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Spätestens mit dem In-Kraft-Treten des GKV-Modernisierungsgesetzes Anfang 2004, das für die Apotheken auch eine neue Arzneimittelpreisverordnung brachte, hat die Selbstmedikation für die Apotheke eine andere, eine größere Bedeutung erlangt. Denn der Apotheker verdient nicht mehr an der Abgabe teurer verschreibungspflichtiger Arzneimittel; mit den Einnahmen aus dem GKV-Geschäft, das nur mit 6,10 Euro pro Packung und 3 Prozent des Arzneimittelpreises zum Apothekengeschäft beiträgt, lassen sich keine großen Sprünge machen. Ohne einen erklecklichen Beitrag aus dem OTC-Geschäft geht es einer Apotheke heute nicht besonders gut. Vor diesem Hintergrund ist es daher verständlich und richtig, wenn die Apotheke den Bereich der Selbstmedikation pflegt, die Frei- und Sichtwahl ausbaut und optimiert.

Einen Schub für die Selbstmedikation sollte der Ausschluss von nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln aus der Erstattungsfähigkeit durch die gesetzliche Krankenversicherung bringen, ebenso die Freigabe der OTC-Arzneimittelpreise. Die Rechnung ist bis jetzt aus Sicht der Industrie und der Apotheke nicht aufgegangen. Die Menge an OTC-Arzneimitteln, die der Arzt vor 2004 als notwendig für die Therapie auf Kassenrezept verordnete, haben die Patienten im Rahmen der Selbstmedikation nicht auf eigene Rechnung gekauft. Die Frage stellt sich, warum? Sind die OTCs zu teuer? Betrachtet sie der Patient dann letztlich doch als unwirksam und nicht notwendig für eine Therapie? Nicht so notwendig, dass er sie aus dem eigenen Portemonnaie finanziert? Haben diese OTCs ein schlechtes Image in der Bevölkerung?

Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller, der die Selbstmedikationsindustrie vertritt, ging dieser Frage nach und gab eine Studie in Auftrag. Sie brachte zutage, dass OTC-Arzneimittel von vielen als nicht gleichwertig zu den verschreibungspflichtigen Arzneimitteln angesehen werden. Selbstmedikationsarzneimittel sind in den Augen vieler Patienten unsicher, unwirksam und dazu noch zu teuer. Während diese Präparate also eher einen Imageverlust erlitten, genießt die Verkaufsstätte für diese Präparate, also die Apotheke, ein durchaus positives Image. Darüber können wir uns zwar freuen, doch würde es der Apotheke (und den Herstellern) noch mehr nützen, wenn auch die Präparate von den meisten Kunden und Patienten wertgeschätzt würden. Jetzt denkt die Industrie darüber nach, wie sie das positive Image der Apotheke für ihre Präparate nutzen kann.

Dass die Industrie auch weiterhin auf ein starkes OTC-Geschäft setzt und hofft, zeigte sich auf der Jahrestagung des europäischen Verbandes, der die Selbstmedikationsindustrie (AESGP) vertritt. Deutliches Signal: Man ist verstärkt daran interessiert, Arzneimittel aus der Verschreibungspflicht zu entlassen und für die Selbstmedikation zur Verfügung zu stellen. Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit sind die H2-Antagonisten oder die topischen Zubereitungen von Hydrocortison. Aktuelles Beispiel: die Freigabe eines Triptans zur Migränebehandlung in der Selbstmedikation (Deutschland ist in Europa das erste Land, das diesen Wirkstoff für die Selbstbehandlung der Migräne zuließ). Der Apotheker wird bei der Abgabe dieses Migränepräparats stärker beraten müssen. Er sollte zum Beispiel auch abwägen, ob dem Patienten eher mit einem klassischen Migränemittel wie ASS oder einer Dreierkombination von ASS, Paracetamol und Coffein geholfen werden kann. Wir sollten die geforderte Beratung positiv und als Chance sehen (und sie auch nutzen): Unsere Kompetenz und unser Fachwissen werden geschätzt. Denn Bedenkenträger, insbesondere unter den Ärzten, wettern schon gegen die Freigabe und wollen dem Apotheker diese Kompetenz zur Abgabe des Triptans absprechen.

Für die Apotheke bedeutet das Szenario: Sie sollte das Selbstmedikationsgeschäft ernst nehmen, den OTC-Bereich ausbauen und die OTC-Beratung gewissenhaft durchführen. OTC ist und wird ein noch stärkeres Standbein der Apotheke, das nicht wackeln darf. Ein Abwandern von OTCs in andere Kanäle wäre fatal.

Peter Ditzel

Wackelt das OTC-Standbein?

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