Arzneimittel und Therapie

Neues Tetracyclin-Analogon Tigecyclin: neuer Ansatz gegen resistente Keime

Tigecyclin (Tygacil®) ist der erste Vertreter einer Gruppe von Tetracyclin-Analoga, den Glycylcyclinen. Es ist als Monotherapeutikum für schwere Haut- und Weichgewebeinfektionen sowie komplizierte intraabdominelle Infektionen zugelassen.

Immer mehr Patienten, die in die Krankenhäuser der Primärversorgung aufgenommen werden, weisen gegen Antibiotika resistente Bakterien auf, die früher nur in den Krankenhäusern selbst vorzufinden waren. Allein in den USA sind jährlich rund zwei Millionen Patienten von im Krankenhaus erworbenen Infektionen betroffen, fast 90.000 Menschen sterben daran. Bei etwa 70% dieser Infektionen treten resistente Erreger auf. Das neue Antiinfektivum Tigecyclin wirkt gut gegen mehrere resistente Keime.

Bakteriostatische Wirkung

Wie Tetracycline hemmt Tigecyclin die Translation bei der bakteriellen Proteinsynthese, indem es an die 30S-Untereinheit der Ribosomen bindet und die Anlagerung der Aminoacyl-tRNA-Moleküle an die ribosomale Akzeptorstelle (A-Site) verhindert. Dadurch wird der Einbau von Aminosäureresten in wachsende Peptidketten verhindert. Im Allgemeinen besitzt Tigecyclin eine bakteriostatische Wirkung.

Gute Wirksamkeit bei Tetracyclin-Resistenz

Während Bakterien gegen Tetracycline wie Doxycyclin und Minocyclin zunehmend Resistenzen ausbilden, weisen Glycylcycline in vitro eine gute Wirksamkeit auch gegen Bakterien mit einer Tetracyclin-Resistenz auf. Tigecyclin umgeht häufige und wichtige Resistenzmechanismen: Es bindet mit hoher Affinität an Ribosomen und bewirkt auf diese Weise, dass Protektionsproteine unwirksam werden. Außerdem wird es von den meisten Effluxpumpen nicht transportiert und umgeht so diesen weit verbreiteten Resistenzmechanismus. Die Substanz ist auch dann noch antimikrobiell wirksam, wenn Keime gegen andere Wirkstoffe bereits resistent sind.

Breites Wirkungsspektrum

Tigecyclin weist ein sehr breites Wirkungsspektrum gegen grampositive, gramnegative und atypische Erreger sowie auch multiresistente Keime auf. Es wirkt gegen E. coli, Enterobacter cloacae, Acinetobacter baumannii, Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) und Methicillin-sensiblen Staphylococcus aureus (MSSA) sowie Enterococcus faecium, außerdem gegen Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE) und Extended-Spectrum-Betalaktamasen-bildende Enterobacteriaceae. Gegen Pseudomonas aeruginosa wirkt Tigecyclin nicht.

Sehr lange Halbwertszeit

Tigecyclin wird zur Monotherapie eingesetzt und in Dosen von zu Beginn 100 mg, dann 50 mg alle zwölf Stunden intravenös über 20 bis 60 Minuten infundiert. Bei Niereninsuffizienz ist keine Dosisanpassung erforderlich, auch nicht bei Patienten mit Leberfunktionsstörungen nach Child-Pugh A und B.

Tigecyclin penetriert gut in verschiedene Gewebe und wird zum größten Teil unverändert ausgeschieden. Die Halbwertszeit ist mit über 42 Stunden sehr lang. Da Tigecyclin nicht über das Cytochtom-P450-System verstoffwechselt wird, ist hier nicht mit Wechselwirkungen mit anderen Arzneistoffen zu rechnen. Bei gleichzeitiger Gabe mit Warfarin wird eine Überwachung der Gerinnungsparameter empfohlen.

Dosisabhängig: Übelkeit und Erbrechen

Die häufigsten unerwünschten Wirkungen von Tigecyclin waren dosisabhängig Übelkeit und Erbrechen, vor allem an den ersten beiden Tagen der Therapie. Tigecyclin kann darüber hinaus zu ähnlichen Nebenwirkungen wie andere Tetracycline führen. Dazu gehören Photosensibilität, Pseudotumor cerebri, Pankreatitis und eine antianabolische Wirkung mit erhöhten BUN-Werten (Blut-Harnstoff-Stickstoff), Azotämie, Azidose und Hypophosphatämie.

Gut wirksame Therapie

In zwei internationalen, multizentrischen Phase-III-Studien wurde Tigecyclin versus Imipenem plus Cilastatin bei komplizierten intraabdominellen Infektionen verglichen. Dazu wurden 1658 Patienten (mit intraabdominellem Abszess, komplizierter Appendizitis, Perforationen im Darmtrakt, komplizierter Cholezystitis) randomisiert und fünf bis 14 Tage antibiotisch behandelt. Die klinischen Erfolgsraten lagen bei 88,2% unter Tigecyclin versus 89,3% unter Imipenem/Cilastatin. Die Eradikationsraten lagen bei 86,1% versus 86,2%.

