Einsatz inhalativen Insulins bei Kindern und Jugendlichen mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes wegen einer nicht ausreichenden Studienlage derzeit abgesehen werden sollte.

d:

Worin sehen Sie die entscheidenden Nachteile?

Klein:

Ein Nachteil ist sicher die Dosierungsungenauigkeit. So können wir die Dosis nur in Schritten von 3 I.E. anpassen. Zudem ist es schlecht, wenn die Resorption eines Arzneistoffs von vielen Faktoren abhängig ist, die starke Beeinflussung der inhalativen Insulinresorption durch Rauchen ist ein Beispiel dafür. Weil Rauchen die Resorption erhöht und damit Hypoglykämien drohen, dürfen Raucher nicht mit Exubera® behandelt werden.

Zu beachten ist auch, dass wir noch nicht über ausreichende Langzeitdaten verfügen. Es gibt keine 10- oder 20-Jahresdaten. Damit bleiben bezüglich Verträglichkeit und Sicherheit noch Fragen offen.

d:

Wie ist die Therapie mit inhalativem Insulin unter Kostenaspekten zu beurteilen?

Klein:

Inhalatives Insulin ist deutlich teurer als Insulin zur subkutanen Injektion (s. Tab.1). Therapeutisch kann man gegenüber dem injizierbaren Insulin nicht mehr erreichen, sieht man von den zuvor genannten psychologischen Faktoren oder einer besseren Akzeptanz durch einen Teil der Patienten ab. Selbst wenn nur ein kleiner Teil der rund acht Millionen Patienten mit Diabetes in Deutschland mit inhalativem Insulin behandelt würde, entstünden somit beachtliche Mehrkosten. Es könnte daher sein, dass in Zukunft diese Mehrkosten durch den Patienten selber zu tragen sein werden.

d:

Ist Exubera® ein für die Diabetestherapie entbehrliches Präparat?

Klein:

So weit würde ich nicht gehen. Anders als viele andere Therapien muss ja die Diabetestherapie sehr individualisiert erfolgen, da es gilt, den Blutzucker trotz individuellem Krankheitsstadium, individuellem tageszeitlichen Insulinbedarf und individueller Lebensweisen und Bedürfnisse jederzeit im Normbereich zu halten. Je größer dabei der "Werkzeugkoffer" des Diabetologen ist, um auf individuelle Erfordernisse eingehen zu können, umso besser. Dabei wird sicherlich nicht jedes Werkzeug gleich häufig gebraucht, sollte aber für den Fall der Fälle vorhanden sein.

d:

Herr Professor Klein, wir danken Ihnen für das Gespräch! du

Schwierige Dosisanpassung

Das inhalative Insulin Exubera® steht in Form von 1-mg- und 3-mg-Blistern zur Verfügung. Ein Blister mit 1 mg Exubera® entspricht etwa 3 I.E. subkutanem Insulin. Eine Dosisanpassung ist nur in Schritten von 3 I.E. möglich. Für eine Dosisanpassung in kleineren Schritten ist inhalatives Insulin nicht geeignet. Zu beachten ist, dass der 3-mg-Blister nur 8 I.E. subkutanem Insulin entspricht und damit wegen Hypoglykämiegefahr nicht durch drei 1-mg-Blister ersetzt werden kann. Die relative Bioverfügbarkeit von inhalativem Insulin beträgt im Vergleich zu subkutan injiziertem Insulin nur 10%. Nach der Inhalation verbleiben 30% der Insulin-Gesamtdosis in der Blisterpackung und im Inhalationsgerät, 20% im Mund-Rachenraum, 10% in den oberen Luftwegen. Nur etwa ein Drittel des Insulins erreicht somit die Alveolen der Lungen, ein Drittel davon wird resorbiert und gelangt ins Blut, der Rest des Insulins wird von Makrophagen abgebaut.

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