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Die Idee schien faszinierend: Die Therapie erleichtern, die Compliance verbessern, den Krankenkassen Geld sparen - und dabei gutes Geld verdienen. Wie? Ganz einfach: Die (quasi) industrielle Herstellung von Wochenblistern ("7 mal 4"), die verteilt auf vier Einnahmezeitpunkte für sieben Tage die individuelle Medikation eines Patienten enthalten.

Profitieren sollen davon stationär, vor allem aber ambulant betreute ältere Patienten. Verblisterung als eierlegende Wollmilchsau, als neues, innovatives Geschäftsmodell eines pfiffigen, ideenreichen Unternehmers. Edwin Kohl (Kohlpharma) hatte zunächst als Re- und Parallelimporteur all seine Konkurrenten hinter sich gelassen und gutes Geld verdient. Seit einiger Zeit versucht unter seiner Obhut "Avie" Fuß zu fassen, ein – beschönigend so bezeichnetes – Apothekenfranchisesystem, von dem der Schritt zur Unselbstständigkeit in einer Kette nur sehr klein ist. Dort kommt Kohl bislang wohl langsamer voran als ursprünglich angenommen.

Ein wirklich großes Rad könnte Kohl aber eventuell mit "assist Pharma" drehen. Diese Tochter will im jeweiligen Auftrag von Partnerapotheken in großem Stil Wochenblister erstellen für die Arzneitherapie von zigtausenden Patienten. Mit drei hochmodernen Anlagen sollen pro Tag jeweils 50.000 Wochenblister für die "Versorgung" von 100.000 Patienten produziert werden. Für die Technik werde er 70 Millionen Euro investieren, weitere dreißig Millionen sollen für das Warenlager bereitgestellt werden - so Kohl in einem DAZ-Interview (22.9.2005). Solche Investitionen erzeugen Handlungsdruck. Durch geschicktes Lobbying (Chapeau!) gelang es dem Unternehmer, über die 14. AMG-Novelle eine Regelung ins Gesetz zu bekommen, die wie eine Lex Kohl aussieht. Sie erlaubte ihm, einen groß angelegten, bislang lokal noch begrenzten Versuch für sein Verblisterungsprojekt zu starten. Fraglich ist, ob damit die Vorwürfe gänzlich ausgeräumt sind, die industrielle Verblisterung verstoße in vielfältiger Weise gegen Geist, Grundlagen und Wortlaut vieler Bestimmungen aus dem Arzneimittel-, Apotheken- und Haftungsrecht.

In der Politik habe er – so Kohl in dem erwähnten Interview – überall ein offenes Ohr gefunden, insbesondere auch deshalb, weil sich durch die Verblisterung über eine Verbesserung der Compliance und weniger Arzneimüll Geld sparen lasse.

Dass letzteres stimmt, ist freilich mehr als fraglich. Eine Studie von Professor Wille, Vorsitzender des Sachverständigenrates für das Gesundheitswesen, belegt genau genommen das Gegenteil (siehe unseren Bericht S. 41). Durch das Bereitstellen individuell zusammengestellter Blister könne man nur bei gut 10% der Patienten eine Verbesserung der Compliance erwarten. Um diese 10% zu erreichen, müsse man die teuren Blisterpackungen aber allen Patienten zur Verfügung stellen – auch denen, die ohnehin compliant sind. Ohne zusätzlich Mittel von der GKV könne Verblistern nicht wirtschaftlich sein. Die Kosten für Blister und Verblistern (1,18–1,89 Euro) und den –zusätzlichen Aufwand in der Apotheke (mindestens 1,50 Euro für Auswahl und Weiterleitung der überhaupt verblisterungsfähigen Verordnungen, händisches Umblistern bei Änderung des Therapieregimes) addierten sich bei Annahmen, die günstig für das Verblistern wären, auf mindestens 3 Euro. Der dem gegenüber stehende Nutzen pro Blister betrage aber allenfalls 35 Cent.

Zweifellos nützlich wäre das Verblistern für den, der die industrielle Verblisterung anbietet – jedenfalls solange er noch als Quasi-Monopolist agieren kann. Gegenüber den Apotheken könnte er die Konditionen diktieren, gegenüber der Industrie könnte er sich – die Rabattverbote des AVWG beiseite schiebend – Einkaufsvorteile sichern, zumal eine Beschränkung auf 400 Arzneimittel und auf die relativ gut planbare Belieferung von Chronikern vorgesehen ist.

Mindestens ebenso vernichtend wie das Ergebnis der ökonomischen Analyse ist für das Verblistern, was pharmazeutisch dagegen vorzubringen ist. Unbestritten kommen für die Verblisterung nur feste, oral zu verabreichende Arzneiformen infrage – unter denen allerdings nicht diejenigen, die lichtempfindlich oder hygroskopisch sind (z. B. Schmelztabletten, Brausetabletten). Für das Verblistern völlig ungeeignete Darreichungsformen (z. B. auch Tropfen und Säfte) sind allerdings fast immer für ältere Patienten die bessere Wahl, wenn Alternativen bestehen. Das Nebeneinander von dem Teil der Medikation, der in individualisierten Blistern zur Verfügung gestellt werden kann, und jenen Arzneimitteln, die dafür nicht taugen, muss Patienten und Pflegepersonal eher verwirren als entlasten. Statt einer Verbesserung wird es eher zu einer Verschlechterung der Compliance kommen. Unkalkulierbar ist auch, ob es zwischen unterschiedlichen Arzneimitteln, die eine Woche lang in einem Blisterfach liegen, zu Reaktionen kommen kann.

Das Verblisterungssystem unterstellt ferner, dass eine gemeinsame Einnahme verschiedener oral zu verabreichender Arzneimittel zu maximal vier Zeitpunkten (morgens, mittags, abends, zur Nacht) fachlich vertretbar ist. Die Bedeutung unterschiedlicher Einnahmemodalitäten z. B. Abstand zur Nahrungsaufnahme, Art und Menge der Flüssigkeit) wird der Verblisterungspraktikabilität untergeordnet. Dabei wird übersehen, dass schnellfreisetzende anders als magensaftresistente Arzneiformen oder als Retardarzneimittel, diese wiederum unterschiedlich je nach ihrer Retardierungsart, verabreicht werden müssen.

Es mag in Einzelfällen unter bestimmten Voraussetzungen sinnvoll sein, einen Tages- oder Wochenvorrat an Arzneimitteln vorab zu stellen (sei es über Blister oder – besser – über Systeme wie die Anabox). Als Regelfall oder gar Idealfall ist die Verblisterung nicht zu sehen – fachliche und ökonomische Argumente sprechen gleichermaßen dagegen. Schade um das schöne Geld, das dafür bisher verpulvert wurde.

Klaus G. Brauer

Geprüft und durchgefallen

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