In zwei weiteren Phase-III-Studien wurde Tigecyclin mit Vancomycin plus Aztreonam bei schweren Haut- und Weichgewebeinfektionen verglichen. 1129 Patienten mit tiefen Weichgewebeinfektionen (Abszessen, infizierten Geschwüren, Verbrennungen plus Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus und pAVK) wurden randomisiert und maximal 14 Tage behandelt.

Die klinischen Erfolgsraten für Tigecyclin lagen bei 86,7% versus 87,1% unter bisheriger Standardtherapie. Die Erfolgsraten zeigten sowohl bei mono- als auch multibakteriellen Infektionen keine signifikanten Unterschiede. Nach diesen Daten wirkt Tigecyclin als Monotherapie vergleichbar gut wie eine Therapie mit Vancomycin/Aztreonam und Imipenem/Cilastin.

Tigecyclin (Tygacil) ist der erste Vertreter einer Gruppe von Tetracyclin-Analoga, den Glycylcyclinen. Es ist als Monotherapeutikum für schwere Haut- und Weichgewebeinfektionen sowie komplizierte intraabdominelle Infektionen zugelassen und hemmt die Translation bei der bakteriellen Proteinsynthese.

Steckbrief: Tigecyclin

Handelsname/Hersteller:

Tygacil/Wyeth Pharma, Münster

Einführungsdatum:

15. Mai 2006

Zusammensetzung:

Jede 5-ml-Durchstechflasche Tygacil enthält 50 mg Tigecyclin. Nach der Rekonstitution enthält 1 ml Lösung 10 mg Tigecyclin. Sonstige Bestandteile: keine.

Packungsgrößen, Preise und PZN:

10 Durchstechflaschen, 629,97 Euro, PZN 4450697

Stoffklasse:

Antibiotika/Antiinfektiva; ATC-Code: bisher keine Zuordnung.

Indikation:

Tigecyclin ist zur Behandlung von komplizierten Haut- und Weichgewebsinfektionen und komplizierten intraabdominellen Infektionen angezeigt.

Dosierung:

Bei Erwachsenen beträgt die empfohlene Anfangsdosis 100 mg, gefolgt von 50 mg alle zwölf Stunden über einen Zeitraum von fünf bis 14 Tagen als 30- bis 60-minütige intravenöse Infusion.

Gegenanzeigen:

Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile; Patienten mit einer Überempfindlichkeit gegen Antibiotika der Tetracyclin-Gruppe können überempfindlich gegen Tigecyclin sein.

Nebenwirkungen:

Sehr häufig: Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö. Häufig: Abszess, Infektionen; verlängerte aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT), verlängerte Prothrombinzeit (PT); Schwindel; Phlebitis; Bauchschmerzen, Dyspepsie, Anorexie; erhöhte Aspartataminotransferase (AST) und Alaninaminotransferase (ALT) im Serum, Bilirubinämie; Pruritus, Ausschlag; Kopfschmerzen; erhöhte Amylase im Serum, erhöhte BUN-Werte (Blut-Harnstoff-Stickstoff).

Wechselwirkungen:

Wenn Tigecyclin gleichzeitig mit Antikoagulanzien verabreicht wird, sollten entsprechende Blutgerinnungsparameter engmaschig überwacht werden, da Tigecyclin sowohl die Prothrombinzeit (PT), als auch die aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT) verlängern kann. Wahrscheinlich wird die Clearance von Tigecyclin nicht von Wirkstoffen beeinflusst, die die Aktivität der CYP-P450-Isoenzyme hemmen oder induzieren; Tigecyclin hemmt die CYP450-Enzyme nicht. Wenn Tigecyclin zusammen mit Digoxin gegeben wird, ist keine Dosisanpassung erforderlich. Bisher ist kein Antagonismus zwischen Tigecyclin und anderen häufig eingesetzten Antibiotikagruppen bekannt. Die gleichzeitige Einnahme von Antibiotika und oralen Kontrazeptiva kann die Wirksamkeit der oralen Kontrazeptiva beeinträchtigen.

Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen:

Tigecyclin kann zu ähnlichen Nebenwirkungen wie andere Tetracycline führen; dazu gehören Photosensibilität, Pseudotumor cerebri, Pankreatitis und eine antianabolische Wirkung mit erhöhten BUN-Werten, Azotämie, Azidose und Hypophosphatämie. Bei schwer erkrankten Patienten mit komplizierten intraabdominellen Infektionen infolge einer klinisch sichtbaren intestinalen Perforation oder bei Patienten mit beginnender Sepsis oder septischem Schock sollte eine Kombinationstherapie mit anderen Antibiotika in Erwägung gezogen werden. Patienten mit einer Cholestase sollten engmaschig überwacht werden. Die Prothrombinzeit oder andere geeignete Blutgerinnungsparameter sollten überwacht werden, wenn Tigecyclin zusammen mit Antikoagulanzien verabreicht wird. Beim Menschen kann die Anwendung von Tigecyclin während des Zahnwachstums zu einer dauerhaften Zahnverfärbung führen; Tigecyclin sollte deshalb nicht bei Kindern unter acht Jahren angewendet werden. Unter der Therapie mit Tigecyclin kann Schwindel auftreten, so dass die Verkehrstüchtigkeit und die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen beeinträchtigt sein können.

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