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"VW oder Mercedes?" – unter dieser Überschrift hatten wir an dieser Stelle (DAZ vom 13.4.2006) aufgegriffen, welche Absonderlichkeiten unser wohlmeinender Sozialstaat zuweilen produziert. Es ist schwer erträglich, dass wir (ohne Gefahr zu laufen, mit gesetzlichen und/oder vertraglichen Bestimmungen anzuecken) Kassenpatienten kaum dazu verhelfen können, ein bewährtes und/oder gewünschtes Arzneimittel weiter zu erhalten – auch wenn sie explizit bereit sind, eventuelle Mehrkosten dafür auf ihre Kappe zu nehmen. Die Ärzte sehen sich eskalierendem Druck ausgesetzt. Die Angst vor Regressen grassiert. Obwohl die neue Malusregelung erst ab 2007 greift, beeinflusst sie schon jetzt das Verordnungsverhalten. Das mag, bei Lichte gesehen, taktisch unklug sein – denn jetzt werden die Referenzwerte für den zukünftigen Malus (ge-)verschrieben. Aber die Drohkulisse zeigt Wirkung. Immer häufiger versuchen Ärzte, über Verordnungsumstellungen Einsparungen zu realisieren.

Nicht immer, aber auch nicht selten passiert dabei auch Bedenkliches. Ein Beispiel: Bei einer bestens – anfallsfrei – eingestellten älteren Epileptikerin soll aus Kostengründen das Valproinsäurepräparat gewechselt werden. Das versetzt die alte Dame in Angst und Schrecken. Bei einer früheren Umstellung waren erneut Anfälle aufgetreten. Sie will gern die Mehrkosten übernehmen, wenn sie ihr gewohntes Präparat weiter erhält. Dass die Umstellung in diesem Fall problematisch sein kann, ist nicht aus der Luft gegriffen. Antiepileptika gehören zu den Arzneimitteln, bei denen Substitution (egal ob durch Arzt oder Apotheker) bedenklich ist; zumindest erfordert sie in der Regel eine engmaschige Überwachung wie bei einer Neueinstellung (vgl. das DPhG-Papier zur "Guten Substitutionspraxis" in DAZ 7.3.2002) – eine Voraussetzung, die im vorliegenden Fall kaum realistisch erscheint (Arzt weit entfernt, macht keine Hausbesuche). Aber selbst, wenn...: ihre Ängste wären der Patientin dadurch nicht genommen.

Fälle dieser Art – aber auch andere, bei denen der Patientenwunsch, nicht aus puren Kostengründen das gewohnte Arzneimittel wechseln zu müssen, rational weniger nachvollziehbar ist – zeigen: Wir brauchen wasserdichte Lösungen für Situationen, in denen der Patient bereit ist, Mehrkosten zu übernehmen, wenn er wünscht, sein gewohntes Arzneimittel weiter zu erhalten. In der Regel unterstützt der Arzt diesen Wunsch, sieht sich aber immer häufiger aus Budgetgründen nicht in der Lage, ihn zu erfüllen. Wie könnten solche Lösungen aussehen? Welche Einwände gibt es dagegen, wie könnte man ihnen Rechnung tragen?

Im oben beschriebenen Fall habe ich – mea culpa, mea maxima culpa – folgenden Weg gewählt: Ich habe in mein Kassensystem das der Patientin früher regelmäßig verordnete Antiepileptikum eingegeben; den Preis habe ich auf den Preis des billigeren, auf dem Rezept verordneten Präparates geändert (mein System lässt dies zu; andere zeigen sich dabei – wofür es durchaus Gründe gibt – bockig); dabei änderte sich simultan und entsprechend der ausgewiesene Zuzahlungsbetrag. Auf dem Rezeptausdruck erschien die Pharmazentralnummer des wirklich von mir abgegebenen Antiepileptikums, der ausgedruckte Preis entsprach aber dem billigeren, auf dem Rezept (ohne Substitutionsausschluss) namentlich verordneten Arzneimittel. Die Differenz der Verkaufspreise hat die Patientin bezahlt – zusätzlich die auf dem bedruckten Rezept ausgewiesene Zuzahlung.

Diese Vorgehensweise trägt einigen – durchaus ernst zu nehmenden – Einwänden Rechnung:

  • Auf dem Rezept steht (über seine PZN identifizierbar) das wirklich abgegebene Arzneimittel, es wird also auch nur der Hersteller des wirklich abgegebenen Präparates mit dem 10%igen Herstellerabschlag nach § 130a Abs. 3b belastet. Zugleich bleibt rückverfolgbar, welches Arzneimittel der Patient wirklich erhalten hat. Dies ist aus Gründen der Arzneimittelsicherheit unverzichtbar.
  • Die Arzneimittelpreisverordnung wird nicht verletzt; die Summe aus dem den Kassen in Rechnung gestellten Betrag und den übernommenen Mehrkosten entspricht (unter Einrechnung der geleisteten Zuzahlung) exakt dem, was nach AMPreisV für das abgegebene Arzneimittel fällig ist.
  • Der Verdacht, Apotheker würden dem Patientenwunsch aus ökonomischem Eigeninteresse allzu gern folgen, ist nach der Umstellung der Arzneimittelpreisverordnung (faktisch gilt ein Fixhonorar, der 3%ige Aufschlag deckt nicht einmal preisabhängige Kosten) und dem weitgehenden Verbot der Rabatte völlig aus der Luft gegriffen.
  • Das Budget des Arztes sollte bei dieser Vorgehensweise nur mit dem (niedrigeren) Betrag belastet werden, der den Kassen in Rechnung gestellt wird. Dennoch sollte er bei dem Überblick über die Arzneimittel, die zulasten seiner Patienten bei der Krankenkasse abgerechnet wurden, erkennen können, welche Arzneimittel seine Patienten erhalten haben.

Bei diesem letzten Punkt besteht eventuell noch Klärungsbedarf. Wir sollten unseren Rechenzentren, dem Deutsche Apothekerverband und seinen Landesverbänden zutrauen und zumuten, hier zusammen mit den Kassen und Kassenärztlichen Vereinigungen pragmatische Lösungen zu finden. Geht nicht, gilt nicht (der LAV Baden-Württemberg war, wo nur die Landesebene greift, bereits erfolgreich)! Anstrengungen lohnen – nicht nur, weil dadurch unnötige, zu Unsicherheit führende Umstellungen der Medikation vermieden werden können. Auch der Zugewinn an Patientenselbstbestimmung – der Verzicht, Patienten mehr als nötig zu gängeln – sollte einige Mühe wert sein.

Klaus G. Brauer

Geht nicht, gilt nicht

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