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Geschlecht und Therapie

Schon lange ist bekannt, dass Frauen und Männer unterschiedlichen Krankheitsrisiken unterworfen sind. Sie nehmen Krankheiten aber auch anders wahr und reagieren unterschiedlich auf eine medikamentöse Therapie. Studien, die sich systematisch mit dieser Thematik befassen, sind noch recht dürftig, auch wenn mittlerweile in der EU und in Deutschland Studien-Richtlinien zum Thema "Gender Medicine" existieren.

Frauen und Schmerz

Frauen haben im Vergleich zu Männern eine 1,5fach erhöhte Prävalenz von Schmerz, und sie erleben und verarbeiten diesen auch anders. Die Unterschiede sind biologisch, psychologisch und soziokulturell bedingt. Frauen empfinden früher als Männer einen Schmerzreiz als unerträglich, und sie können Schmerzarten besser unterscheiden. Es gibt Hinweise, dass dafür die Geschlechthormone mit verantwortlich sind. Jedenfalls sind die Geschlechtshormone – Östrogene bei der Frau und Testosteron beim Mann – an der Schmerzverarbeitung beteiligt. Östrogene verstärken den Schmerz durch periphere und zentrale Mechanismen, während Testosteron dämpfend auf das Schmerzleitungssystem wirkt und Endorphine aktiviert.

Oft ist der Abfall der Hormonkonzentration im weiblichen Zyklus ein Auslöser von Kopfschmerzen vom Spannungstyp und von Migräne. Etwa 14% aller Migränepatientinnen leiden an einer menstruellen Migräne. Die Schwere der Migräne und die Anzahl der Anfälle vermindert sich häufig während der Schwangerschaft, wenn die Progesteronkonzentration hoch ist. Entsprechend treten nach der Entbindung verstärkt Migräneattacken auf.

Da die Migräneattacken während der Menstruation oft länger und intensiver sind, sollten in der Akuttherapie vor allem Schmerzmittel mit lang anhaltender Wirkung angewendet werden. Triptane gelten als Mittel der ersten Wahl. Auch Hormonpflaster, zwei Tage vor Beginn und während der Menstruation getragen, können die Attacken mindern. Ob eine hormonelle Kontrazeption die Migräne beeinflussen kann, ist bisher unklar.

Frauen reagieren empfindlicher als Männer auf die Reizung von Schmerzrezeptoren in Muskel und Sehnen durch Druck und Ischämie. Dadurch scheint zumindest teilweise die Häufung der Fibromyalgie bei Frauen erklärbar zu sein. Bei den Betroffenen löst Druck auf so genannte "tender points" (Druckschmerzpunkte) starke Schmerzen aus.

In der Therapie haben sich 5-HT3-Rezeptorantagonisten (Setrone) und Amitriptylin in niedriger Konzentration bewährt. Schmerzmittel haben nur einen geringen Effekt, können aber bei Bedarf als Zusatzmedikation angewendet werden. Die Gabe von Opioiden und Glucocorticoiden ist nicht sinnvoll.

Geschlechtsspezifität in der Pharmakotherapie

Das Wissensdefizit in der Pharmakotherapie von Frauen ist auf den Ausschluss von Frauen aus klinischen Studien mit neuen Arzneistoffen nach der Contergan-Katastrophe zurückzuführen. Die FDA fordert bereits seit Mitte der 90er-Jahre aussagekräftige Daten zu Stoffwechsel und Wirksamkeit neuer Substanzen bei Frauen, und mittlerweile existieren auch in der EU und in der Bundesrepublik Studien-Richtlinien zum Thema Gender Medicine.

Geschlechtsabhängige Faktoren für die unterschiedliche Wirkungsweise von Arzneimitteln sind z. B. Körpergröße, Gewicht, Körperfettanteil und Muskelanteil. So wirken lipophile Substanzen bei Frauen länger und können eher kumulieren – ein Bespiel hierfür ist das Anästhetikum Vecuronium. In der Onkologie wird die Dosierung von Zytostatika immer noch nach der Körperoberfläche berechnet, obwohl die Ausscheidung zahlreicher Pharmaka mit dem Lean Body Mass (fettfreie Körpermasse) korreliert. Lediglich für fünf von 44 Zytostatika gibt es geschlechtsspezifische Daten zur Pharmakokinetik. 5-Fluorouracil gehört nicht dazu; dafür weiß man hier etwas über die geschlechtsspezifische Pharmakodynamik: 5-FU wirkt bei Frauen toxischer, gibt ihnen beim Kolonkarzinom aber auch einen 10%igen Überlebensbonus gegenüber Männern.

Geschlechtsspezifisch kann auch eine verzögerte Magen-Darm-Passage sein, die zu einem späteren Wirkungseintritt und einer längeren Wirkdauer führt (zum Beispiel bei Chloralhydrat).

Nicht zu unterschätzen ist der Einfluss des Menstruationszyklus und der Sexualhormone. So kann eine Epilepsie hormonabhängig sein, was bedeutet, dass die Anfälle nach den Wechseljahren deutlich abnehmen. Eine Hormonersatztherapie wäre in diesen Fällen fatal.

Mittlerweile gibt es immer mehr Hinweise, dass Frauen eine höhere Aktivität des Cytochrom-P450-Isoenzyms CYP3A4 haben, das u. a. Corticoide abbaut. So ist bei Frauen die Plasmaclearence von Prednisolon um 30% höher als bei Männern. Dagegen weisen Frauen bei gleicher Dosis doppelt so hohe (bei Einnahme von hormonellen Kontrazeptiva sogar dreimal so hohe) Wirkkonzentrationen von Metoprolol auf wie Männer (laut Prof. Thürmann, Klinikum Wuppertal).

Bei einigen Erkrankungen schildern Frauen andere Symptome als Männer. So äußert sich bei Frauen ein Herzinfarkt häufig mit Oberbauchbeschwerden und nicht mit Brustschmerzen. Dies kann zu einer Fehldiagnose und einer falschen Therapie verleiten.

Auch im Bereich der Psychiatrie gibt es große geschlechtsspezifische Unterschiede. Frauen bekommen wesentlich häufiger und länger Psychopharmaka verordnet als Männer. Auch die Dosis und die Verträglichkeit (diese ist teilweise vom Hormonstatus abhängig) sind unterschiedlich. Hier fehlt es an breit angelegten Studien, Erkenntnisse fallen meist nur am Rande an.

Gender Medicine im Internet

Die Gender Medicine steht erst am Anfang der Forschung. Dies ist auch den GesundheitspolitikerInnen bekannt. Seit einigen Monaten informiert die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) im Internet über Frauengesundheit: www.bzga.de/frauengesundheit. Das Robert Koch Institut hat im Februar 2006 einen Schwerpunktbericht zum Thema "Gesundheit für Frauen und Männer im mittleren Lebensalter" erstellt: als Download bei www.rki.de, weiter über Gesundheitsberichterstattung, GBE-Publikationen.

Antonie Marqwardt

Viele Medikamente wirken bei Frauen und Männer anders. Dies zeigt die Erfahrung, ist aber durch wissenschaftliche Studien noch wenig erforscht. Unter diesem Mangel leiden vor allem die Frauen, denn die Klinische Prüfung von Arzneistoffen wird meist nur an Männern durchgeführt. Die "Gender Medicine" erforscht nun die Geschlechtsspezifität von Krankheiten und Therapien.

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